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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Eduard Gerhard.

Der bedeutende Aufschwung, weichen in den letzten Jahrzehnten die geschicht¬
liche und philologische Erforschung des classischen Alterthums genommen hat,
ist freilich allen Zweigen der Altertumswissenschaft zu Gute gekommen, doch
nicht allen in ganz gleichem Maße. Zu denjenigen Disciplinen, welche von
dieser neuen frischen Entwicklung am meisten Gunst erfahren haben, gehört die
sogenannte Archäologie, die Wissenschaft von der alten Kunst, ja sie hat sich
erst neuerdings den ihr gebührenden Platz unter den Schwesterdisciplincn er¬
worben. Denn so lange die Beschäftigung mit dem Alterthum sich fast ausschlie߬
lich aus die rein philologische Behandlung der alten Schriftwerke beschränkte,
so lange auch die Geschichtsforschung nur die schriftlichen Quellen als rein und
beachtenswerth erkannte, konnten die alten Kunstwerke keine eingehendere Beach¬
tung von dieser Seite finden, man überließ ihre Betrachtung am liebsten
Künstlern und Kunstfreunden, unbekümmert darum, ob denn einst im Leben
der alten Griechen und Römer die Kunst auch eine so unbedeutende Stelle ein-
genommen haben möchte. Inzwischen hatten Winckelmann und seine unmittel-
baren Nachfolger, Heyne. Visconti, Zoega. eine tiefere und gründlichere Behand¬
lung der alten Kunst und ihrer Werke begonnen, aber erst unserem Jahrhundert,
welches darauf drang, auch das classische Alterthum als ein lebendiges Ganze
in der Gesammtheit aller seiner Gcistesäußerungen aufzufassen, konnte es
gelingen, die archäologischen Studien in die heilsame Wechselwirkung mit
den philologischen und historischen Studien zu setzen, und sie so zu einem
integrirenden Theile der Altertumsforschung zu machen. Dieses Verdienst --
das darf man ohne nationale Selbstüberhebung aussprechen -- gebührt Deutsch¬
land, wie denn überhaupt die ganze bezeichnete Betrachtung der Alterthums¬
wissenschaft von Winckelmann vorbereitet, von Friedr. Aug. Wolf begründet,
von Böckh fester und cousequenter durchgeführt, eine deutsche ist. Zu den
Männern, welche sich um die Verbreitung archäologischer Studien in solchem


Gttnzbotcn II. 1867. 67
Eduard Gerhard.

Der bedeutende Aufschwung, weichen in den letzten Jahrzehnten die geschicht¬
liche und philologische Erforschung des classischen Alterthums genommen hat,
ist freilich allen Zweigen der Altertumswissenschaft zu Gute gekommen, doch
nicht allen in ganz gleichem Maße. Zu denjenigen Disciplinen, welche von
dieser neuen frischen Entwicklung am meisten Gunst erfahren haben, gehört die
sogenannte Archäologie, die Wissenschaft von der alten Kunst, ja sie hat sich
erst neuerdings den ihr gebührenden Platz unter den Schwesterdisciplincn er¬
worben. Denn so lange die Beschäftigung mit dem Alterthum sich fast ausschlie߬
lich aus die rein philologische Behandlung der alten Schriftwerke beschränkte,
so lange auch die Geschichtsforschung nur die schriftlichen Quellen als rein und
beachtenswerth erkannte, konnten die alten Kunstwerke keine eingehendere Beach¬
tung von dieser Seite finden, man überließ ihre Betrachtung am liebsten
Künstlern und Kunstfreunden, unbekümmert darum, ob denn einst im Leben
der alten Griechen und Römer die Kunst auch eine so unbedeutende Stelle ein-
genommen haben möchte. Inzwischen hatten Winckelmann und seine unmittel-
baren Nachfolger, Heyne. Visconti, Zoega. eine tiefere und gründlichere Behand¬
lung der alten Kunst und ihrer Werke begonnen, aber erst unserem Jahrhundert,
welches darauf drang, auch das classische Alterthum als ein lebendiges Ganze
in der Gesammtheit aller seiner Gcistesäußerungen aufzufassen, konnte es
gelingen, die archäologischen Studien in die heilsame Wechselwirkung mit
den philologischen und historischen Studien zu setzen, und sie so zu einem
integrirenden Theile der Altertumsforschung zu machen. Dieses Verdienst —
das darf man ohne nationale Selbstüberhebung aussprechen — gebührt Deutsch¬
land, wie denn überhaupt die ganze bezeichnete Betrachtung der Alterthums¬
wissenschaft von Winckelmann vorbereitet, von Friedr. Aug. Wolf begründet,
von Böckh fester und cousequenter durchgeführt, eine deutsche ist. Zu den
Männern, welche sich um die Verbreitung archäologischer Studien in solchem


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[0449] Eduard Gerhard. Der bedeutende Aufschwung, weichen in den letzten Jahrzehnten die geschicht¬ liche und philologische Erforschung des classischen Alterthums genommen hat, ist freilich allen Zweigen der Altertumswissenschaft zu Gute gekommen, doch nicht allen in ganz gleichem Maße. Zu denjenigen Disciplinen, welche von dieser neuen frischen Entwicklung am meisten Gunst erfahren haben, gehört die sogenannte Archäologie, die Wissenschaft von der alten Kunst, ja sie hat sich erst neuerdings den ihr gebührenden Platz unter den Schwesterdisciplincn er¬ worben. Denn so lange die Beschäftigung mit dem Alterthum sich fast ausschlie߬ lich aus die rein philologische Behandlung der alten Schriftwerke beschränkte, so lange auch die Geschichtsforschung nur die schriftlichen Quellen als rein und beachtenswerth erkannte, konnten die alten Kunstwerke keine eingehendere Beach¬ tung von dieser Seite finden, man überließ ihre Betrachtung am liebsten Künstlern und Kunstfreunden, unbekümmert darum, ob denn einst im Leben der alten Griechen und Römer die Kunst auch eine so unbedeutende Stelle ein- genommen haben möchte. Inzwischen hatten Winckelmann und seine unmittel- baren Nachfolger, Heyne. Visconti, Zoega. eine tiefere und gründlichere Behand¬ lung der alten Kunst und ihrer Werke begonnen, aber erst unserem Jahrhundert, welches darauf drang, auch das classische Alterthum als ein lebendiges Ganze in der Gesammtheit aller seiner Gcistesäußerungen aufzufassen, konnte es gelingen, die archäologischen Studien in die heilsame Wechselwirkung mit den philologischen und historischen Studien zu setzen, und sie so zu einem integrirenden Theile der Altertumsforschung zu machen. Dieses Verdienst — das darf man ohne nationale Selbstüberhebung aussprechen — gebührt Deutsch¬ land, wie denn überhaupt die ganze bezeichnete Betrachtung der Alterthums¬ wissenschaft von Winckelmann vorbereitet, von Friedr. Aug. Wolf begründet, von Böckh fester und cousequenter durchgeführt, eine deutsche ist. Zu den Männern, welche sich um die Verbreitung archäologischer Studien in solchem Gttnzbotcn II. 1867. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/449>, abgerufen am 29.06.2024.