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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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halb, weil die Liberalen es wünschten! Wozu ist sie denn da? Im Fau-
bourg Saint-Antoine hatte sich an den letzten Tagen eine Anzahl Bürger
zusammengethan, um sich selbst zu helfen und Jeden, der sich an ihrer Habe
vergriff, sofort selbst abzustrafen. Das war das Beste!

Hatten wir also im ersten Falle der Regierung vorzuwerfen gehabt, daß
sie unnützer Weise unschuldige Demonstrationen durch brutales Eingreifen
verschlimmerte und verbitterte, so müssen wir ihr diesmal Schuld geben, daß
sie gefährliche Excesse zu lange duldete, die Aufregung wie geflissentlich ver¬
mehrte, und in beiden Fällen meistens die Unschuldigen für die Schuldigen
büßen ließ.

Auf den 28. Juni ist die Kammer einberufen. Es heißt, es werde keine
Thronrede geben! Dies nimmt uns nicht Wunder, denn trotz seiner eminenten
Kunst doppelzüngig zu reden, müßte Napoleon sich aussprechen, wie er die
durch die Wahlen gemachte Situation aufnimmt, und das wäre gegen seine
Gewohnheit.




Die deutsche evangelische Gemeinde in Bukarest.

Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Bukarest. Von W. Se. Teutschländer,
Pfarrer. Bukarest 1369 8". 141 S. Text und 92 S. diplomatische Beilagen.

Der Verfasser entrollt uns in seinem mit ansprechender Wärme geschriebe¬
nen Buch ein Stück deutschen Lebens voll Hindernisse, Noth, Zwist, Intrigue
und trotzdem gedeihlichen Wachsthums, das mit Fug und Recht als ein Bei¬
trag zur Illustration der Nachtheile gelten kann, die die politische und reli¬
giöse Zerrissenheit des Vaterlandes unseren in die Ferne strebenden Lands¬
leuten gebracht hat. Darf das Buch schon deshalb allgemeineres Interesse
beanspruchen, so steigert sich dies noch durch die neuesten Ereignisse, da die
Thronbesteigung eines Hohenzollern das rumänische Land unserer Theilnahme
ja so viel näher gerückt hat. Es dürfte daher ein Rückblick auf die Schick¬
sale unserer protestantischen Landsleute in Bukarest den Lesern dieser Zeit¬
schrift wohl nicht unwillkommen sein.

Deutsche Einwanderer, seit dem 16. Jahrhundert verschiedener Confession,
lassen sich wie überall im Osten schon im Laufe des Mittelalters in Rumänien
nachweisen; doch stammt die Bildung einer deutschen evangelischen Gemeinde
erst aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, wie denn auch Bukarest erst
seit 1700 Hauptstadt der Wallachei ist. Die Möglichkeit einer Gemeinde-
bildung ist der Intervention des eifrig protestantischen Karls XII. von


halb, weil die Liberalen es wünschten! Wozu ist sie denn da? Im Fau-
bourg Saint-Antoine hatte sich an den letzten Tagen eine Anzahl Bürger
zusammengethan, um sich selbst zu helfen und Jeden, der sich an ihrer Habe
vergriff, sofort selbst abzustrafen. Das war das Beste!

Hatten wir also im ersten Falle der Regierung vorzuwerfen gehabt, daß
sie unnützer Weise unschuldige Demonstrationen durch brutales Eingreifen
verschlimmerte und verbitterte, so müssen wir ihr diesmal Schuld geben, daß
sie gefährliche Excesse zu lange duldete, die Aufregung wie geflissentlich ver¬
mehrte, und in beiden Fällen meistens die Unschuldigen für die Schuldigen
büßen ließ.

Auf den 28. Juni ist die Kammer einberufen. Es heißt, es werde keine
Thronrede geben! Dies nimmt uns nicht Wunder, denn trotz seiner eminenten
Kunst doppelzüngig zu reden, müßte Napoleon sich aussprechen, wie er die
durch die Wahlen gemachte Situation aufnimmt, und das wäre gegen seine
Gewohnheit.




Die deutsche evangelische Gemeinde in Bukarest.

Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Bukarest. Von W. Se. Teutschländer,
Pfarrer. Bukarest 1369 8». 141 S. Text und 92 S. diplomatische Beilagen.

Der Verfasser entrollt uns in seinem mit ansprechender Wärme geschriebe¬
nen Buch ein Stück deutschen Lebens voll Hindernisse, Noth, Zwist, Intrigue
und trotzdem gedeihlichen Wachsthums, das mit Fug und Recht als ein Bei¬
trag zur Illustration der Nachtheile gelten kann, die die politische und reli¬
giöse Zerrissenheit des Vaterlandes unseren in die Ferne strebenden Lands¬
leuten gebracht hat. Darf das Buch schon deshalb allgemeineres Interesse
beanspruchen, so steigert sich dies noch durch die neuesten Ereignisse, da die
Thronbesteigung eines Hohenzollern das rumänische Land unserer Theilnahme
ja so viel näher gerückt hat. Es dürfte daher ein Rückblick auf die Schick¬
sale unserer protestantischen Landsleute in Bukarest den Lesern dieser Zeit¬
schrift wohl nicht unwillkommen sein.

Deutsche Einwanderer, seit dem 16. Jahrhundert verschiedener Confession,
lassen sich wie überall im Osten schon im Laufe des Mittelalters in Rumänien
nachweisen; doch stammt die Bildung einer deutschen evangelischen Gemeinde
erst aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, wie denn auch Bukarest erst
seit 1700 Hauptstadt der Wallachei ist. Die Möglichkeit einer Gemeinde-
bildung ist der Intervention des eifrig protestantischen Karls XII. von


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[0514] halb, weil die Liberalen es wünschten! Wozu ist sie denn da? Im Fau- bourg Saint-Antoine hatte sich an den letzten Tagen eine Anzahl Bürger zusammengethan, um sich selbst zu helfen und Jeden, der sich an ihrer Habe vergriff, sofort selbst abzustrafen. Das war das Beste! Hatten wir also im ersten Falle der Regierung vorzuwerfen gehabt, daß sie unnützer Weise unschuldige Demonstrationen durch brutales Eingreifen verschlimmerte und verbitterte, so müssen wir ihr diesmal Schuld geben, daß sie gefährliche Excesse zu lange duldete, die Aufregung wie geflissentlich ver¬ mehrte, und in beiden Fällen meistens die Unschuldigen für die Schuldigen büßen ließ. Auf den 28. Juni ist die Kammer einberufen. Es heißt, es werde keine Thronrede geben! Dies nimmt uns nicht Wunder, denn trotz seiner eminenten Kunst doppelzüngig zu reden, müßte Napoleon sich aussprechen, wie er die durch die Wahlen gemachte Situation aufnimmt, und das wäre gegen seine Gewohnheit. Die deutsche evangelische Gemeinde in Bukarest. Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Bukarest. Von W. Se. Teutschländer, Pfarrer. Bukarest 1369 8». 141 S. Text und 92 S. diplomatische Beilagen. Der Verfasser entrollt uns in seinem mit ansprechender Wärme geschriebe¬ nen Buch ein Stück deutschen Lebens voll Hindernisse, Noth, Zwist, Intrigue und trotzdem gedeihlichen Wachsthums, das mit Fug und Recht als ein Bei¬ trag zur Illustration der Nachtheile gelten kann, die die politische und reli¬ giöse Zerrissenheit des Vaterlandes unseren in die Ferne strebenden Lands¬ leuten gebracht hat. Darf das Buch schon deshalb allgemeineres Interesse beanspruchen, so steigert sich dies noch durch die neuesten Ereignisse, da die Thronbesteigung eines Hohenzollern das rumänische Land unserer Theilnahme ja so viel näher gerückt hat. Es dürfte daher ein Rückblick auf die Schick¬ sale unserer protestantischen Landsleute in Bukarest den Lesern dieser Zeit¬ schrift wohl nicht unwillkommen sein. Deutsche Einwanderer, seit dem 16. Jahrhundert verschiedener Confession, lassen sich wie überall im Osten schon im Laufe des Mittelalters in Rumänien nachweisen; doch stammt die Bildung einer deutschen evangelischen Gemeinde erst aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, wie denn auch Bukarest erst seit 1700 Hauptstadt der Wallachei ist. Die Möglichkeit einer Gemeinde- bildung ist der Intervention des eifrig protestantischen Karls XII. von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/514>, abgerufen am 04.07.2024.