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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Wo schwach es schien den Todten klagen,
Wo so verwirrt Gesetz und Recht,
So ganz verwechselt Herr und Knecht,
Daß selbst in diesen milden Tagen,
Da klar und friedlich jeder Blick,
Nicht Einer ist, so möchte sagen:
Der ward allein um Schuld geschlagen,
Und der allein durch Mißgeschick.
Das Recht, es stand bei jedem Hauf,
Und schweres Unrecht auch vollauf,
Wie sie sich wild entgegen ziehn,
Hier für den alten Glauben kühn,
Und dort für Luther und Calvin.

Fast dreißig Jahre sind entschwunden,
Und noch kein Ende ist gefunden:
Es rollt der Rhein die dunklen Wogen,
Durch brandgeschwärzter Trümmer Graus;
Da ist kein Schloß, kein niedres Haus,
Das nicht, vom Wetter schwer umzogen,
Von Freund und Feinde gleich geplagt,
Dem Wurf der nächsten Stunde zagt.
O Tilly,3 deine blut'ge Hand
Hat guter Sache Schmach gespendet!
Wohin dein buschig Aug' sich wendet,
Ein Kirchhof wird das weite Land.
Ständ' nicht so mild in deiner Näh',
Ein Pharus an ergrimmter See,
Der fromme Anholt, dessen Wort
So gern den Irren ruft zum Port

Wo ſchwach es ſchien den Todten klagen,
Wo ſo verwirrt Geſetz und Recht,
So ganz verwechſelt Herr und Knecht,
Daß ſelbſt in dieſen milden Tagen,
Da klar und friedlich jeder Blick,
Nicht Einer iſt, ſo möchte ſagen:
Der ward allein um Schuld geſchlagen,
Und der allein durch Mißgeſchick.
Das Recht, es ſtand bei jedem Hauf,
Und ſchweres Unrecht auch vollauf,
Wie ſie ſich wild entgegen ziehn,
Hier für den alten Glauben kühn,
Und dort für Luther und Calvin.

Faſt dreißig Jahre ſind entſchwunden,
Und noch kein Ende iſt gefunden:
Es rollt der Rhein die dunklen Wogen,
Durch brandgeſchwärzter Trümmer Graus;
Da iſt kein Schloß, kein niedres Haus,
Das nicht, vom Wetter ſchwer umzogen,
Von Freund und Feinde gleich geplagt,
Dem Wurf der nächſten Stunde zagt.
O Tilly,3 deine blut'ge Hand
Hat guter Sache Schmach geſpendet!
Wohin dein buſchig Aug' ſich wendet,
Ein Kirchhof wird das weite Land.
Ständ' nicht ſo mild in deiner Näh',
Ein Pharus an ergrimmter See,
Der fromme Anholt, deſſen Wort
So gern den Irren ruft zum Port
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[494/0508] Wo ſchwach es ſchien den Todten klagen, Wo ſo verwirrt Geſetz und Recht, So ganz verwechſelt Herr und Knecht, Daß ſelbſt in dieſen milden Tagen, Da klar und friedlich jeder Blick, Nicht Einer iſt, ſo möchte ſagen: Der ward allein um Schuld geſchlagen, Und der allein durch Mißgeſchick. Das Recht, es ſtand bei jedem Hauf, Und ſchweres Unrecht auch vollauf, Wie ſie ſich wild entgegen ziehn, Hier für den alten Glauben kühn, Und dort für Luther und Calvin. Faſt dreißig Jahre ſind entſchwunden, Und noch kein Ende iſt gefunden: Es rollt der Rhein die dunklen Wogen, Durch brandgeſchwärzter Trümmer Graus; Da iſt kein Schloß, kein niedres Haus, Das nicht, vom Wetter ſchwer umzogen, Von Freund und Feinde gleich geplagt, Dem Wurf der nächſten Stunde zagt. O Tilly,3 deine blut'ge Hand Hat guter Sache Schmach geſpendet! Wohin dein buſchig Aug' ſich wendet, Ein Kirchhof wird das weite Land. Ständ' nicht ſo mild in deiner Näh', Ein Pharus an ergrimmter See, Der fromme Anholt, deſſen Wort So gern den Irren ruft zum Port

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/508>, abgerufen am 26.04.2024.