Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.kann, zustande kommen dürfte. Dabei ist es völlig gleichartig, daß unsre Hiermit ist aber die von mir aufgeworfene Frage erledigt: das Kunstwerk (Lin Vogelsberger Schulmeister vor fünfzig Jahren 2 le nächste Poststelle, von der ans Briefe und Zeitungen wöchentlich War das nur eine Aufregung! Die Schule aussetzen und den Brief persönlich Das war eine Freudenbotschaft. Freisthdvne war Pfarrdorf. Es war früher Unser Schulmeister machte sich also zunächst nach der Kreisstadt auf, um sich kann, zustande kommen dürfte. Dabei ist es völlig gleichartig, daß unsre Hiermit ist aber die von mir aufgeworfene Frage erledigt: das Kunstwerk (Lin Vogelsberger Schulmeister vor fünfzig Jahren 2 le nächste Poststelle, von der ans Briefe und Zeitungen wöchentlich War das nur eine Aufregung! Die Schule aussetzen und den Brief persönlich Das war eine Freudenbotschaft. Freisthdvne war Pfarrdorf. Es war früher Unser Schulmeister machte sich also zunächst nach der Kreisstadt auf, um sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0623" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208560"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1912" prev="#ID_1911"> kann, zustande kommen dürfte. Dabei ist es völlig gleichartig, daß unsre<lb/> Kunstwerte ja thatsächlich gar keine vollständige Nachbildung der Wirklichkeit<lb/> sind. Denn auch wenn dies der Fall wäre, würde das nicht zu beseitigende<lb/> Bewußtsein, es nur mit einem Schein statt mit einem Sein zu thun zu habe»,<lb/> in der geschilderten Weise ändernd auf alle Gefühle einwirken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1913"> Hiermit ist aber die von mir aufgeworfene Frage erledigt: das Kunstwerk<lb/> kann ans keinen Fall genau denselben Eindruck, genau dieselbe Gesamtwirkung<lb/> hervorrufen, wie die Wirklichkeit, und umgekehrt. Man mag der angestrebten<lb/> ,.exakten" Nachbildung der Natur einen Wert und Zweck beilegen, welchen<lb/> man will, sie kauu allenfalls dieselben Vorstellungsmassen, aber unter keinen<lb/> Umständen dieselbe» Gefühlsreihe» erzengen. Erkennt ma» aber die erregte»<lb/> Gefühle als das Wesentlichste bei der ästhetische» Wirkung an, so wird man<lb/> sage» könne»: das Ä'unstschöne und das Naturschöne beruhe» auf völlig ver-<lb/> schiedne» Gesetze».</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> (Lin Vogelsberger Schulmeister vor fünfzig Jahren<lb/> 2 </head><lb/> <p xml:id="ID_1914"> le nächste Poststelle, von der ans Briefe und Zeitungen wöchentlich<lb/> einmal in die stillen Dörfer unsers abgelegenen Erdenwinkels gebracht<lb/> wurden, lng vier Stunden entfernt. Da klopfte eines Abends ein<lb/> Murr ans dem Orte um die Thüre und sagte atemlos: Herr<lb/> Lehrer, es liegt ein Brief für Sie auf der Post; er ist von Darm¬<lb/> stadt,, hat ein Regiernngssiegel und kostet Geld. Gewiß ist es ein<lb/> Dekret. Geben Sie Acht, Sie kommen fort! Ach, wie thut mir das leid! — hier<lb/> flössen ihm die Thränen die Wangen herunter — wir hatten Sie so gern! Was<lb/> werden wir denn jetzt für einen kriegen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1915"> War das nur eine Aufregung! Die Schule aussetzen und den Brief persönlich<lb/> holen durfte und wollte der Schulmeister nicht i er mußte warten, bis der Briefbote<lb/> kam. Endlich war er da. Der Brief wurde bezahlt, das Siegel aufgerissen, der Inhalt<lb/> gelesen. Da stand es schwarz ans weiß, daß der Vikar von Z. binnen vier Wochen<lb/> die Lehrer- und Organistenstelle in Freisthdvne, zwei Stunden entfernt, anzutreten<lb/> habe. Zugleich wurde ihm eröffnet, daß er Aussicht habe, sobald die Pension<lb/> des zur Ruhe gesetzten Borgängers geregelt sei, die Stelle endgiltig zu erhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1916"> Das war eine Freudenbotschaft. Freisthdvne war Pfarrdorf. Es war früher<lb/> der Sitz eines freiherrlichen Justiz- und Verwaltnngsamtes gewesen; seine Schul¬<lb/> stelle war für jene Zeit „sehr gut." Sie trug noch der Besvldnngsnoie 450 Gulden<lb/> ein, eine ganz respektable Summe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1917" next="#ID_1918"> Unser Schulmeister machte sich also zunächst nach der Kreisstadt auf, um sich<lb/> zu bedanken und das Nähere zu hören. Der Dekan, ein gescheiter, im Schulwesen<lb/> wohl bewanderter Mann, teilte ihm mit, daß man ihn nach Freischdoue schicke,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0623]
kann, zustande kommen dürfte. Dabei ist es völlig gleichartig, daß unsre
Kunstwerte ja thatsächlich gar keine vollständige Nachbildung der Wirklichkeit
sind. Denn auch wenn dies der Fall wäre, würde das nicht zu beseitigende
Bewußtsein, es nur mit einem Schein statt mit einem Sein zu thun zu habe»,
in der geschilderten Weise ändernd auf alle Gefühle einwirken.
Hiermit ist aber die von mir aufgeworfene Frage erledigt: das Kunstwerk
kann ans keinen Fall genau denselben Eindruck, genau dieselbe Gesamtwirkung
hervorrufen, wie die Wirklichkeit, und umgekehrt. Man mag der angestrebten
,.exakten" Nachbildung der Natur einen Wert und Zweck beilegen, welchen
man will, sie kauu allenfalls dieselben Vorstellungsmassen, aber unter keinen
Umständen dieselbe» Gefühlsreihe» erzengen. Erkennt ma» aber die erregte»
Gefühle als das Wesentlichste bei der ästhetische» Wirkung an, so wird man
sage» könne»: das Ä'unstschöne und das Naturschöne beruhe» auf völlig ver-
schiedne» Gesetze».
(Lin Vogelsberger Schulmeister vor fünfzig Jahren
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le nächste Poststelle, von der ans Briefe und Zeitungen wöchentlich
einmal in die stillen Dörfer unsers abgelegenen Erdenwinkels gebracht
wurden, lng vier Stunden entfernt. Da klopfte eines Abends ein
Murr ans dem Orte um die Thüre und sagte atemlos: Herr
Lehrer, es liegt ein Brief für Sie auf der Post; er ist von Darm¬
stadt,, hat ein Regiernngssiegel und kostet Geld. Gewiß ist es ein
Dekret. Geben Sie Acht, Sie kommen fort! Ach, wie thut mir das leid! — hier
flössen ihm die Thränen die Wangen herunter — wir hatten Sie so gern! Was
werden wir denn jetzt für einen kriegen?
War das nur eine Aufregung! Die Schule aussetzen und den Brief persönlich
holen durfte und wollte der Schulmeister nicht i er mußte warten, bis der Briefbote
kam. Endlich war er da. Der Brief wurde bezahlt, das Siegel aufgerissen, der Inhalt
gelesen. Da stand es schwarz ans weiß, daß der Vikar von Z. binnen vier Wochen
die Lehrer- und Organistenstelle in Freisthdvne, zwei Stunden entfernt, anzutreten
habe. Zugleich wurde ihm eröffnet, daß er Aussicht habe, sobald die Pension
des zur Ruhe gesetzten Borgängers geregelt sei, die Stelle endgiltig zu erhalten.
Das war eine Freudenbotschaft. Freisthdvne war Pfarrdorf. Es war früher
der Sitz eines freiherrlichen Justiz- und Verwaltnngsamtes gewesen; seine Schul¬
stelle war für jene Zeit „sehr gut." Sie trug noch der Besvldnngsnoie 450 Gulden
ein, eine ganz respektable Summe.
Unser Schulmeister machte sich also zunächst nach der Kreisstadt auf, um sich
zu bedanken und das Nähere zu hören. Der Dekan, ein gescheiter, im Schulwesen
wohl bewanderter Mann, teilte ihm mit, daß man ihn nach Freischdoue schicke,
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