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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Deutsche Keichszustände im 16. Jahrhundert")

Die Bestrebungen des 15. und 16. Jahrhunderts, dem Fehdewesen ernstlich
zu begegnen, kennzeichnen sich in einer unabsehbaren Reihe deutscher Reichs¬
und Landtage, zu deren Beschlüssen das fort und fort blühende Fehdewesen
einen eigenthümlichen Gegensatz bildet. Trotz des "ewigen Landfriedens",
hatte das Unwesen der Fehde und Wegelagerei in ganz Deutschland auch im
Zeitalter der Reformation noch nicht abgenommen und die Machtlosigkeit deutscher
Fürsten spiegelte sich in unzähligen, oft nur von Wenigen unternommenen Raub-
Zügen ab, von denen einige in dem damals mächtigen Kursachsen sogar durch
mehrere Menschenalter sich hinzogen.

Wenn man geneigt ist, in der gänzlichen Zerfahrenheit und Machtlosigkeit
der einzelnen Territorien den Grund des fortdauernden Unwesens zu suchen,
so mag man nicht vergessen, daß die falschen Rechtsanschauungen deutscher
Fürsten, die auf den Reichstagen geflügelte Worte gegen die UnHaltbarkeit
der Reichszustände richteten, sehr oft zur Stärkung der sittenlosen Zustände
das ihre beitrugen. Unter den zahlreichen Beispielen sind folgende Vorgänge
im Braunschweiger Lande im Jahre 1511 ein sprechender Beleg für unsere
Ansicht.

Am 23. März 1511 zog Herzog Heinrich der Mittlere*) von Lüneburg
Mit mäßigem Gefolge aus seiner Residenz Zelle nach Dänemark. Ans einsamen
Wegen wurde er noch innerhalb der Grenzen seines Landes von einer Anzahl
Wegelagerer überfallen, sein Gefolge mißhandelt und ihm vor seiner Entlassung
das Versprechen abgenommen, daß er in gewissen, noch näher festzustellenden
Fristen 40,000 Fi. für feine einstweilige Entlassung zu zahlen habe. Wie sich
später herausstellte, waren dem Herzog die Wegelagerer, die allem Anscheine
uach dem Adel des Landes angehörten, genau bekannt. Ihre Namen erfuhr
jedoch Niemand, obwohl befreundete Fürsten wiederholte Versuche gemacht hatten,
die Schuldigen zu ermitteln. Denn der Herzog glaubte, seinen Schwur halten
W müssen, in welchem ihm auferlegt war, seine Peiniger nie zu verrathen, und
bis zu Entrichtung der Lösesumme sich in Zelle als Gefangenen zu betrachten,
das Sakrament nicht zu empfangen, sowie des Umgangs mit seiner Gemahlin
sich gänzlich zu enthalten. Außerdem hatte der Herzog im Nichtzahluugsfalle




*) Nach unbenützten Quellen des Gesammt-Archivs in Weimar, Abth. 0. Braunschweig,
'e Vraunschwciger Archive enthalten über diese Frage keine Materialien.
**
) Geb. 1468, regierte seit 1436, war wegen der Hildesheimer Stiftsfehde geächtet und
im Kloster Wienhausen 1S32,
Deutsche Keichszustände im 16. Jahrhundert»)

Die Bestrebungen des 15. und 16. Jahrhunderts, dem Fehdewesen ernstlich
zu begegnen, kennzeichnen sich in einer unabsehbaren Reihe deutscher Reichs¬
und Landtage, zu deren Beschlüssen das fort und fort blühende Fehdewesen
einen eigenthümlichen Gegensatz bildet. Trotz des „ewigen Landfriedens",
hatte das Unwesen der Fehde und Wegelagerei in ganz Deutschland auch im
Zeitalter der Reformation noch nicht abgenommen und die Machtlosigkeit deutscher
Fürsten spiegelte sich in unzähligen, oft nur von Wenigen unternommenen Raub-
Zügen ab, von denen einige in dem damals mächtigen Kursachsen sogar durch
mehrere Menschenalter sich hinzogen.

Wenn man geneigt ist, in der gänzlichen Zerfahrenheit und Machtlosigkeit
der einzelnen Territorien den Grund des fortdauernden Unwesens zu suchen,
so mag man nicht vergessen, daß die falschen Rechtsanschauungen deutscher
Fürsten, die auf den Reichstagen geflügelte Worte gegen die UnHaltbarkeit
der Reichszustände richteten, sehr oft zur Stärkung der sittenlosen Zustände
das ihre beitrugen. Unter den zahlreichen Beispielen sind folgende Vorgänge
im Braunschweiger Lande im Jahre 1511 ein sprechender Beleg für unsere
Ansicht.

Am 23. März 1511 zog Herzog Heinrich der Mittlere*) von Lüneburg
Mit mäßigem Gefolge aus seiner Residenz Zelle nach Dänemark. Ans einsamen
Wegen wurde er noch innerhalb der Grenzen seines Landes von einer Anzahl
Wegelagerer überfallen, sein Gefolge mißhandelt und ihm vor seiner Entlassung
das Versprechen abgenommen, daß er in gewissen, noch näher festzustellenden
Fristen 40,000 Fi. für feine einstweilige Entlassung zu zahlen habe. Wie sich
später herausstellte, waren dem Herzog die Wegelagerer, die allem Anscheine
uach dem Adel des Landes angehörten, genau bekannt. Ihre Namen erfuhr
jedoch Niemand, obwohl befreundete Fürsten wiederholte Versuche gemacht hatten,
die Schuldigen zu ermitteln. Denn der Herzog glaubte, seinen Schwur halten
W müssen, in welchem ihm auferlegt war, seine Peiniger nie zu verrathen, und
bis zu Entrichtung der Lösesumme sich in Zelle als Gefangenen zu betrachten,
das Sakrament nicht zu empfangen, sowie des Umgangs mit seiner Gemahlin
sich gänzlich zu enthalten. Außerdem hatte der Herzog im Nichtzahluugsfalle




*) Nach unbenützten Quellen des Gesammt-Archivs in Weimar, Abth. 0. Braunschweig,
'e Vraunschwciger Archive enthalten über diese Frage keine Materialien.
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) Geb. 1468, regierte seit 1436, war wegen der Hildesheimer Stiftsfehde geächtet und
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[0235] Deutsche Keichszustände im 16. Jahrhundert») Die Bestrebungen des 15. und 16. Jahrhunderts, dem Fehdewesen ernstlich zu begegnen, kennzeichnen sich in einer unabsehbaren Reihe deutscher Reichs¬ und Landtage, zu deren Beschlüssen das fort und fort blühende Fehdewesen einen eigenthümlichen Gegensatz bildet. Trotz des „ewigen Landfriedens", hatte das Unwesen der Fehde und Wegelagerei in ganz Deutschland auch im Zeitalter der Reformation noch nicht abgenommen und die Machtlosigkeit deutscher Fürsten spiegelte sich in unzähligen, oft nur von Wenigen unternommenen Raub- Zügen ab, von denen einige in dem damals mächtigen Kursachsen sogar durch mehrere Menschenalter sich hinzogen. Wenn man geneigt ist, in der gänzlichen Zerfahrenheit und Machtlosigkeit der einzelnen Territorien den Grund des fortdauernden Unwesens zu suchen, so mag man nicht vergessen, daß die falschen Rechtsanschauungen deutscher Fürsten, die auf den Reichstagen geflügelte Worte gegen die UnHaltbarkeit der Reichszustände richteten, sehr oft zur Stärkung der sittenlosen Zustände das ihre beitrugen. Unter den zahlreichen Beispielen sind folgende Vorgänge im Braunschweiger Lande im Jahre 1511 ein sprechender Beleg für unsere Ansicht. Am 23. März 1511 zog Herzog Heinrich der Mittlere*) von Lüneburg Mit mäßigem Gefolge aus seiner Residenz Zelle nach Dänemark. Ans einsamen Wegen wurde er noch innerhalb der Grenzen seines Landes von einer Anzahl Wegelagerer überfallen, sein Gefolge mißhandelt und ihm vor seiner Entlassung das Versprechen abgenommen, daß er in gewissen, noch näher festzustellenden Fristen 40,000 Fi. für feine einstweilige Entlassung zu zahlen habe. Wie sich später herausstellte, waren dem Herzog die Wegelagerer, die allem Anscheine uach dem Adel des Landes angehörten, genau bekannt. Ihre Namen erfuhr jedoch Niemand, obwohl befreundete Fürsten wiederholte Versuche gemacht hatten, die Schuldigen zu ermitteln. Denn der Herzog glaubte, seinen Schwur halten W müssen, in welchem ihm auferlegt war, seine Peiniger nie zu verrathen, und bis zu Entrichtung der Lösesumme sich in Zelle als Gefangenen zu betrachten, das Sakrament nicht zu empfangen, sowie des Umgangs mit seiner Gemahlin sich gänzlich zu enthalten. Außerdem hatte der Herzog im Nichtzahluugsfalle *) Nach unbenützten Quellen des Gesammt-Archivs in Weimar, Abth. 0. Braunschweig, 'e Vraunschwciger Archive enthalten über diese Frage keine Materialien. ** ) Geb. 1468, regierte seit 1436, war wegen der Hildesheimer Stiftsfehde geächtet und im Kloster Wienhausen 1S32,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/235>, abgerufen am 28.06.2024.