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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Der vorarlberger Landtag
ip den letzten Jahren.

Die Volksvertreter von Vorarlberg, einem Ländchen von 103 000 Ein¬
wohnern, das mit Tirol zwar den Statthalter, aber nicht den Ständesaal gemein
hat, waren stets entschiedene Gegner der Frommen am Jnn. Die freien Alle¬
mannen standen, was die Glaubenseinheit betrifft, nie zum tiroler Vollblut, sie
waren die Amalekiter in den Augen Judas, und als es sich im Kampf um die
neuen Verfassung auch um die Wahrung der alten Landesrechte handelte, er¬
hielten jene unsicheren Nachbarn Edoms ihr eigenes Statut. Nach diesem
sitzen im vorarlberger Landtag der fürstbischöfliche Generalvicar, die Ver¬
treter der drei Städte Bregenz. Feldkirch und Bludenz, des Marktes Dornbirn
und der Handels- und Gewcrbekammer, endlich vierzehn Abgeordnete der Land¬
gemeinden, somit im Ganzen zwanzig Mitglieder. Seine Haltung in der öst¬
reichischen Verfassungsfrage erregte im In- und Ausland die Theilnahme der
Freunde des Fortschritts; wir wollen daher zunächst diese, und was sonst noch
zur Bezeichnung unseres frischen Völkleins beiträgt, ins Auge fassen.

An der Spitze der liberalen Partei stehen der seines Freimuthes halber
beliebte Landeshauptmann Sebastian v. Froschauer, dessen geistreicher Freund
Freiherr v. Seyffertitz. der schlagfertige Fabriksherr Karl Gemahl und der biedere
Rechtsanwalt Dr. Jussel. Der Klerus und sein Anhang ist durch den General-
vicar Johann Amberg. auch Bischof v. Europas, vertreten, dem bis zum
Ende der ersten Landtagsperiode im Jahre 1866 Wilhelm Rhomberg als treuer
Knappe zur Seite stand. In den ersten vier Sessionen suchte sich nebenbei der
k. k. Adjunct Alois Riedl durch seine Offenheit bemerklich zu machen, als ihn
aber Schmerling plötzlich nach Tirol versetzte und dessen Nachfolger noch rauhere
Töne anschlug, glaubte er den "Rechtsboden" wankend geworden, verzichtete auf
seinen Platz im Landhause und schloß im glaubensstarken Kältern Frieden und
Freundschaft mit den Frommen.

Nach der Ansicht Belcredis untersagte das Sistirungspatent jede Verhand-
lung über die Verfassungsfrage in den Landtagen diesseits der Leitha. Sie
sollten erst abwarten, bis sich Ungarn und Kroatien über die ihnen zur An¬
nahme vorgelegten Reichsgesetze ausgesprochen und von hoher Stelle der Auf¬
trag an sie ergangen wäre, in die Berathung der "Verhandlungsresultate" ein¬
zutreten, mittlerweile aber die ihnen vorgezeichneten Grenzen einhalten. Die
Reichsvertretung war dem unbeliebten Manne für immer abgethan, er an¬
erkannte nur noch die Landtage als die einzigen "legalen Vertreter" der


Der vorarlberger Landtag
ip den letzten Jahren.

Die Volksvertreter von Vorarlberg, einem Ländchen von 103 000 Ein¬
wohnern, das mit Tirol zwar den Statthalter, aber nicht den Ständesaal gemein
hat, waren stets entschiedene Gegner der Frommen am Jnn. Die freien Alle¬
mannen standen, was die Glaubenseinheit betrifft, nie zum tiroler Vollblut, sie
waren die Amalekiter in den Augen Judas, und als es sich im Kampf um die
neuen Verfassung auch um die Wahrung der alten Landesrechte handelte, er¬
hielten jene unsicheren Nachbarn Edoms ihr eigenes Statut. Nach diesem
sitzen im vorarlberger Landtag der fürstbischöfliche Generalvicar, die Ver¬
treter der drei Städte Bregenz. Feldkirch und Bludenz, des Marktes Dornbirn
und der Handels- und Gewcrbekammer, endlich vierzehn Abgeordnete der Land¬
gemeinden, somit im Ganzen zwanzig Mitglieder. Seine Haltung in der öst¬
reichischen Verfassungsfrage erregte im In- und Ausland die Theilnahme der
Freunde des Fortschritts; wir wollen daher zunächst diese, und was sonst noch
zur Bezeichnung unseres frischen Völkleins beiträgt, ins Auge fassen.

An der Spitze der liberalen Partei stehen der seines Freimuthes halber
beliebte Landeshauptmann Sebastian v. Froschauer, dessen geistreicher Freund
Freiherr v. Seyffertitz. der schlagfertige Fabriksherr Karl Gemahl und der biedere
Rechtsanwalt Dr. Jussel. Der Klerus und sein Anhang ist durch den General-
vicar Johann Amberg. auch Bischof v. Europas, vertreten, dem bis zum
Ende der ersten Landtagsperiode im Jahre 1866 Wilhelm Rhomberg als treuer
Knappe zur Seite stand. In den ersten vier Sessionen suchte sich nebenbei der
k. k. Adjunct Alois Riedl durch seine Offenheit bemerklich zu machen, als ihn
aber Schmerling plötzlich nach Tirol versetzte und dessen Nachfolger noch rauhere
Töne anschlug, glaubte er den „Rechtsboden" wankend geworden, verzichtete auf
seinen Platz im Landhause und schloß im glaubensstarken Kältern Frieden und
Freundschaft mit den Frommen.

Nach der Ansicht Belcredis untersagte das Sistirungspatent jede Verhand-
lung über die Verfassungsfrage in den Landtagen diesseits der Leitha. Sie
sollten erst abwarten, bis sich Ungarn und Kroatien über die ihnen zur An¬
nahme vorgelegten Reichsgesetze ausgesprochen und von hoher Stelle der Auf¬
trag an sie ergangen wäre, in die Berathung der „Verhandlungsresultate" ein¬
zutreten, mittlerweile aber die ihnen vorgezeichneten Grenzen einhalten. Die
Reichsvertretung war dem unbeliebten Manne für immer abgethan, er an¬
erkannte nur noch die Landtage als die einzigen „legalen Vertreter" der


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[0379] Der vorarlberger Landtag ip den letzten Jahren. Die Volksvertreter von Vorarlberg, einem Ländchen von 103 000 Ein¬ wohnern, das mit Tirol zwar den Statthalter, aber nicht den Ständesaal gemein hat, waren stets entschiedene Gegner der Frommen am Jnn. Die freien Alle¬ mannen standen, was die Glaubenseinheit betrifft, nie zum tiroler Vollblut, sie waren die Amalekiter in den Augen Judas, und als es sich im Kampf um die neuen Verfassung auch um die Wahrung der alten Landesrechte handelte, er¬ hielten jene unsicheren Nachbarn Edoms ihr eigenes Statut. Nach diesem sitzen im vorarlberger Landtag der fürstbischöfliche Generalvicar, die Ver¬ treter der drei Städte Bregenz. Feldkirch und Bludenz, des Marktes Dornbirn und der Handels- und Gewcrbekammer, endlich vierzehn Abgeordnete der Land¬ gemeinden, somit im Ganzen zwanzig Mitglieder. Seine Haltung in der öst¬ reichischen Verfassungsfrage erregte im In- und Ausland die Theilnahme der Freunde des Fortschritts; wir wollen daher zunächst diese, und was sonst noch zur Bezeichnung unseres frischen Völkleins beiträgt, ins Auge fassen. An der Spitze der liberalen Partei stehen der seines Freimuthes halber beliebte Landeshauptmann Sebastian v. Froschauer, dessen geistreicher Freund Freiherr v. Seyffertitz. der schlagfertige Fabriksherr Karl Gemahl und der biedere Rechtsanwalt Dr. Jussel. Der Klerus und sein Anhang ist durch den General- vicar Johann Amberg. auch Bischof v. Europas, vertreten, dem bis zum Ende der ersten Landtagsperiode im Jahre 1866 Wilhelm Rhomberg als treuer Knappe zur Seite stand. In den ersten vier Sessionen suchte sich nebenbei der k. k. Adjunct Alois Riedl durch seine Offenheit bemerklich zu machen, als ihn aber Schmerling plötzlich nach Tirol versetzte und dessen Nachfolger noch rauhere Töne anschlug, glaubte er den „Rechtsboden" wankend geworden, verzichtete auf seinen Platz im Landhause und schloß im glaubensstarken Kältern Frieden und Freundschaft mit den Frommen. Nach der Ansicht Belcredis untersagte das Sistirungspatent jede Verhand- lung über die Verfassungsfrage in den Landtagen diesseits der Leitha. Sie sollten erst abwarten, bis sich Ungarn und Kroatien über die ihnen zur An¬ nahme vorgelegten Reichsgesetze ausgesprochen und von hoher Stelle der Auf¬ trag an sie ergangen wäre, in die Berathung der „Verhandlungsresultate" ein¬ zutreten, mittlerweile aber die ihnen vorgezeichneten Grenzen einhalten. Die Reichsvertretung war dem unbeliebten Manne für immer abgethan, er an¬ erkannte nur noch die Landtage als die einzigen „legalen Vertreter" der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/379>, abgerufen am 29.06.2024.