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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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dauern über den "unersetzlichen Verlust der Biographie Tibers von der Hand
des feinen Seelcnmalers Plutarch" -- als ob wir von diesem seichten Anek-
dotenkrämer nicht übergenug besäßen, um zu wissen, daß er unschätzbar
als Fundgrube für Fragmentensammlungcn der griechischen Historiker, recht nütz¬
lich zu Studien über den Hiatus, für den Geschichtschreiber aber so gut wie
unbrauchbar ist.


Carl Peter, Studien zur römischen Geschichte, Ein Beitrag zur Kritik von
Th, Mommsens römischer Geschichte. Halle, Verlag der Buchhandlung des Wai¬
senhauses, 1863. (VI und 183 S,) 8.

Das Urtheil über das mommsensche Werk hat sich bei Freunden wie bei
Gegnern nunmehr so ziemlich geklärt. Alle sind darin einig, daß mit ihm die
römische Geschichtschreibung seit Niebuhr in ein neues Stadium getreten ist.

Die Berechtigung der Freunde beruht darauf, daß Mommsen zu den Aus¬
erwählten gehört, die mit politischem Verstand Geschichte schreiben? daß er von
dem Rechte des Genies, die von geistlosen Quellenschriststellern überlieferte Ge¬
schichte in neuer und origineller Weise zu beleuchten, den umfassendsten und
glänzendsten Gebrauch gemacht hat; daß er die bisher ganz vernachlässigte volks-
wirthschaftliche Seite der Geschichte Roms in ihr Recht eingesetzt, zum ersten
Male von diesem als dem leitenden Gesichtspunkte aus die Thaten des römi¬
schen Volks geschrieben hat; sie beruhtauf den auteur- und literargeschichtiichen
Abschnitten des Werks, auf seinen Charakterschilderungen als Meisterwerken in
ihrer Art (man denke an Hamilkar, Hannibal, Sulla); auf den eminenten philo¬
logischen und juristischen Studien, durch die sich Mommsen auf seinen Be¬
ruf als Historiker vorbereitet hat; auf der Anschaulichkeit und pikanten Lebhaf¬
tigkeit der Darstellung, die verbunden mit der glanzvollen Diction nicht am
wenigsten zu dem außerordentlichen Erfolge des Werks beigetragen hat. End¬
lich und vor Allem beruht diese Berechtigung auf der beredten Leidenschaft, die
so angenehm empfunden worden ist als berechtigter Rückschlag gegen jene stand-
punktlosc Ovjectivität, die jetzt einen Alexander den Sechsten charmant findet,
dann einen Luther in seiner Art auch wieder ganz charmant findet, heute mit
einer Lebendigkeit, hinter der man die Wärme der Ueberzeugung vermuthet, die
jahrhundertlange kämpf- und mühereiche Arbeit verherrlicht, durch die ein Volk
zur Freiheit und Selbstregierung erzogen wird, um morgen vielleicht mit gra¬
ziöser Meisterschaft Leitartikel für die Kreuzzeitung zu liefern. --

Von Mommsens Gegnern wird ihm vorgeworfen, daß er die Grenzen,
welche der Berechtigung auch des Genies gesteckt sind, übersprungen hat; vor¬
geworfen wird ihm sein Heroencultus, der nur zu geneigt ist, Alles, was neben
dem gefeierten Helden oder gar ihm entgegen steht, in den Schatten zu stellen
oder in den Staub zu ziehen, und, was die Kehrseite jenes Heroencultus ist,
die Mißhandlung gewisser ihm nicht zusagender Persönlichkeiten (z. B. des


dauern über den „unersetzlichen Verlust der Biographie Tibers von der Hand
des feinen Seelcnmalers Plutarch" — als ob wir von diesem seichten Anek-
dotenkrämer nicht übergenug besäßen, um zu wissen, daß er unschätzbar
als Fundgrube für Fragmentensammlungcn der griechischen Historiker, recht nütz¬
lich zu Studien über den Hiatus, für den Geschichtschreiber aber so gut wie
unbrauchbar ist.


Carl Peter, Studien zur römischen Geschichte, Ein Beitrag zur Kritik von
Th, Mommsens römischer Geschichte. Halle, Verlag der Buchhandlung des Wai¬
senhauses, 1863. (VI und 183 S,) 8.

Das Urtheil über das mommsensche Werk hat sich bei Freunden wie bei
Gegnern nunmehr so ziemlich geklärt. Alle sind darin einig, daß mit ihm die
römische Geschichtschreibung seit Niebuhr in ein neues Stadium getreten ist.

Die Berechtigung der Freunde beruht darauf, daß Mommsen zu den Aus¬
erwählten gehört, die mit politischem Verstand Geschichte schreiben? daß er von
dem Rechte des Genies, die von geistlosen Quellenschriststellern überlieferte Ge¬
schichte in neuer und origineller Weise zu beleuchten, den umfassendsten und
glänzendsten Gebrauch gemacht hat; daß er die bisher ganz vernachlässigte volks-
wirthschaftliche Seite der Geschichte Roms in ihr Recht eingesetzt, zum ersten
Male von diesem als dem leitenden Gesichtspunkte aus die Thaten des römi¬
schen Volks geschrieben hat; sie beruhtauf den auteur- und literargeschichtiichen
Abschnitten des Werks, auf seinen Charakterschilderungen als Meisterwerken in
ihrer Art (man denke an Hamilkar, Hannibal, Sulla); auf den eminenten philo¬
logischen und juristischen Studien, durch die sich Mommsen auf seinen Be¬
ruf als Historiker vorbereitet hat; auf der Anschaulichkeit und pikanten Lebhaf¬
tigkeit der Darstellung, die verbunden mit der glanzvollen Diction nicht am
wenigsten zu dem außerordentlichen Erfolge des Werks beigetragen hat. End¬
lich und vor Allem beruht diese Berechtigung auf der beredten Leidenschaft, die
so angenehm empfunden worden ist als berechtigter Rückschlag gegen jene stand-
punktlosc Ovjectivität, die jetzt einen Alexander den Sechsten charmant findet,
dann einen Luther in seiner Art auch wieder ganz charmant findet, heute mit
einer Lebendigkeit, hinter der man die Wärme der Ueberzeugung vermuthet, die
jahrhundertlange kämpf- und mühereiche Arbeit verherrlicht, durch die ein Volk
zur Freiheit und Selbstregierung erzogen wird, um morgen vielleicht mit gra¬
ziöser Meisterschaft Leitartikel für die Kreuzzeitung zu liefern. —

Von Mommsens Gegnern wird ihm vorgeworfen, daß er die Grenzen,
welche der Berechtigung auch des Genies gesteckt sind, übersprungen hat; vor¬
geworfen wird ihm sein Heroencultus, der nur zu geneigt ist, Alles, was neben
dem gefeierten Helden oder gar ihm entgegen steht, in den Schatten zu stellen
oder in den Staub zu ziehen, und, was die Kehrseite jenes Heroencultus ist,
die Mißhandlung gewisser ihm nicht zusagender Persönlichkeiten (z. B. des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/24>, abgerufen am 15.01.2025.