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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Vlamen und Wallonen

er Sprachenstreit in Belgien hat eine Höhe erreicht, die für die
Ruhe des Landes gefährlich zu werden droht. Bis jetzt galt
das Französische, die Schriftsprache der Wallonen, ausschließlich
als Amtssprache. Aber die Vlamen haben angefangen diese
Alleinherrschaft zu erschüttern, und sie werden aller Voraussicht
uach die volle Gleichberechtigung erlangen. Ihr endgiltiger Sieg ist nnr eine
Frage der Zeit.

Was die Vlamen bestimmt, ihre Forderungen aufzustellen, ist der Wunsch,
gerecht behandelt zu werden. Für den tiefer schauenden aber ist es klar, daß
es sich hier nicht allein um Gerechtigkeit handelt, sondern daß es zugleich ein
Vordringen des moralisch erstarkten germanischen Elements ist, das sich nicht
länger vom romanischen am Gängelbande führen lassen will. Die französische
Rasse, die so lange die führende in Europa gewesen ist, fängt augenscheinlich
an, altersschwach zu werden, und dankt zu Gunsten der germanischen ab. Der
Krieg vom Jahre 1870 war das Vorspiel des großen Dramas. Andre Akte
sind in Vorbereitung. Einer davon spielt sich in dem Kampfe um das Gesetz
Vriendt-Coremans ab, das das Mimische dem Französischen völlig gleich
stellen will. Die Zähigkeit, mit der die Vlamen auf ihrem Rechte be¬
harren, wird die Ränke der "Fransqnillons," d. h. der Französischgesinnten
überwinden, und dabei ist ihnen die moralische Unterstützung der national
gesinnten Reichsdeutschen sicher. Es vergeht keine vlämische Demonstration,
wo nicht Telegramme und Briefe aus dem Reiche ankamen, um Sympathie
zu bezeugen; selbst aus Österreich, das Belgien so fern liegt, pflegen
Huldigungsschrciben zu kommen, wie überhaupt das Interesse der Deutsch¬
österreicher an dem Aufschwung der Vlamen größer zu sein scheint als
das der Rcichsländischen. Die Wallonen auf der andern Seite haben die
ganze französische Nation hinter sich. Sie stärken sich durch deren Litteratur,
durch ihre Zeitungen, ja sie werden augenscheinlich auch materiell unterstützt.
Man weiß, daß der frühere Minister Rogier, dem man jetzt in Brüssel ein
Denkmal setzen will, offen für die Annexion an Frankreich gewirkt hat.

Bei diesem Gegensatz zwischen den beiden so verschiednen Volksstämmen,
die das heutige Königreich Belgien bilden, ist es gewiß nicht uninteressant, zu




Vlamen und Wallonen

er Sprachenstreit in Belgien hat eine Höhe erreicht, die für die
Ruhe des Landes gefährlich zu werden droht. Bis jetzt galt
das Französische, die Schriftsprache der Wallonen, ausschließlich
als Amtssprache. Aber die Vlamen haben angefangen diese
Alleinherrschaft zu erschüttern, und sie werden aller Voraussicht
uach die volle Gleichberechtigung erlangen. Ihr endgiltiger Sieg ist nnr eine
Frage der Zeit.

Was die Vlamen bestimmt, ihre Forderungen aufzustellen, ist der Wunsch,
gerecht behandelt zu werden. Für den tiefer schauenden aber ist es klar, daß
es sich hier nicht allein um Gerechtigkeit handelt, sondern daß es zugleich ein
Vordringen des moralisch erstarkten germanischen Elements ist, das sich nicht
länger vom romanischen am Gängelbande führen lassen will. Die französische
Rasse, die so lange die führende in Europa gewesen ist, fängt augenscheinlich
an, altersschwach zu werden, und dankt zu Gunsten der germanischen ab. Der
Krieg vom Jahre 1870 war das Vorspiel des großen Dramas. Andre Akte
sind in Vorbereitung. Einer davon spielt sich in dem Kampfe um das Gesetz
Vriendt-Coremans ab, das das Mimische dem Französischen völlig gleich
stellen will. Die Zähigkeit, mit der die Vlamen auf ihrem Rechte be¬
harren, wird die Ränke der „Fransqnillons," d. h. der Französischgesinnten
überwinden, und dabei ist ihnen die moralische Unterstützung der national
gesinnten Reichsdeutschen sicher. Es vergeht keine vlämische Demonstration,
wo nicht Telegramme und Briefe aus dem Reiche ankamen, um Sympathie
zu bezeugen; selbst aus Österreich, das Belgien so fern liegt, pflegen
Huldigungsschrciben zu kommen, wie überhaupt das Interesse der Deutsch¬
österreicher an dem Aufschwung der Vlamen größer zu sein scheint als
das der Rcichsländischen. Die Wallonen auf der andern Seite haben die
ganze französische Nation hinter sich. Sie stärken sich durch deren Litteratur,
durch ihre Zeitungen, ja sie werden augenscheinlich auch materiell unterstützt.
Man weiß, daß der frühere Minister Rogier, dem man jetzt in Brüssel ein
Denkmal setzen will, offen für die Annexion an Frankreich gewirkt hat.

Bei diesem Gegensatz zwischen den beiden so verschiednen Volksstämmen,
die das heutige Königreich Belgien bilden, ist es gewiß nicht uninteressant, zu


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[0242] [Abbildung] Vlamen und Wallonen er Sprachenstreit in Belgien hat eine Höhe erreicht, die für die Ruhe des Landes gefährlich zu werden droht. Bis jetzt galt das Französische, die Schriftsprache der Wallonen, ausschließlich als Amtssprache. Aber die Vlamen haben angefangen diese Alleinherrschaft zu erschüttern, und sie werden aller Voraussicht uach die volle Gleichberechtigung erlangen. Ihr endgiltiger Sieg ist nnr eine Frage der Zeit. Was die Vlamen bestimmt, ihre Forderungen aufzustellen, ist der Wunsch, gerecht behandelt zu werden. Für den tiefer schauenden aber ist es klar, daß es sich hier nicht allein um Gerechtigkeit handelt, sondern daß es zugleich ein Vordringen des moralisch erstarkten germanischen Elements ist, das sich nicht länger vom romanischen am Gängelbande führen lassen will. Die französische Rasse, die so lange die führende in Europa gewesen ist, fängt augenscheinlich an, altersschwach zu werden, und dankt zu Gunsten der germanischen ab. Der Krieg vom Jahre 1870 war das Vorspiel des großen Dramas. Andre Akte sind in Vorbereitung. Einer davon spielt sich in dem Kampfe um das Gesetz Vriendt-Coremans ab, das das Mimische dem Französischen völlig gleich stellen will. Die Zähigkeit, mit der die Vlamen auf ihrem Rechte be¬ harren, wird die Ränke der „Fransqnillons," d. h. der Französischgesinnten überwinden, und dabei ist ihnen die moralische Unterstützung der national gesinnten Reichsdeutschen sicher. Es vergeht keine vlämische Demonstration, wo nicht Telegramme und Briefe aus dem Reiche ankamen, um Sympathie zu bezeugen; selbst aus Österreich, das Belgien so fern liegt, pflegen Huldigungsschrciben zu kommen, wie überhaupt das Interesse der Deutsch¬ österreicher an dem Aufschwung der Vlamen größer zu sein scheint als das der Rcichsländischen. Die Wallonen auf der andern Seite haben die ganze französische Nation hinter sich. Sie stärken sich durch deren Litteratur, durch ihre Zeitungen, ja sie werden augenscheinlich auch materiell unterstützt. Man weiß, daß der frühere Minister Rogier, dem man jetzt in Brüssel ein Denkmal setzen will, offen für die Annexion an Frankreich gewirkt hat. Bei diesem Gegensatz zwischen den beiden so verschiednen Volksstämmen, die das heutige Königreich Belgien bilden, ist es gewiß nicht uninteressant, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/242>, abgerufen am 23.07.2024.