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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Das Alpengebäude.

Die Fluhen und Kämme dieses Gesteines sind schroffer em¬
porgerichtet, kühner, markirter in den Linien als die des Flysch,
-- malerisch-zackige Felsen-Facaden oft in überraschend schöner
Detailzeichnung. Alle jene großartigen Uferdekorationen am
wilden Wallensee, am Vierwaldstätter- und Brienzer-See mit ihren
Pfeilerarkaden und Winkelvorsprüngen, ihren Nischen und Ecksäulen,
deren Gruppirung und Gegenwirkung eine landschaftlich so bezau¬
berndschöne ist, gehören der Kreide-Formation an. Da zeigen sich
schon ausgeprägte Alpenformen in grotesken Massen, gleichsam vor¬
geschobene Posten der imposanten Gipfel-Armee, welche im Rücken
derselben ihr Lager aufgeschlagen hat. Selten erreichen die Kreide¬
felsen die Höhe der Schneegränze, also 7000 bis 8000 Fuß. Aber
auch in dieser Formation unterscheidet die Wissenschaft in den Alpen
wieder vier Gesteinsarten. Die unterste derselben ist der Spa¬
tangenkalk
oder Neocomien, so genannt von Neocomum oder
Neuchatel, in welcher Gegend er hauptsächlich entwickelt ist; --
auf ihm lagert der Rudisten- oder Caprotinenkalk, von dem
in der Schilderung der "Karrenfelder" Weiteres zu finden ist; --
über diesem wieder der Gault, ein an Versteinerungen sehr reicher
Sandstein, -- und obenauf endlich als jüngstes Gebilde der
Seewerkalk.

In einer großen Strecke der Berner Alpen, namentlich zwi¬
schen Rhone und Aar, ist die Kreideformation gänzlich verschwun¬
den und ein noch älteres Gestein, der an Petrefakten sehr reiche
Jurakalk, ersetzt deren Stelle. Hier treten wir ins Hochgebirge
ein; wir stehen auf der untersten Stufe der treppenförmig an¬
steigenden großen Alpenthäler. Durch jede Lücke der erhabenen
Strebemassen leuchten Firnfelder und überschneite Hochkulme her¬
nieder, -- von ihnen brausen jäh über die Felsenwände die zu
Schaumflocken zerstäubenden Wasserfälle herab, die bald in ge¬
schlossenen, vollen, breiten Garben zu Thal stürzen wie die Fälle
des Reichenbaches und Giesbaches, oder in funkelnden Wasserstaub

Das Alpengebäude.

Die Fluhen und Kämme dieſes Geſteines ſind ſchroffer em¬
porgerichtet, kühner, markirter in den Linien als die des Flyſch,
— maleriſch-zackige Felſen-Façaden oft in überraſchend ſchöner
Detailzeichnung. Alle jene großartigen Uferdekorationen am
wilden Wallenſee, am Vierwaldſtätter- und Brienzer-See mit ihren
Pfeilerarkaden und Winkelvorſprüngen, ihren Niſchen und Eckſäulen,
deren Gruppirung und Gegenwirkung eine landſchaftlich ſo bezau¬
berndſchöne iſt, gehören der Kreide-Formation an. Da zeigen ſich
ſchon ausgeprägte Alpenformen in grotesken Maſſen, gleichſam vor¬
geſchobene Poſten der impoſanten Gipfel-Armee, welche im Rücken
derſelben ihr Lager aufgeſchlagen hat. Selten erreichen die Kreide¬
felſen die Höhe der Schneegränze, alſo 7000 bis 8000 Fuß. Aber
auch in dieſer Formation unterſcheidet die Wiſſenſchaft in den Alpen
wieder vier Geſteinsarten. Die unterſte derſelben iſt der Spa¬
tangenkalk
oder Neocomien, ſo genannt von Neocomum oder
Neuchâtel, in welcher Gegend er hauptſächlich entwickelt iſt; —
auf ihm lagert der Rudiſten- oder Caprotinenkalk, von dem
in der Schilderung der „Karrenfelder“ Weiteres zu finden iſt; —
über dieſem wieder der Gault, ein an Verſteinerungen ſehr reicher
Sandſtein, — und obenauf endlich als jüngſtes Gebilde der
Seewerkalk.

In einer großen Strecke der Berner Alpen, namentlich zwi¬
ſchen Rhône und Aar, iſt die Kreideformation gänzlich verſchwun¬
den und ein noch älteres Geſtein, der an Petrefakten ſehr reiche
Jurakalk, erſetzt deren Stelle. Hier treten wir ins Hochgebirge
ein; wir ſtehen auf der unterſten Stufe der treppenförmig an¬
ſteigenden großen Alpenthäler. Durch jede Lücke der erhabenen
Strebemaſſen leuchten Firnfelder und überſchneite Hochkulme her¬
nieder, — von ihnen brauſen jäh über die Felſenwände die zu
Schaumflocken zerſtäubenden Waſſerfälle herab, die bald in ge¬
ſchloſſenen, vollen, breiten Garben zu Thal ſtürzen wie die Fälle
des Reichenbaches und Giesbaches, oder in funkelnden Waſſerſtaub

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[11/0029] Das Alpengebäude. Die Fluhen und Kämme dieſes Geſteines ſind ſchroffer em¬ porgerichtet, kühner, markirter in den Linien als die des Flyſch, — maleriſch-zackige Felſen-Façaden oft in überraſchend ſchöner Detailzeichnung. Alle jene großartigen Uferdekorationen am wilden Wallenſee, am Vierwaldſtätter- und Brienzer-See mit ihren Pfeilerarkaden und Winkelvorſprüngen, ihren Niſchen und Eckſäulen, deren Gruppirung und Gegenwirkung eine landſchaftlich ſo bezau¬ berndſchöne iſt, gehören der Kreide-Formation an. Da zeigen ſich ſchon ausgeprägte Alpenformen in grotesken Maſſen, gleichſam vor¬ geſchobene Poſten der impoſanten Gipfel-Armee, welche im Rücken derſelben ihr Lager aufgeſchlagen hat. Selten erreichen die Kreide¬ felſen die Höhe der Schneegränze, alſo 7000 bis 8000 Fuß. Aber auch in dieſer Formation unterſcheidet die Wiſſenſchaft in den Alpen wieder vier Geſteinsarten. Die unterſte derſelben iſt der Spa¬ tangenkalk oder Neocomien, ſo genannt von Neocomum oder Neuchâtel, in welcher Gegend er hauptſächlich entwickelt iſt; — auf ihm lagert der Rudiſten- oder Caprotinenkalk, von dem in der Schilderung der „Karrenfelder“ Weiteres zu finden iſt; — über dieſem wieder der Gault, ein an Verſteinerungen ſehr reicher Sandſtein, — und obenauf endlich als jüngſtes Gebilde der Seewerkalk. In einer großen Strecke der Berner Alpen, namentlich zwi¬ ſchen Rhône und Aar, iſt die Kreideformation gänzlich verſchwun¬ den und ein noch älteres Geſtein, der an Petrefakten ſehr reiche Jurakalk, erſetzt deren Stelle. Hier treten wir ins Hochgebirge ein; wir ſtehen auf der unterſten Stufe der treppenförmig an¬ ſteigenden großen Alpenthäler. Durch jede Lücke der erhabenen Strebemaſſen leuchten Firnfelder und überſchneite Hochkulme her¬ nieder, — von ihnen brauſen jäh über die Felſenwände die zu Schaumflocken zerſtäubenden Waſſerfälle herab, die bald in ge¬ ſchloſſenen, vollen, breiten Garben zu Thal ſtürzen wie die Fälle des Reichenbaches und Giesbaches, oder in funkelnden Waſſerſtaub

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/29>, abgerufen am 26.04.2024.