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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Musikalische Literatur.

K. F. P o h l, Mozart und Hnydn in London. Zweite Abtheilung. Haydn in
London. Wien, Carl Gerolds Sohn. 1867. ' ^ ^ ^

- Mit erfreulicher Nachtzeit ist der in den Grenzboten.seiner Zeit besprochenen
ersteig Hälfte dieses Buchs die zweite gefolgt, jener an Umfang -- es ist ein
stattliches Bändchen von 387 Seiten -- und, namentlich was den Hauptgegen-
stand anlangt, auch an Bedeutung überlegen. War Mozart in London, im
Wesentlichen die Veranlassung, die Musikzustände der, Hauptstadt während.der
Zeit, zu schildern, welche ,das Wunderkind dort zubrachte, ohne seinerseits einen
Kinfluß auf dieselbe auszuüben, so ist dagegen Haydn entschieden die Haupt'
Person des reichen Bildes, welches hier vor uns aufgerollt wird. Haydn. der
als ein M.um von flO Jahren einen langen Zeitraum, welcher manche be¬
deutende Kunstlcrlaufbahn zu Ende führte, in den zwar in vieler Hinsicht für
ruhiges Schaffen günstigen, aber doch beengenden Verhältnissen als esterhajy-
scher Kapellmeister verlebt hatte, erfreute sich zwar eines auegedehnten Rufe als
Jnstruinentalcomponist. aber bei weitem nicht in der Art, wie er in der Kunst,
geschichte fortleben wird, ,am wenigsten in Wien, wo man vorzugsweise den
sürst!. esterhazyschcn Kammcrcompositeur in ihm sah. was er bilder empfand.
Auf seinen Platz stellte ihn die persönliche laute Anerkennung der Weltstadt,
die dann auch in Wien und weiter ihr Echo fand. Aber Haydn brachte nicht
blos Ruhm und Geld von London mit zurück. Wir haben hier die überaus
merkwürdige Erscheinung, daß ein schon bejahrter Künstler, aus beschränkren
Verhältnissen hervorgezogen, durch großartige Umgebungen und rückhaltslose
Bewunderung einer Stadt wie London angeregt und gehoben, sich nun auch
selbst zu der Höhe des Schaffens emporschwingt, welche zu erreichen die Kraft
in ihn gelegt war. Die großartigsten Werke hat Haydn infolge seines Aufent¬
halts in London hervorgebracht, der Haydn, welchen wir kennen, welcher in
der Kunstgeschichte seinen festen Platz einnimmt, beginnt erst von London aus
seine Siegeslaufbahn. Auch der Einfluß seines Aufenthalts auf die musika¬
lischen Verhältnisse von London war ein sehr bedeutende. Neben der festen
und unerschütterlichen Tradition, durch welche in England die tiefgreifende und
weit.Verbreitete Bewunderung und Kenntniß Hä ndels dem ernsteren Interesse
für, Musik festen Halt und Boden gab, hatte der unaufhörlich nach London ge¬
leitete, breite Strom von Künstlern doch nur eine vorübergehende Theilnahme
an Virtuosenleistungen hervorrufen können. Hayd n war die erste künstlerische


Musikalische Literatur.

K. F. P o h l, Mozart und Hnydn in London. Zweite Abtheilung. Haydn in
London. Wien, Carl Gerolds Sohn. 1867. ' ^ ^ ^

- Mit erfreulicher Nachtzeit ist der in den Grenzboten.seiner Zeit besprochenen
ersteig Hälfte dieses Buchs die zweite gefolgt, jener an Umfang — es ist ein
stattliches Bändchen von 387 Seiten — und, namentlich was den Hauptgegen-
stand anlangt, auch an Bedeutung überlegen. War Mozart in London, im
Wesentlichen die Veranlassung, die Musikzustände der, Hauptstadt während.der
Zeit, zu schildern, welche ,das Wunderkind dort zubrachte, ohne seinerseits einen
Kinfluß auf dieselbe auszuüben, so ist dagegen Haydn entschieden die Haupt'
Person des reichen Bildes, welches hier vor uns aufgerollt wird. Haydn. der
als ein M.um von flO Jahren einen langen Zeitraum, welcher manche be¬
deutende Kunstlcrlaufbahn zu Ende führte, in den zwar in vieler Hinsicht für
ruhiges Schaffen günstigen, aber doch beengenden Verhältnissen als esterhajy-
scher Kapellmeister verlebt hatte, erfreute sich zwar eines auegedehnten Rufe als
Jnstruinentalcomponist. aber bei weitem nicht in der Art, wie er in der Kunst,
geschichte fortleben wird, ,am wenigsten in Wien, wo man vorzugsweise den
sürst!. esterhazyschcn Kammcrcompositeur in ihm sah. was er bilder empfand.
Auf seinen Platz stellte ihn die persönliche laute Anerkennung der Weltstadt,
die dann auch in Wien und weiter ihr Echo fand. Aber Haydn brachte nicht
blos Ruhm und Geld von London mit zurück. Wir haben hier die überaus
merkwürdige Erscheinung, daß ein schon bejahrter Künstler, aus beschränkren
Verhältnissen hervorgezogen, durch großartige Umgebungen und rückhaltslose
Bewunderung einer Stadt wie London angeregt und gehoben, sich nun auch
selbst zu der Höhe des Schaffens emporschwingt, welche zu erreichen die Kraft
in ihn gelegt war. Die großartigsten Werke hat Haydn infolge seines Aufent¬
halts in London hervorgebracht, der Haydn, welchen wir kennen, welcher in
der Kunstgeschichte seinen festen Platz einnimmt, beginnt erst von London aus
seine Siegeslaufbahn. Auch der Einfluß seines Aufenthalts auf die musika¬
lischen Verhältnisse von London war ein sehr bedeutende. Neben der festen
und unerschütterlichen Tradition, durch welche in England die tiefgreifende und
weit.Verbreitete Bewunderung und Kenntniß Hä ndels dem ernsteren Interesse
für, Musik festen Halt und Boden gab, hatte der unaufhörlich nach London ge¬
leitete, breite Strom von Künstlern doch nur eine vorübergehende Theilnahme
an Virtuosenleistungen hervorrufen können. Hayd n war die erste künstlerische


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[0321] Musikalische Literatur. K. F. P o h l, Mozart und Hnydn in London. Zweite Abtheilung. Haydn in London. Wien, Carl Gerolds Sohn. 1867. ' ^ ^ ^ - Mit erfreulicher Nachtzeit ist der in den Grenzboten.seiner Zeit besprochenen ersteig Hälfte dieses Buchs die zweite gefolgt, jener an Umfang — es ist ein stattliches Bändchen von 387 Seiten — und, namentlich was den Hauptgegen- stand anlangt, auch an Bedeutung überlegen. War Mozart in London, im Wesentlichen die Veranlassung, die Musikzustände der, Hauptstadt während.der Zeit, zu schildern, welche ,das Wunderkind dort zubrachte, ohne seinerseits einen Kinfluß auf dieselbe auszuüben, so ist dagegen Haydn entschieden die Haupt' Person des reichen Bildes, welches hier vor uns aufgerollt wird. Haydn. der als ein M.um von flO Jahren einen langen Zeitraum, welcher manche be¬ deutende Kunstlcrlaufbahn zu Ende führte, in den zwar in vieler Hinsicht für ruhiges Schaffen günstigen, aber doch beengenden Verhältnissen als esterhajy- scher Kapellmeister verlebt hatte, erfreute sich zwar eines auegedehnten Rufe als Jnstruinentalcomponist. aber bei weitem nicht in der Art, wie er in der Kunst, geschichte fortleben wird, ,am wenigsten in Wien, wo man vorzugsweise den sürst!. esterhazyschcn Kammcrcompositeur in ihm sah. was er bilder empfand. Auf seinen Platz stellte ihn die persönliche laute Anerkennung der Weltstadt, die dann auch in Wien und weiter ihr Echo fand. Aber Haydn brachte nicht blos Ruhm und Geld von London mit zurück. Wir haben hier die überaus merkwürdige Erscheinung, daß ein schon bejahrter Künstler, aus beschränkren Verhältnissen hervorgezogen, durch großartige Umgebungen und rückhaltslose Bewunderung einer Stadt wie London angeregt und gehoben, sich nun auch selbst zu der Höhe des Schaffens emporschwingt, welche zu erreichen die Kraft in ihn gelegt war. Die großartigsten Werke hat Haydn infolge seines Aufent¬ halts in London hervorgebracht, der Haydn, welchen wir kennen, welcher in der Kunstgeschichte seinen festen Platz einnimmt, beginnt erst von London aus seine Siegeslaufbahn. Auch der Einfluß seines Aufenthalts auf die musika¬ lischen Verhältnisse von London war ein sehr bedeutende. Neben der festen und unerschütterlichen Tradition, durch welche in England die tiefgreifende und weit.Verbreitete Bewunderung und Kenntniß Hä ndels dem ernsteren Interesse für, Musik festen Halt und Boden gab, hatte der unaufhörlich nach London ge¬ leitete, breite Strom von Künstlern doch nur eine vorübergehende Theilnahme an Virtuosenleistungen hervorrufen können. Hayd n war die erste künstlerische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/321>, abgerufen am 29.06.2024.