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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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III. Abschnitt. [Gleich. 111 a]
§ 35. Allgemeine Beziehung zum Temperatur-
gleichgewichte
.

Wir denken uns nun einen beliebigen warmen Körper unter
dem Bilde der im Bisherigen betrachteten mechanischen Systeme,
also als ein System von Atomen oder Molekülen oder sonstigen
Bestandtheilen, deren Lage durch generalisirte Coordinaten be-
stimmt werden kann.

So oft ein und derselbe Körper mit derselben Wärme-
energie und unter denselben äusseren Umständen sich selbst
überlassen bleibt, nimmt er, wie die Erfahrung lehrt, mit der
Zeit denselben Zustand an, aus was immer für einem Anfangs-
zustande er unter diese Bedingungen gebracht worden sein
mag. Im Sinne der mechanischen Naturanschauung kommt
dies daher, dass nur gewisse Mittelwerthe, wie die mittlere
lebendige Kraft eines Moleküles in einem endlichen Theile des
Körpers, das Bewegungsmoment, welches die Moleküle in einer
endlichen Zeit durchschnittlich durch eine endliche Fläche hin-
durchtragen etc. zur Wahrnehmung gelangen. Diese Mittel-
werthe haben aber bei der weitaus grössten Zahl der überhaupt
möglichen Zustände dieselben Werthe. Wir nennen jeden
Zustand, wo jene Mittelwerthe diese Werthe haben, einen wahr-
scheinlichen Zustand.

Wenn daher auch der Anfangszustand kein wahrschein-
licher Zustand war, so wird der Körper unter gleichbleibenden
äusseren Bedingungen doch bald in einen wahrscheinlichen
Zustand übergehen und während der weiteren Beobachtungs-
zeit darin verharren, so dass es, obwohl der Zustand fort-
während wechselt und innerhalb einer über alle Vorstellbar-
keit und Beobachtbarkeit hinausgehend langen Zeit sogar
hier und da wieder erheblich von einem wahrscheinlichen
abweichen würde, doch den Anschein hat, als ob der Körper
einen stationären Endzustand angenommen hätte, da alle zur
Beobachtung gelangenden Mittelwerthe unverändert bleiben.

Die mathematisch vollkommenste Methode bestände nun
allerdings darin, für jeden bestimmten Zustand eines ge-
gebenen warmen Körpers die Anfangsbedingungen zu berück-
sichtigen, von denen zufällig ausgehend er gerade diesmal
zu dem Wärmezustande gelangte, den er nun lange Zeit un-

III. Abschnitt. [Gleich. 111 a]
§ 35. Allgemeine Beziehung zum Temperatur-
gleichgewichte
.

Wir denken uns nun einen beliebigen warmen Körper unter
dem Bilde der im Bisherigen betrachteten mechanischen Systeme,
also als ein System von Atomen oder Molekülen oder sonstigen
Bestandtheilen, deren Lage durch generalisirte Coordinaten be-
stimmt werden kann.

So oft ein und derselbe Körper mit derselben Wärme-
energie und unter denselben äusseren Umständen sich selbst
überlassen bleibt, nimmt er, wie die Erfahrung lehrt, mit der
Zeit denselben Zustand an, aus was immer für einem Anfangs-
zustande er unter diese Bedingungen gebracht worden sein
mag. Im Sinne der mechanischen Naturanschauung kommt
dies daher, dass nur gewisse Mittelwerthe, wie die mittlere
lebendige Kraft eines Moleküles in einem endlichen Theile des
Körpers, das Bewegungsmoment, welches die Moleküle in einer
endlichen Zeit durchschnittlich durch eine endliche Fläche hin-
durchtragen etc. zur Wahrnehmung gelangen. Diese Mittel-
werthe haben aber bei der weitaus grössten Zahl der überhaupt
möglichen Zustände dieselben Werthe. Wir nennen jeden
Zustand, wo jene Mittelwerthe diese Werthe haben, einen wahr-
scheinlichen Zustand.

Wenn daher auch der Anfangszustand kein wahrschein-
licher Zustand war, so wird der Körper unter gleichbleibenden
äusseren Bedingungen doch bald in einen wahrscheinlichen
Zustand übergehen und während der weiteren Beobachtungs-
zeit darin verharren, so dass es, obwohl der Zustand fort-
während wechselt und innerhalb einer über alle Vorstellbar-
keit und Beobachtbarkeit hinausgehend langen Zeit sogar
hier und da wieder erheblich von einem wahrscheinlichen
abweichen würde, doch den Anschein hat, als ob der Körper
einen stationären Endzustand angenommen hätte, da alle zur
Beobachtung gelangenden Mittelwerthe unverändert bleiben.

Die mathematisch vollkommenste Methode bestände nun
allerdings darin, für jeden bestimmten Zustand eines ge-
gebenen warmen Körpers die Anfangsbedingungen zu berück-
sichtigen, von denen zufällig ausgehend er gerade diesmal
zu dem Wärmezustande gelangte, den er nun lange Zeit un-

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[102/0120] III. Abschnitt. [Gleich. 111 a] § 35. Allgemeine Beziehung zum Temperatur- gleichgewichte. Wir denken uns nun einen beliebigen warmen Körper unter dem Bilde der im Bisherigen betrachteten mechanischen Systeme, also als ein System von Atomen oder Molekülen oder sonstigen Bestandtheilen, deren Lage durch generalisirte Coordinaten be- stimmt werden kann. So oft ein und derselbe Körper mit derselben Wärme- energie und unter denselben äusseren Umständen sich selbst überlassen bleibt, nimmt er, wie die Erfahrung lehrt, mit der Zeit denselben Zustand an, aus was immer für einem Anfangs- zustande er unter diese Bedingungen gebracht worden sein mag. Im Sinne der mechanischen Naturanschauung kommt dies daher, dass nur gewisse Mittelwerthe, wie die mittlere lebendige Kraft eines Moleküles in einem endlichen Theile des Körpers, das Bewegungsmoment, welches die Moleküle in einer endlichen Zeit durchschnittlich durch eine endliche Fläche hin- durchtragen etc. zur Wahrnehmung gelangen. Diese Mittel- werthe haben aber bei der weitaus grössten Zahl der überhaupt möglichen Zustände dieselben Werthe. Wir nennen jeden Zustand, wo jene Mittelwerthe diese Werthe haben, einen wahr- scheinlichen Zustand. Wenn daher auch der Anfangszustand kein wahrschein- licher Zustand war, so wird der Körper unter gleichbleibenden äusseren Bedingungen doch bald in einen wahrscheinlichen Zustand übergehen und während der weiteren Beobachtungs- zeit darin verharren, so dass es, obwohl der Zustand fort- während wechselt und innerhalb einer über alle Vorstellbar- keit und Beobachtbarkeit hinausgehend langen Zeit sogar hier und da wieder erheblich von einem wahrscheinlichen abweichen würde, doch den Anschein hat, als ob der Körper einen stationären Endzustand angenommen hätte, da alle zur Beobachtung gelangenden Mittelwerthe unverändert bleiben. Die mathematisch vollkommenste Methode bestände nun allerdings darin, für jeden bestimmten Zustand eines ge- gebenen warmen Körpers die Anfangsbedingungen zu berück- sichtigen, von denen zufällig ausgehend er gerade diesmal zu dem Wärmezustande gelangte, den er nun lange Zeit un-

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/120>, abgerufen am 21.11.2024.