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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Ob ihr Blick in solchem Momente zu dem Bilde des
mit einem roten Ordensband in ganzer Figur über
dem Sopha hängenden Herrn v. Carayon hinüber¬
glitt, oder ob sich ihr ein stattlicheres Bild vor die
Seele stellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die
häuslichen Verhältnisse nur einigermaßen kannte. Denn
Herr v. Carayon war ein kleiner, schwarzer Kolonie¬
franzose gewesen, der außer einigen in der Nähe von
Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer
ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation,
nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am
wenigsten aber männliche Schönheit.

Es schlug elf, erst draußen, dann in dem Eck¬
zimmer, in welchem beide Damen an einem Tapisserie¬
rahmen beschäftigt waren. Die Balkonthür war weit
auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen
gedauert hatte, stand die Sonne schon wieder hell am
Himmel und erzeugte so ziemlich dieselbe Schwüle,
die schon den Tag vorher geherrscht hatte. Victoire
blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'schen
kleinen Groom, der mit Stulpenstiefeln und zwei
Farben am Hut, von denen sie zu sagen liebte, daß
es die Schach'schen "Landesfarben" seien, die Charlotten¬
straße heraufkam.

"O sieh nur," sagte Victoire "da kommt Schachs
kleiner Ned. Und wie wichtig er wieder thut! Aber

Ob ihr Blick in ſolchem Momente zu dem Bilde des
mit einem roten Ordensband in ganzer Figur über
dem Sopha hängenden Herrn v. Carayon hinüber¬
glitt, oder ob ſich ihr ein ſtattlicheres Bild vor die
Seele ſtellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die
häuslichen Verhältniſſe nur einigermaßen kannte. Denn
Herr v. Carayon war ein kleiner, ſchwarzer Kolonie¬
franzoſe geweſen, der außer einigen in der Nähe von
Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer
ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation,
nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am
wenigſten aber männliche Schönheit.

Es ſchlug elf, erſt draußen, dann in dem Eck¬
zimmer, in welchem beide Damen an einem Tapiſſerie¬
rahmen beſchäftigt waren. Die Balkonthür war weit
auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen
gedauert hatte, ſtand die Sonne ſchon wieder hell am
Himmel und erzeugte ſo ziemlich dieſelbe Schwüle,
die ſchon den Tag vorher geherrſcht hatte. Victoire
blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'ſchen
kleinen Groom, der mit Stulpenſtiefeln und zwei
Farben am Hut, von denen ſie zu ſagen liebte, daß
es die Schach'ſchen „Landesfarben“ ſeien, die Charlotten¬
ſtraße heraufkam.

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[36/0048] Ob ihr Blick in ſolchem Momente zu dem Bilde des mit einem roten Ordensband in ganzer Figur über dem Sopha hängenden Herrn v. Carayon hinüber¬ glitt, oder ob ſich ihr ein ſtattlicheres Bild vor die Seele ſtellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die häuslichen Verhältniſſe nur einigermaßen kannte. Denn Herr v. Carayon war ein kleiner, ſchwarzer Kolonie¬ franzoſe geweſen, der außer einigen in der Nähe von Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation, nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am wenigſten aber männliche Schönheit. Es ſchlug elf, erſt draußen, dann in dem Eck¬ zimmer, in welchem beide Damen an einem Tapiſſerie¬ rahmen beſchäftigt waren. Die Balkonthür war weit auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen gedauert hatte, ſtand die Sonne ſchon wieder hell am Himmel und erzeugte ſo ziemlich dieſelbe Schwüle, die ſchon den Tag vorher geherrſcht hatte. Victoire blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'ſchen kleinen Groom, der mit Stulpenſtiefeln und zwei Farben am Hut, von denen ſie zu ſagen liebte, daß es die Schach'ſchen „Landesfarben“ ſeien, die Charlotten¬ ſtraße heraufkam. „O ſieh nur,“ ſagte Victoire „da kommt Schachs kleiner Ned. Und wie wichtig er wieder thut! Aber

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/48>, abgerufen am 26.04.2024.