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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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§ 24. Werth der Naturvölker für die Menschheit und ihre Entwickelung. Schluss.

Aber, so müssen wir noch fragen, kann man überhaupt einem Staat, den civilisirten Völkern zumuthen, so viel Müh und Arbeit an die Naturvölker zu verwenden, die sie doch anderen Zwecken und vielleicht besseren oder doch nützlicheren entziehen müssen? Kann man nicht mit Fug und Recht von dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands berüchtigtes je n'en vois pas la necessite sagen? Wie man vom Standpunkte des Christenthums hierauf antworten muss, welches lehrt, dass alle Menschen Brüder und vor Gott gleich sind, liegt auf der Hand: und wo wird denn ein strenges Christenthum mehr zur Schau getragen, als im öffentlichen Leben Englands und Amerikas? Aber auch vom Standpunkt der Philosophie aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten Völker für eine wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen müssen. Der empirische Forscher wird nach genauer historischer und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt sehen, dass die Gesammtheit der Natur als solche dem Entwickelungsgesetze folgt, wie die einzelnen grossen Abtheilungen der Natur, wie die Gattungen, Arten und Individuen. Das Gesetz dieser Entwickelung besteht aber darin, dass Alles, Gesammtheit und Einzelnwesen, eine grössere Vollkommenheit, Festigkeit und Sicherheit der Existenz anstreben. In diesem Entwickelungsgange hat die Natur selbst die Werthbestimmungen gesetzt, dass sie das Individuum der Art, die Art der Gattung, die Gattung der Familie, kurz das Beschränktere dem Grösseren unterordnet, ja wenn es im Interesse des Grösseren noth thut, aufopfert. Es würde spiritualistische Verkennung unseres Standpunktes sein, welchen wir in der Stufenfolge des Ganzen einnehmen, wenn wir Menschen für uns andere Gesetze beanspruchen wollten, als sie für die gesammte Natur gelten; zeigt doch auch alle historische Entwickelung, dass wir unter ganz denselben stehen, wie die übrigen Organismen alle, nur dass unsere Stellung verschieden ist. Wie nun also der Natur Erhaltung und Förderung des Ganzen Hauptzweck ist, so muss er es auch uns Menschen sein, und zwar zunächst Erhaltung und Förderung der menschlichen Gesellschaft, da unsere Thätigkeit zunächst unserer eigenen Gattung naturmässig gehört. Das aber heisst schlecht dem Ganzen dienen, wenn man lebensfähige Keime desselben, bloss weil sie nicht im gleichen Lenz und nach gleicher Art mit uns sich entwickelt haben, zertreten wollte. Wer weiss, zu welchem Endzweck auch sie der Natur dienen können! Und Niemand wird doch behaupten wollen, dass sie zu zertreten den Völkern von höherer Kultur Nutzen brächte. Wenn wir von diesem philosophischen Standpunkt aus nach dem Zweck menschlicher Entwickelung



§ 24. Werth der Naturvölker für die Menschheit und ihre Entwickelung. Schluss.

Aber, so müssen wir noch fragen, kann man überhaupt einem Staat, den civilisirten Völkern zumuthen, so viel Müh und Arbeit an die Naturvölker zu verwenden, die sie doch anderen Zwecken und vielleicht besseren oder doch nützlicheren entziehen müssen? Kann man nicht mit Fug und Recht von dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands berüchtigtes je n'en vois pas la nécessité sagen? Wie man vom Standpunkte des Christenthums hierauf antworten muss, welches lehrt, dass alle Menschen Brüder und vor Gott gleich sind, liegt auf der Hand: und wo wird denn ein strenges Christenthum mehr zur Schau getragen, als im öffentlichen Leben Englands und Amerikas? Aber auch vom Standpunkt der Philosophie aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten Völker für eine wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen müssen. Der empirische Forscher wird nach genauer historischer und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt sehen, dass die Gesammtheit der Natur als solche dem Entwickelungsgesetze folgt, wie die einzelnen grossen Abtheilungen der Natur, wie die Gattungen, Arten und Individuen. Das Gesetz dieser Entwickelung besteht aber darin, dass Alles, Gesammtheit und Einzelnwesen, eine grössere Vollkommenheit, Festigkeit und Sicherheit der Existenz anstreben. In diesem Entwickelungsgange hat die Natur selbst die Werthbestimmungen gesetzt, dass sie das Individuum der Art, die Art der Gattung, die Gattung der Familie, kurz das Beschränktere dem Grösseren unterordnet, ja wenn es im Interesse des Grösseren noth thut, aufopfert. Es würde spiritualistische Verkennung unseres Standpunktes sein, welchen wir in der Stufenfolge des Ganzen einnehmen, wenn wir Menschen für uns andere Gesetze beanspruchen wollten, als sie für die gesammte Natur gelten; zeigt doch auch alle historische Entwickelung, dass wir unter ganz denselben stehen, wie die übrigen Organismen alle, nur dass unsere Stellung verschieden ist. Wie nun also der Natur Erhaltung und Förderung des Ganzen Hauptzweck ist, so muss er es auch uns Menschen sein, und zwar zunächst Erhaltung und Förderung der menschlichen Gesellschaft, da unsere Thätigkeit zunächst unserer eigenen Gattung naturmässig gehört. Das aber heisst schlecht dem Ganzen dienen, wenn man lebensfähige Keime desselben, bloss weil sie nicht im gleichen Lenz und nach gleicher Art mit uns sich entwickelt haben, zertreten wollte. Wer weiss, zu welchem Endzweck auch sie der Natur dienen können! Und Niemand wird doch behaupten wollen, dass sie zu zertreten den Völkern von höherer Kultur Nutzen brächte. Wenn wir von diesem philosophischen Standpunkt aus nach dem Zweck menschlicher Entwickelung

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 Recht von dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands
 berüchtigtes je n'en vois pas la nécessité
 sagen? Wie man vom Standpunkte des Christenthums hierauf antworten
 muss, welches lehrt, dass alle Menschen Brüder und vor Gott
 gleich sind, liegt auf der Hand: und wo wird denn ein strenges
 Christenthum mehr zur Schau getragen, als im öffentlichen
 Leben Englands und Amerikas? Aber auch vom Standpunkt der
 Philosophie aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten
 Völker für eine wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen
 müssen. Der empirische Forscher wird nach genauer historischer
 und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt sehen, dass die
 Gesammtheit der Natur als solche dem Entwickelungsgesetze folgt,
 wie die einzelnen grossen Abtheilungen der Natur, wie die
 Gattungen, Arten und Individuen. Das Gesetz dieser Entwickelung
 besteht aber darin, dass Alles, Gesammtheit und Einzelnwesen, eine
 grössere Vollkommenheit, Festigkeit und Sicherheit der
 Existenz anstreben. In diesem Entwickelungsgange hat die Natur
 selbst die Werthbestimmungen gesetzt, dass sie das Individuum der
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 gesammte Natur gelten; zeigt doch auch alle historische
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 ist. Wie nun also der Natur Erhaltung und Förderung des Ganzen
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 zunächst Erhaltung und Förderung der menschlichen
 Gesellschaft, da unsere Thätigkeit zunächst unserer
 eigenen Gattung naturmässig gehört. Das aber heisst
 schlecht dem Ganzen dienen, wenn man lebensfähige Keime
 desselben, bloss weil sie nicht im gleichen Lenz und nach gleicher
 Art mit uns sich entwickelt haben, zertreten wollte. Wer weiss, zu
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[0154] § 24. Werth der Naturvölker für die Menschheit und ihre Entwickelung. Schluss. Aber, so müssen wir noch fragen, kann man überhaupt einem Staat, den civilisirten Völkern zumuthen, so viel Müh und Arbeit an die Naturvölker zu verwenden, die sie doch anderen Zwecken und vielleicht besseren oder doch nützlicheren entziehen müssen? Kann man nicht mit Fug und Recht von dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands berüchtigtes je n'en vois pas la nécessité sagen? Wie man vom Standpunkte des Christenthums hierauf antworten muss, welches lehrt, dass alle Menschen Brüder und vor Gott gleich sind, liegt auf der Hand: und wo wird denn ein strenges Christenthum mehr zur Schau getragen, als im öffentlichen Leben Englands und Amerikas? Aber auch vom Standpunkt der Philosophie aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten Völker für eine wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen müssen. Der empirische Forscher wird nach genauer historischer und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt sehen, dass die Gesammtheit der Natur als solche dem Entwickelungsgesetze folgt, wie die einzelnen grossen Abtheilungen der Natur, wie die Gattungen, Arten und Individuen. Das Gesetz dieser Entwickelung besteht aber darin, dass Alles, Gesammtheit und Einzelnwesen, eine grössere Vollkommenheit, Festigkeit und Sicherheit der Existenz anstreben. In diesem Entwickelungsgange hat die Natur selbst die Werthbestimmungen gesetzt, dass sie das Individuum der Art, die Art der Gattung, die Gattung der Familie, kurz das Beschränktere dem Grösseren unterordnet, ja wenn es im Interesse des Grösseren noth thut, aufopfert. Es würde spiritualistische Verkennung unseres Standpunktes sein, welchen wir in der Stufenfolge des Ganzen einnehmen, wenn wir Menschen für uns andere Gesetze beanspruchen wollten, als sie für die gesammte Natur gelten; zeigt doch auch alle historische Entwickelung, dass wir unter ganz denselben stehen, wie die übrigen Organismen alle, nur dass unsere Stellung verschieden ist. Wie nun also der Natur Erhaltung und Förderung des Ganzen Hauptzweck ist, so muss er es auch uns Menschen sein, und zwar zunächst Erhaltung und Förderung der menschlichen Gesellschaft, da unsere Thätigkeit zunächst unserer eigenen Gattung naturmässig gehört. Das aber heisst schlecht dem Ganzen dienen, wenn man lebensfähige Keime desselben, bloss weil sie nicht im gleichen Lenz und nach gleicher Art mit uns sich entwickelt haben, zertreten wollte. Wer weiss, zu welchem Endzweck auch sie der Natur dienen können! Und Niemand wird doch behaupten wollen, dass sie zu zertreten den Völkern von höherer Kultur Nutzen brächte. Wenn wir von diesem philosophischen Standpunkt aus nach dem Zweck menschlicher Entwickelung

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/154>, abgerufen am 21.11.2024.