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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Halm's Sampiero.



Halm'S "Sampiero" ist ein neuer Beweis, daß der Wogenschlag
der Zeit nicht verhalte am umfriedeten Oesterreich; daß wir hier die
Rufe vernehmen, die von "Draußen" kommen und daß auch wir mit
Deutschland neuen Erkenntnissen entgegenreifen. Auch wir wissen es
nun, daß die Bühne nicht mehr eine im alten Sinne "moralische"
Anstalt bleiben könne, sondern ihrer Bestimmung immer näher schreite,
Tribune, Organ der Volksstimme zu werden. Halm hat es versucht,
jene ersehnte Stimme von der Tribune schallen zu lassen, er hat ein
politisches Drama geschrieben. -- Uns liegt hier die Erörterung,
ob und wie ihm dieser Versuch gelungen, weniger am Herzen, als
der Ausdruck unserer Freude, daß ein Dichter wie Halm, von den
triumphirenden Zeitideen gedrängt, den neutralen Boden des sagen¬
haften, oder blos erdichteten, sogenannten rein ästhetischen Dramas
verKissen, in die Geschichte greifen und uns ein Kapitel aufschlagen
mußte, daraus uns verwandte Gesinnung, begeisternde Thatgedanken
wie aus einem Spiegel mit ernsten Augen entgegenblicken. Das ist
der Triumph unserer Zeit, daß sie die Gleichgiltigsten zur Parteier-
gretfung, die Träumerischer zum Denken, die Abstracten zur That
hindrängt und ein doppelter Triumph ist es, wenn es in Oesterreich
geschieht, dem Lande voll Schranken und Verschlüge, der Heimath
des that- und gedankenlosen "Gemüths", dem Vaterlande der vor¬
trefflichen Lyrik.

Daß es Halm nicht gelang, einer historischen Idee das gehö¬
rige Blut und Fleisch zu geben, -- wie natürlich ist das bei einem
Dichter, der bis jetzt gewohnt war, an den nebligen Sagen der Ta¬
felrunde, an TriSmegystos göttlichem Merkur, an den Gefühlen einer
Massalischen Bürgerin und eines Tektosagenhäuptlings sich zu begei¬
stern. -- Das ist ja ein erster Versuch eines neuen Dichters auf


Halm's Sampiero.



Halm'S „Sampiero" ist ein neuer Beweis, daß der Wogenschlag
der Zeit nicht verhalte am umfriedeten Oesterreich; daß wir hier die
Rufe vernehmen, die von „Draußen" kommen und daß auch wir mit
Deutschland neuen Erkenntnissen entgegenreifen. Auch wir wissen es
nun, daß die Bühne nicht mehr eine im alten Sinne „moralische"
Anstalt bleiben könne, sondern ihrer Bestimmung immer näher schreite,
Tribune, Organ der Volksstimme zu werden. Halm hat es versucht,
jene ersehnte Stimme von der Tribune schallen zu lassen, er hat ein
politisches Drama geschrieben. — Uns liegt hier die Erörterung,
ob und wie ihm dieser Versuch gelungen, weniger am Herzen, als
der Ausdruck unserer Freude, daß ein Dichter wie Halm, von den
triumphirenden Zeitideen gedrängt, den neutralen Boden des sagen¬
haften, oder blos erdichteten, sogenannten rein ästhetischen Dramas
verKissen, in die Geschichte greifen und uns ein Kapitel aufschlagen
mußte, daraus uns verwandte Gesinnung, begeisternde Thatgedanken
wie aus einem Spiegel mit ernsten Augen entgegenblicken. Das ist
der Triumph unserer Zeit, daß sie die Gleichgiltigsten zur Parteier-
gretfung, die Träumerischer zum Denken, die Abstracten zur That
hindrängt und ein doppelter Triumph ist es, wenn es in Oesterreich
geschieht, dem Lande voll Schranken und Verschlüge, der Heimath
des that- und gedankenlosen „Gemüths", dem Vaterlande der vor¬
trefflichen Lyrik.

Daß es Halm nicht gelang, einer historischen Idee das gehö¬
rige Blut und Fleisch zu geben, — wie natürlich ist das bei einem
Dichter, der bis jetzt gewohnt war, an den nebligen Sagen der Ta¬
felrunde, an TriSmegystos göttlichem Merkur, an den Gefühlen einer
Massalischen Bürgerin und eines Tektosagenhäuptlings sich zu begei¬
stern. — Das ist ja ein erster Versuch eines neuen Dichters auf


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[0197] Halm's Sampiero. Halm'S „Sampiero" ist ein neuer Beweis, daß der Wogenschlag der Zeit nicht verhalte am umfriedeten Oesterreich; daß wir hier die Rufe vernehmen, die von „Draußen" kommen und daß auch wir mit Deutschland neuen Erkenntnissen entgegenreifen. Auch wir wissen es nun, daß die Bühne nicht mehr eine im alten Sinne „moralische" Anstalt bleiben könne, sondern ihrer Bestimmung immer näher schreite, Tribune, Organ der Volksstimme zu werden. Halm hat es versucht, jene ersehnte Stimme von der Tribune schallen zu lassen, er hat ein politisches Drama geschrieben. — Uns liegt hier die Erörterung, ob und wie ihm dieser Versuch gelungen, weniger am Herzen, als der Ausdruck unserer Freude, daß ein Dichter wie Halm, von den triumphirenden Zeitideen gedrängt, den neutralen Boden des sagen¬ haften, oder blos erdichteten, sogenannten rein ästhetischen Dramas verKissen, in die Geschichte greifen und uns ein Kapitel aufschlagen mußte, daraus uns verwandte Gesinnung, begeisternde Thatgedanken wie aus einem Spiegel mit ernsten Augen entgegenblicken. Das ist der Triumph unserer Zeit, daß sie die Gleichgiltigsten zur Parteier- gretfung, die Träumerischer zum Denken, die Abstracten zur That hindrängt und ein doppelter Triumph ist es, wenn es in Oesterreich geschieht, dem Lande voll Schranken und Verschlüge, der Heimath des that- und gedankenlosen „Gemüths", dem Vaterlande der vor¬ trefflichen Lyrik. Daß es Halm nicht gelang, einer historischen Idee das gehö¬ rige Blut und Fleisch zu geben, — wie natürlich ist das bei einem Dichter, der bis jetzt gewohnt war, an den nebligen Sagen der Ta¬ felrunde, an TriSmegystos göttlichem Merkur, an den Gefühlen einer Massalischen Bürgerin und eines Tektosagenhäuptlings sich zu begei¬ stern. — Das ist ja ein erster Versuch eines neuen Dichters auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/197>, abgerufen am 22.12.2024.