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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Militärvorlage und der Antrag Bennigsen

le unter diesem Titel von der nativnalliberalen Zentral¬
leitung herausgegebne Schrift hat das Verdienst, die Sachlage
klarer zu machen und denen, die den Verhandlungen des Reichs¬
tags und der Militürkommisston nicht ganz zu folgen vermocht
haben, die Fragen, um die es sich handelt, näher zu bringen.
In der Annahme, das; wir damit manchen Lesern dieser Blätter einen Dienst
erweisen, wollen wir zunächst auf das Thatsächliche der Lage etwas näher
eingehn.*)

Seit Beginn des deutschen Reiches hat im Hinblick auf die Gefahren,
denen Deutschland durch seine Lage inmitten von Europa ausgesetzt ist, das
deutsche Heer stets von neuem verstärkt werden müssen. Seit dem 1. Oktober
1890 betrug die höchste gesetzliche Friedensstärke an Mannschaften und Unter¬
offizieren 486 983 Mann. Die wirkliche Friedensstärke jedoch betrug durch¬
schnittlich nur 406 000 Mann. Die Dienstzeit ist bekanntlich durch die Ver¬
fassung auf drei Jahre festgesetzt. Thatsächlich wurde jedoch bei der Infanterie
und Artillerie ein großer Teil der Mannschaft schon nach Ablauf des zweiten
Dienstjahrs entlassen, sodaß sich z. B. bei den Entlassungen im Herbst 1892
ergab, daß mir 57 362 Mann auch das dritte Jahr hindurch gedient hatten.

Dem Gesetz nach ist zwar jeder Deutsche, wenn er gesund ist, dienst¬
pflichtig. Die zu dem Dienst herangezognen Mannschaften erschöpften jedoch
bei weitem nicht die Zahl der Waffenfähigen, die alljährlich heranwuchsen, so-
dnß von diesen ein großer Teil kraft des gezognen Loses vom Dienste frei-



Ganz klar geworden sind freilich die Verhältnisse auch durch die Broschüre noch
nicht. Namentlich lassen die vielen Zahlenangaben noch manches zweifelhaft. Auch die Be¬
gründung der Regierungsvorlage ist sehr durstig. Dies zur Entschuldigung, wenn auch in
diesem Aufsähe manches nicht völlig klar befunden werden sollte. -- (Nachdem dieser Aufsatz
zum Druck abgesandt war, hat die norddeutsche Allgemeine Zeitung in zwei Artikeln "Irr¬
tümer" dargelegt, die sie der Broschüre zum Vorwurf macht. Soweit als möglich, sollen
diese Berichtigungen hier bei der Korrektur in Form von Anmerkungen nachgetragen werden.
Übrigens beweist dieser Vorgang, wie sehr es zu wünschen wäre, daß die Militärverwaltung
selbst eine gcmeinfnßliche eingehende Darstellung der Sachlage veröffentlichte.)


Die Militärvorlage und der Antrag Bennigsen

le unter diesem Titel von der nativnalliberalen Zentral¬
leitung herausgegebne Schrift hat das Verdienst, die Sachlage
klarer zu machen und denen, die den Verhandlungen des Reichs¬
tags und der Militürkommisston nicht ganz zu folgen vermocht
haben, die Fragen, um die es sich handelt, näher zu bringen.
In der Annahme, das; wir damit manchen Lesern dieser Blätter einen Dienst
erweisen, wollen wir zunächst auf das Thatsächliche der Lage etwas näher
eingehn.*)

Seit Beginn des deutschen Reiches hat im Hinblick auf die Gefahren,
denen Deutschland durch seine Lage inmitten von Europa ausgesetzt ist, das
deutsche Heer stets von neuem verstärkt werden müssen. Seit dem 1. Oktober
1890 betrug die höchste gesetzliche Friedensstärke an Mannschaften und Unter¬
offizieren 486 983 Mann. Die wirkliche Friedensstärke jedoch betrug durch¬
schnittlich nur 406 000 Mann. Die Dienstzeit ist bekanntlich durch die Ver¬
fassung auf drei Jahre festgesetzt. Thatsächlich wurde jedoch bei der Infanterie
und Artillerie ein großer Teil der Mannschaft schon nach Ablauf des zweiten
Dienstjahrs entlassen, sodaß sich z. B. bei den Entlassungen im Herbst 1892
ergab, daß mir 57 362 Mann auch das dritte Jahr hindurch gedient hatten.

Dem Gesetz nach ist zwar jeder Deutsche, wenn er gesund ist, dienst¬
pflichtig. Die zu dem Dienst herangezognen Mannschaften erschöpften jedoch
bei weitem nicht die Zahl der Waffenfähigen, die alljährlich heranwuchsen, so-
dnß von diesen ein großer Teil kraft des gezognen Loses vom Dienste frei-



Ganz klar geworden sind freilich die Verhältnisse auch durch die Broschüre noch
nicht. Namentlich lassen die vielen Zahlenangaben noch manches zweifelhaft. Auch die Be¬
gründung der Regierungsvorlage ist sehr durstig. Dies zur Entschuldigung, wenn auch in
diesem Aufsähe manches nicht völlig klar befunden werden sollte. — (Nachdem dieser Aufsatz
zum Druck abgesandt war, hat die norddeutsche Allgemeine Zeitung in zwei Artikeln „Irr¬
tümer" dargelegt, die sie der Broschüre zum Vorwurf macht. Soweit als möglich, sollen
diese Berichtigungen hier bei der Korrektur in Form von Anmerkungen nachgetragen werden.
Übrigens beweist dieser Vorgang, wie sehr es zu wünschen wäre, daß die Militärverwaltung
selbst eine gcmeinfnßliche eingehende Darstellung der Sachlage veröffentlichte.)
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[0173] [Abbildung] Die Militärvorlage und der Antrag Bennigsen le unter diesem Titel von der nativnalliberalen Zentral¬ leitung herausgegebne Schrift hat das Verdienst, die Sachlage klarer zu machen und denen, die den Verhandlungen des Reichs¬ tags und der Militürkommisston nicht ganz zu folgen vermocht haben, die Fragen, um die es sich handelt, näher zu bringen. In der Annahme, das; wir damit manchen Lesern dieser Blätter einen Dienst erweisen, wollen wir zunächst auf das Thatsächliche der Lage etwas näher eingehn.*) Seit Beginn des deutschen Reiches hat im Hinblick auf die Gefahren, denen Deutschland durch seine Lage inmitten von Europa ausgesetzt ist, das deutsche Heer stets von neuem verstärkt werden müssen. Seit dem 1. Oktober 1890 betrug die höchste gesetzliche Friedensstärke an Mannschaften und Unter¬ offizieren 486 983 Mann. Die wirkliche Friedensstärke jedoch betrug durch¬ schnittlich nur 406 000 Mann. Die Dienstzeit ist bekanntlich durch die Ver¬ fassung auf drei Jahre festgesetzt. Thatsächlich wurde jedoch bei der Infanterie und Artillerie ein großer Teil der Mannschaft schon nach Ablauf des zweiten Dienstjahrs entlassen, sodaß sich z. B. bei den Entlassungen im Herbst 1892 ergab, daß mir 57 362 Mann auch das dritte Jahr hindurch gedient hatten. Dem Gesetz nach ist zwar jeder Deutsche, wenn er gesund ist, dienst¬ pflichtig. Die zu dem Dienst herangezognen Mannschaften erschöpften jedoch bei weitem nicht die Zahl der Waffenfähigen, die alljährlich heranwuchsen, so- dnß von diesen ein großer Teil kraft des gezognen Loses vom Dienste frei- Ganz klar geworden sind freilich die Verhältnisse auch durch die Broschüre noch nicht. Namentlich lassen die vielen Zahlenangaben noch manches zweifelhaft. Auch die Be¬ gründung der Regierungsvorlage ist sehr durstig. Dies zur Entschuldigung, wenn auch in diesem Aufsähe manches nicht völlig klar befunden werden sollte. — (Nachdem dieser Aufsatz zum Druck abgesandt war, hat die norddeutsche Allgemeine Zeitung in zwei Artikeln „Irr¬ tümer" dargelegt, die sie der Broschüre zum Vorwurf macht. Soweit als möglich, sollen diese Berichtigungen hier bei der Korrektur in Form von Anmerkungen nachgetragen werden. Übrigens beweist dieser Vorgang, wie sehr es zu wünschen wäre, daß die Militärverwaltung selbst eine gcmeinfnßliche eingehende Darstellung der Sachlage veröffentlichte.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/173>, abgerufen am 29.06.2024.