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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Schadet ein Jrrtum wohl? Nicht immer, aber das Jrren, pba_129.002
Jmmer schadet's; wie sehr, sieht man am Ende des Wegs.

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Allenthalben tritt in die Reflexion, sei es auch nur durch den Ausdruck, pba_129.004
die konkrete Welt und verleiht dem anzustellenden Vergleich die pba_129.005
Anschaulichkeit, bald in dem einen, bald im andern Hauptteile des Epigramms pba_129.006
das Bild eines Gegenstandes, eines Verhältnisses, einer Handlung pba_129.007
andeutend. So fast durchweg z. B. in den Schillerschen "Votivtafeln", pba_129.008
aus denen die obigen Beispiele angeführt wurden; nur in pba_129.009
sehr wenigen ist Gedanke wie Ausdruck rein abstrakt geblieben, fast pba_129.010
ausschließlich nur da, wo der Dichter sich der ihm fast formelhaft zur pba_129.011
Gewohnheit gewordenen Wendungen aus dem Gedankenkreise seiner pba_129.012
philosophisch-ästhetischen Fortbildung Kantischer Begriffe bedient. So pba_129.013
z. B. im folgenden Epigramm, welches allerdings sich nur an die mit pba_129.014
jenem Vorstellungskreise Vertrauten wendet:

pba_129.015

Die moralische Kraft. pba_129.016

Kannst du nicht schön empfinden, dir bleibt doch, vernünftig zu wollen pba_129.017
Und als ein Geist zu thun, was du als Mensch nicht vermagst.

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Ebenso in diesem:

pba_129.019

Aufgabe. pba_129.020

Allen gehört, was du denkst: dein eigen ist nur, was du fühlest; pba_129.021
Soll er dein Eigentum sein, fühle den Gott, den du denkst.

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Aber für diese zwei finden sich sogleich beliebig viele, in denen pba_129.023
verwandte Gedanken durch den gegenständlich anschaulicheren Ausdruck pba_129.024
sich darstellen:

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Wirke Gutes, du nährst der Menschheit göttliche Pflanze; pba_129.026
Bilde Schönes, du streust Keime der göttlichen aus.
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Adel ist auch in der sittlichen Welt. Gemeine Naturen pba_129.028
Zahlen mit dem, was sie thun, edle mit dem, was sie sind.
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Hast du etwas, so theile mir's mit, und ich zahle, was recht ist; pba_129.030
Bist du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus.
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Jmmer treibe die Furcht den Sklaven mit eisernem Stabe; pba_129.032
Freude, führe du mich immer am rosigen Band!

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Abgesehen von denen, welche die Andeutung oder die mehr oder pba_129.034
minder vollkommene Durchführung eines Bildes enthalten, gibt es eine pba_129.035
beträchtliche Zahl von Epigrammen, die gar nicht anders als allegorisch

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Jmmer schadet's; wie sehr, sieht man am Ende des Wegs.

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Ebenso in diesem:

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Aufgabe. pba_129.020

Allen gehört, was du denkst: dein eigen ist nur, was du fühlest; pba_129.021
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Aber für diese zwei finden sich sogleich beliebig viele, in denen pba_129.023
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Bist du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus.
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Jmmer treibe die Furcht den Sklaven mit eisernem Stabe; pba_129.032
Freude, führe du mich immer am rosigen Band!

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Abgesehen von denen, welche die Andeutung oder die mehr oder pba_129.034
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/147>, abgerufen am 26.04.2024.