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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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eine sociale Frage hier jemals geben wird, so wird es nur eine "irische" d. h.
eine Pächterfrage sein.

Doch hierüber ein andermal. Heute endlich scheint die Sonne warm zu
den Fenstern herein -- nach einem fast frühlingsduftigen Regenschauer, dem
ersten seit dem October -- und lockt uns hinaus auf die ölbaumbepflcmzte Hügel¬
kette, wo schon die Lerchen schwirren. Hinaus denn in die Sonne!




politische Briefe.
5. Reichstags - Lröffnung und Präsidentenwahl.

Merkwürdige Leute, die Herren von unserer liberalen Presse. Sie wußten,
die "National-Zeitung" voran, uicht genug zu wiederholen, wie "geschäftsmäßig
und nüchtern die Eröffnungsrede ausgefallen sei, wie sie jeden inneren Schwung
vermissen lasse, der unser nationales Leben durchziehen müsse, wenn ihm die
rechte Kraft und Freudigkeit werden solle". Wie steht es denn aber mit den
Thronreden in anderen Ländern, z. B. in England, dem angeblichen Inbegriff
aller liberalen Vollkommenheiten? Man kann seit 1866 die inhaltreichste Thron¬
rede dort und die unbedeutendste hier nebeneinander stellen, und der Unterschied
zu Gunsten der deutschen ist wie Tag und Nacht. Erst durch den großartigen
Eindruck der diesmalige" Rede im Auslande wurden die klugen Herren inne,
daß diese "jeglichen Schwunges und jeglicher Bedeutung entbehrende Rede" doch
etwas enthalten hat. Ueber das Was freilich sind sie sich noch keineswegs klar.
Die "National-Zeitung", die allen voran war in der Herabsetzung der Thron¬
rede, weiß den Eindruck im Auslande sich nur so zu erklären, daß man dort
geglaubt habe, Deutschland wolle über die Welt herfallen, und daß man darüber
nun mit Vergnügen beruhigt sei. Nein, ihr weisen Herren, so gering wie die
eure -- verzeiht! --, so gering, wie ihr sie schätzt, ist doch die Einsicht im Aus¬
lande nicht. Man hat dort so gut wie ihr gewußt, daß Deutschland niemand
mit Krieg überziehen werde, und ein boshafter Schreiber, wie jener in der 1^11-
ius.I1-AWstts, hat nur Achselzucken erregt. Was man in den nachdrücklichen
Worten der Thronrede liest, ist nicht der harmlose Wunsch, still zu fitzen, son¬
dern die imponirende Zuversicht, die Lage so zu beherrschen, daß Deutschland
die Erhaltung des Friedens sich zur Aufgabe machen und die Lösung derselben


eine sociale Frage hier jemals geben wird, so wird es nur eine „irische" d. h.
eine Pächterfrage sein.

Doch hierüber ein andermal. Heute endlich scheint die Sonne warm zu
den Fenstern herein — nach einem fast frühlingsduftigen Regenschauer, dem
ersten seit dem October — und lockt uns hinaus auf die ölbaumbepflcmzte Hügel¬
kette, wo schon die Lerchen schwirren. Hinaus denn in die Sonne!




politische Briefe.
5. Reichstags - Lröffnung und Präsidentenwahl.

Merkwürdige Leute, die Herren von unserer liberalen Presse. Sie wußten,
die „National-Zeitung" voran, uicht genug zu wiederholen, wie „geschäftsmäßig
und nüchtern die Eröffnungsrede ausgefallen sei, wie sie jeden inneren Schwung
vermissen lasse, der unser nationales Leben durchziehen müsse, wenn ihm die
rechte Kraft und Freudigkeit werden solle". Wie steht es denn aber mit den
Thronreden in anderen Ländern, z. B. in England, dem angeblichen Inbegriff
aller liberalen Vollkommenheiten? Man kann seit 1866 die inhaltreichste Thron¬
rede dort und die unbedeutendste hier nebeneinander stellen, und der Unterschied
zu Gunsten der deutschen ist wie Tag und Nacht. Erst durch den großartigen
Eindruck der diesmalige» Rede im Auslande wurden die klugen Herren inne,
daß diese „jeglichen Schwunges und jeglicher Bedeutung entbehrende Rede" doch
etwas enthalten hat. Ueber das Was freilich sind sie sich noch keineswegs klar.
Die „National-Zeitung", die allen voran war in der Herabsetzung der Thron¬
rede, weiß den Eindruck im Auslande sich nur so zu erklären, daß man dort
geglaubt habe, Deutschland wolle über die Welt herfallen, und daß man darüber
nun mit Vergnügen beruhigt sei. Nein, ihr weisen Herren, so gering wie die
eure — verzeiht! —, so gering, wie ihr sie schätzt, ist doch die Einsicht im Aus¬
lande nicht. Man hat dort so gut wie ihr gewußt, daß Deutschland niemand
mit Krieg überziehen werde, und ein boshafter Schreiber, wie jener in der 1^11-
ius.I1-AWstts, hat nur Achselzucken erregt. Was man in den nachdrücklichen
Worten der Thronrede liest, ist nicht der harmlose Wunsch, still zu fitzen, son¬
dern die imponirende Zuversicht, die Lage so zu beherrschen, daß Deutschland
die Erhaltung des Friedens sich zur Aufgabe machen und die Lösung derselben


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[0355] eine sociale Frage hier jemals geben wird, so wird es nur eine „irische" d. h. eine Pächterfrage sein. Doch hierüber ein andermal. Heute endlich scheint die Sonne warm zu den Fenstern herein — nach einem fast frühlingsduftigen Regenschauer, dem ersten seit dem October — und lockt uns hinaus auf die ölbaumbepflcmzte Hügel¬ kette, wo schon die Lerchen schwirren. Hinaus denn in die Sonne! politische Briefe. 5. Reichstags - Lröffnung und Präsidentenwahl. Merkwürdige Leute, die Herren von unserer liberalen Presse. Sie wußten, die „National-Zeitung" voran, uicht genug zu wiederholen, wie „geschäftsmäßig und nüchtern die Eröffnungsrede ausgefallen sei, wie sie jeden inneren Schwung vermissen lasse, der unser nationales Leben durchziehen müsse, wenn ihm die rechte Kraft und Freudigkeit werden solle". Wie steht es denn aber mit den Thronreden in anderen Ländern, z. B. in England, dem angeblichen Inbegriff aller liberalen Vollkommenheiten? Man kann seit 1866 die inhaltreichste Thron¬ rede dort und die unbedeutendste hier nebeneinander stellen, und der Unterschied zu Gunsten der deutschen ist wie Tag und Nacht. Erst durch den großartigen Eindruck der diesmalige» Rede im Auslande wurden die klugen Herren inne, daß diese „jeglichen Schwunges und jeglicher Bedeutung entbehrende Rede" doch etwas enthalten hat. Ueber das Was freilich sind sie sich noch keineswegs klar. Die „National-Zeitung", die allen voran war in der Herabsetzung der Thron¬ rede, weiß den Eindruck im Auslande sich nur so zu erklären, daß man dort geglaubt habe, Deutschland wolle über die Welt herfallen, und daß man darüber nun mit Vergnügen beruhigt sei. Nein, ihr weisen Herren, so gering wie die eure — verzeiht! —, so gering, wie ihr sie schätzt, ist doch die Einsicht im Aus¬ lande nicht. Man hat dort so gut wie ihr gewußt, daß Deutschland niemand mit Krieg überziehen werde, und ein boshafter Schreiber, wie jener in der 1^11- ius.I1-AWstts, hat nur Achselzucken erregt. Was man in den nachdrücklichen Worten der Thronrede liest, ist nicht der harmlose Wunsch, still zu fitzen, son¬ dern die imponirende Zuversicht, die Lage so zu beherrschen, daß Deutschland die Erhaltung des Friedens sich zur Aufgabe machen und die Lösung derselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/355>, abgerufen am 22.07.2024.