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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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werden: der Gesichtspunkt der nächsten Zukunft und jener einer entfernteren. Nur so
lassen sich die Widersprüche ausgleichen, welche darin liegen, daß Frankreich vom An.
fange der orientalischen Frage England darauf-aufmerksam gemacht, wohin Nußland
wolle, daß es auf energisches Vorschreiten gedrungen und dort wo es zum Han¬
deln kommt, entweder zurückhält oder doch nicht so rasch handelt als es die Um¬
stände zu erheischen scheinen. Der Kaiser ist überzeugt, daß seine Regierung dazu
berufen ist, in einer gegebenen.Zeit Europa durch eine radicale Erschütterung,
oder bezeichnen wir die Sache bei ihrem Namen, durch einen allgemeinen Krieg
zu einer festeren Konsistenz zu bringen. Er wird in dieser Ueberzeugung von
all den Männern bestärkt, welche in langjähriger Freundschaft und durch un¬
zweifelhafte Dienstleistungen und Anhänglichkeit ihm zur Seite stehen. Man
wird einem Manne wie Louis Napoleon keine revolutionären, keine republi¬
kanischen Absichten unterstellen, und was ihm vorschwebt, mag eine mit Hilfe
einiger bestehenden Regierungen durchgesetzte Umänderung des europäischen
Systems sein. Die Broschüre oder vielmehr der Artikel über die neue
Karte von Europa gibt einige Aufklärung über das Vorhandensein eines solchen
Planes, selbst wenn auch die darin gemachten Vorschläge nnr als Provisorium
betrachtet werden wollen. Daß dieser schon für den Moniteur gesetzte und
später wieder unterdrückte und desavouirte Artikel unter officiellen Einflüsse ent¬
standen, ist außer allem Zweifel, und gibt uns noch werthvollere Aufschlüsse über
die nächsten Absichten, über die Richtung, die Louis Napoleon zunächst einschlagen
will. Die Politik Frankreichs gegen Oestreich, wie sie von Heinrich IV. gedacht
war, ist nie wieder ganz aufgenommen worden, selbst von Richelieu nicht und
noch weniger von Napoleon, da beide Staatsmänner Oestreich blos schwächen
aber keineswegs vernichten wollten. Nichelieus Politik war vorzüglich gegen die
spanische Oberherrschaft gerichtet und die protestantische Opposition gegen Oest¬
reich wurde mehr in diesem Sinne unterstützt und benutzt. Napoleon suchte sich
sogar mit Oestreich zu verbinden. Er hatte Deutschland noch mehr geschwächt,
was er nie thun durfte, sollten seine Kämpfe gegen Oestreich dessen Untergang
herbeiführen. Louis Napoleon scheint ebenfalls sein nächstes Streben dahin ge¬
richtet zu haben, Oestreich um jeden Preis zu gewinnen und den Versuch ma¬
chen zu wollen, auf Kosten Rußlands Oestreich die Möglichkeit zu verschaffen,
sich dem westlichen Bunde anzuschließen, dessen Politik zu unterstützen, selbst wenn
in Italien und Polen nationale Veränderungen unerläßlich werden sollten. Diese
Versuche haben allen Scharfsinn, alle Thätigkeit seiner Regierung in der letzten
Zeit in Anspruch genommen und man hat ans das Gelingen derselben nicht jede
Hoffnung aufgegeben. Darum allein konnten die Rüstungen für den Orient als
weniger dringend erscheinen. Ob Oestreich auch für den ganzen Verlauf des
Krieges dem Westen treu bleiben könne, dies wird vor der Hand gering an¬
geschlagen, da die innere Politik es vor allem wünschenswerth macht, daß Frank-


werden: der Gesichtspunkt der nächsten Zukunft und jener einer entfernteren. Nur so
lassen sich die Widersprüche ausgleichen, welche darin liegen, daß Frankreich vom An.
fange der orientalischen Frage England darauf-aufmerksam gemacht, wohin Nußland
wolle, daß es auf energisches Vorschreiten gedrungen und dort wo es zum Han¬
deln kommt, entweder zurückhält oder doch nicht so rasch handelt als es die Um¬
stände zu erheischen scheinen. Der Kaiser ist überzeugt, daß seine Regierung dazu
berufen ist, in einer gegebenen.Zeit Europa durch eine radicale Erschütterung,
oder bezeichnen wir die Sache bei ihrem Namen, durch einen allgemeinen Krieg
zu einer festeren Konsistenz zu bringen. Er wird in dieser Ueberzeugung von
all den Männern bestärkt, welche in langjähriger Freundschaft und durch un¬
zweifelhafte Dienstleistungen und Anhänglichkeit ihm zur Seite stehen. Man
wird einem Manne wie Louis Napoleon keine revolutionären, keine republi¬
kanischen Absichten unterstellen, und was ihm vorschwebt, mag eine mit Hilfe
einiger bestehenden Regierungen durchgesetzte Umänderung des europäischen
Systems sein. Die Broschüre oder vielmehr der Artikel über die neue
Karte von Europa gibt einige Aufklärung über das Vorhandensein eines solchen
Planes, selbst wenn auch die darin gemachten Vorschläge nnr als Provisorium
betrachtet werden wollen. Daß dieser schon für den Moniteur gesetzte und
später wieder unterdrückte und desavouirte Artikel unter officiellen Einflüsse ent¬
standen, ist außer allem Zweifel, und gibt uns noch werthvollere Aufschlüsse über
die nächsten Absichten, über die Richtung, die Louis Napoleon zunächst einschlagen
will. Die Politik Frankreichs gegen Oestreich, wie sie von Heinrich IV. gedacht
war, ist nie wieder ganz aufgenommen worden, selbst von Richelieu nicht und
noch weniger von Napoleon, da beide Staatsmänner Oestreich blos schwächen
aber keineswegs vernichten wollten. Nichelieus Politik war vorzüglich gegen die
spanische Oberherrschaft gerichtet und die protestantische Opposition gegen Oest¬
reich wurde mehr in diesem Sinne unterstützt und benutzt. Napoleon suchte sich
sogar mit Oestreich zu verbinden. Er hatte Deutschland noch mehr geschwächt,
was er nie thun durfte, sollten seine Kämpfe gegen Oestreich dessen Untergang
herbeiführen. Louis Napoleon scheint ebenfalls sein nächstes Streben dahin ge¬
richtet zu haben, Oestreich um jeden Preis zu gewinnen und den Versuch ma¬
chen zu wollen, auf Kosten Rußlands Oestreich die Möglichkeit zu verschaffen,
sich dem westlichen Bunde anzuschließen, dessen Politik zu unterstützen, selbst wenn
in Italien und Polen nationale Veränderungen unerläßlich werden sollten. Diese
Versuche haben allen Scharfsinn, alle Thätigkeit seiner Regierung in der letzten
Zeit in Anspruch genommen und man hat ans das Gelingen derselben nicht jede
Hoffnung aufgegeben. Darum allein konnten die Rüstungen für den Orient als
weniger dringend erscheinen. Ob Oestreich auch für den ganzen Verlauf des
Krieges dem Westen treu bleiben könne, dies wird vor der Hand gering an¬
geschlagen, da die innere Politik es vor allem wünschenswerth macht, daß Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/63>, abgerufen am 29.06.2024.