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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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zu können, wenn es dieses kleine, spröde deutsche Element nicht zerstört. Denn
daß die Kultur der Ballen mit tausend Fäden am Deutschtum hängt und aus
ihm ihre Lebenskraft saugt, braucht für jeden, der einen Blick auf baltische Ver¬
hältnisse geworfen hat, nicht erst bewiesen zu werden.

Also: das Recht, alle einheimischen Verhältnisse der eignen staatlichen und
nationalen Entwicklung dienstbar zu macheu, hat jeder moderne Staat, und
braucht sich dabei durch frühere Zusagen oder früher erworbene Rechte eines
Bruchteils von Staatsangehörigen nicht beirren zu lassen. Aber er muß auch
wirklich etwas bieten können -- er darf seinen Angehörigen nichts nehmen,
wofür er ihnen keinen Ersatz zu bieten vermag, und darf sie nicht in eine Rich¬
tung hineinzwingen wollen, an der nur eins sicher wäre, nämlich daß alle
Grundlagen der bisherigen Kultur zerstört werden würden. Geschieht dies unter
Umständen, wobei die Unterdrückung des Bruchteils zugleich als Aufhebung der
Gewissens- und Religionsfreiheit und als grobe Vergewaltigung von Gemeinde¬
rechten und Gemeindeeigentum auftritt, so wird das Verfahren zur Barbarei.
Möge es immerhin wahr sein, daß niemand das Recht hat, sich in die Art zu
mischen, wie Nußland mit seinen deutschen Ostseeprovinzen und mit den ver¬
brieften Rechten derselben umspringt: uns wird man die Berechtigung nicht ab¬
sprechen können, diese russische Politik nicht nur als eine grenzenlos thörichte
zu kennzeichnen, als eine Politik, die sich ohne Zweifel am russischen Volks¬
körper selbst bald furchtbar rächen wird, sondern auch als eine solche, die eines
zivilisirten Staates unwürdig ist und durch die das wahre Wesen der angeblich
sich ausbildenden besondern russischen Kultur in einer Weise enthüllt wird, die
dieser "Kultur" das denkbar schärfste Urteil spricht.




Zweikampf und Strafgesetz.
Für Juristen und Nichtjuristen.

chon wiederholt sind in Parlament und Presse Stimmen laut
geworden, welche die Aufhebung der den Zweikampf betreffenden
Strafbestimmungen (M 201 bis 210 des Neichsstrafgesetzbuches)
und die Ausdehnung der gesetzlichen Bestimmungen über die
"Verbrechen und Vergehen wider das Leben" und über die
"Körperverletzung" (§s 211 bis 233 des Neichsstrafgesetzbuches) auf die im Zwei¬
kampf begangenen Verletzungen verlangten. So lange es sich nur um Kund-


zu können, wenn es dieses kleine, spröde deutsche Element nicht zerstört. Denn
daß die Kultur der Ballen mit tausend Fäden am Deutschtum hängt und aus
ihm ihre Lebenskraft saugt, braucht für jeden, der einen Blick auf baltische Ver¬
hältnisse geworfen hat, nicht erst bewiesen zu werden.

Also: das Recht, alle einheimischen Verhältnisse der eignen staatlichen und
nationalen Entwicklung dienstbar zu macheu, hat jeder moderne Staat, und
braucht sich dabei durch frühere Zusagen oder früher erworbene Rechte eines
Bruchteils von Staatsangehörigen nicht beirren zu lassen. Aber er muß auch
wirklich etwas bieten können — er darf seinen Angehörigen nichts nehmen,
wofür er ihnen keinen Ersatz zu bieten vermag, und darf sie nicht in eine Rich¬
tung hineinzwingen wollen, an der nur eins sicher wäre, nämlich daß alle
Grundlagen der bisherigen Kultur zerstört werden würden. Geschieht dies unter
Umständen, wobei die Unterdrückung des Bruchteils zugleich als Aufhebung der
Gewissens- und Religionsfreiheit und als grobe Vergewaltigung von Gemeinde¬
rechten und Gemeindeeigentum auftritt, so wird das Verfahren zur Barbarei.
Möge es immerhin wahr sein, daß niemand das Recht hat, sich in die Art zu
mischen, wie Nußland mit seinen deutschen Ostseeprovinzen und mit den ver¬
brieften Rechten derselben umspringt: uns wird man die Berechtigung nicht ab¬
sprechen können, diese russische Politik nicht nur als eine grenzenlos thörichte
zu kennzeichnen, als eine Politik, die sich ohne Zweifel am russischen Volks¬
körper selbst bald furchtbar rächen wird, sondern auch als eine solche, die eines
zivilisirten Staates unwürdig ist und durch die das wahre Wesen der angeblich
sich ausbildenden besondern russischen Kultur in einer Weise enthüllt wird, die
dieser „Kultur" das denkbar schärfste Urteil spricht.




Zweikampf und Strafgesetz.
Für Juristen und Nichtjuristen.

chon wiederholt sind in Parlament und Presse Stimmen laut
geworden, welche die Aufhebung der den Zweikampf betreffenden
Strafbestimmungen (M 201 bis 210 des Neichsstrafgesetzbuches)
und die Ausdehnung der gesetzlichen Bestimmungen über die
„Verbrechen und Vergehen wider das Leben" und über die
„Körperverletzung" (§s 211 bis 233 des Neichsstrafgesetzbuches) auf die im Zwei¬
kampf begangenen Verletzungen verlangten. So lange es sich nur um Kund-


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[0463] zu können, wenn es dieses kleine, spröde deutsche Element nicht zerstört. Denn daß die Kultur der Ballen mit tausend Fäden am Deutschtum hängt und aus ihm ihre Lebenskraft saugt, braucht für jeden, der einen Blick auf baltische Ver¬ hältnisse geworfen hat, nicht erst bewiesen zu werden. Also: das Recht, alle einheimischen Verhältnisse der eignen staatlichen und nationalen Entwicklung dienstbar zu macheu, hat jeder moderne Staat, und braucht sich dabei durch frühere Zusagen oder früher erworbene Rechte eines Bruchteils von Staatsangehörigen nicht beirren zu lassen. Aber er muß auch wirklich etwas bieten können — er darf seinen Angehörigen nichts nehmen, wofür er ihnen keinen Ersatz zu bieten vermag, und darf sie nicht in eine Rich¬ tung hineinzwingen wollen, an der nur eins sicher wäre, nämlich daß alle Grundlagen der bisherigen Kultur zerstört werden würden. Geschieht dies unter Umständen, wobei die Unterdrückung des Bruchteils zugleich als Aufhebung der Gewissens- und Religionsfreiheit und als grobe Vergewaltigung von Gemeinde¬ rechten und Gemeindeeigentum auftritt, so wird das Verfahren zur Barbarei. Möge es immerhin wahr sein, daß niemand das Recht hat, sich in die Art zu mischen, wie Nußland mit seinen deutschen Ostseeprovinzen und mit den ver¬ brieften Rechten derselben umspringt: uns wird man die Berechtigung nicht ab¬ sprechen können, diese russische Politik nicht nur als eine grenzenlos thörichte zu kennzeichnen, als eine Politik, die sich ohne Zweifel am russischen Volks¬ körper selbst bald furchtbar rächen wird, sondern auch als eine solche, die eines zivilisirten Staates unwürdig ist und durch die das wahre Wesen der angeblich sich ausbildenden besondern russischen Kultur in einer Weise enthüllt wird, die dieser „Kultur" das denkbar schärfste Urteil spricht. Zweikampf und Strafgesetz. Für Juristen und Nichtjuristen. chon wiederholt sind in Parlament und Presse Stimmen laut geworden, welche die Aufhebung der den Zweikampf betreffenden Strafbestimmungen (M 201 bis 210 des Neichsstrafgesetzbuches) und die Ausdehnung der gesetzlichen Bestimmungen über die „Verbrechen und Vergehen wider das Leben" und über die „Körperverletzung" (§s 211 bis 233 des Neichsstrafgesetzbuches) auf die im Zwei¬ kampf begangenen Verletzungen verlangten. So lange es sich nur um Kund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/463>, abgerufen am 22.07.2024.