Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr Liebesschmerz noch weniger, am wenigsten aber
der Rittmeister, dessen Lob eben beginnen sollte. Durch
das improvisirte Embrassement verbarg sie außerdem
die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht
da war, und ersparte sich eine Antwort, die ihr in
dem Augenblick nicht convenirte.

Sie saßen eine Weile in schweigender Rührung.
Bei der Baronin bedürfte es nur des Antippens mit
dem Finger, und ihre Bekenntnisse, lange noch nicht
erschöpft, brachen von neuem heraus. Dies besorgte
die Fürstin, sie schien nur deshalb auf eine Wendung
des Gespräches nachzusinnen, welche diesen Ausbruch
verhinderte; weil sie aber nur zu gut wußte, wie
Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether
gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, da¬
mit nicht alles in Flammen stehe, so schwieg sie lieber
ganz. Sie fühlte sich, indeß auch nicht vollkommen
sicher auf dem Terrain, denn sie war überrascht, nicht
sowohl über die Macht der Leidenschaft, welche die
für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Be¬
wußtsein und die Seele, mit welcher sie das Gefühlte
aussprach. Wo Diplomaten Bewußtsein und Seele
merken, werden sie unsicher, und tappen umher, bis
sie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben,
mittelst deren sie den Gegenstand, der sich ihnen
entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen.

Die Fürstin hatte wenigstens eine unverfängliche
Wendung gefunden, als sie, wie aus tiefem Nach¬
sinnen aufseufzend, den Blick gen Himmel, rief:

ihr Liebesſchmerz noch weniger, am wenigſten aber
der Rittmeiſter, deſſen Lob eben beginnen ſollte. Durch
das improviſirte Embraſſement verbarg ſie außerdem
die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht
da war, und erſparte ſich eine Antwort, die ihr in
dem Augenblick nicht convenirte.

Sie ſaßen eine Weile in ſchweigender Rührung.
Bei der Baronin bedürfte es nur des Antippens mit
dem Finger, und ihre Bekenntniſſe, lange noch nicht
erſchöpft, brachen von neuem heraus. Dies beſorgte
die Fürſtin, ſie ſchien nur deshalb auf eine Wendung
des Geſpräches nachzuſinnen, welche dieſen Ausbruch
verhinderte; weil ſie aber nur zu gut wußte, wie
Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether
gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, da¬
mit nicht alles in Flammen ſtehe, ſo ſchwieg ſie lieber
ganz. Sie fühlte ſich, indeß auch nicht vollkommen
ſicher auf dem Terrain, denn ſie war überraſcht, nicht
ſowohl über die Macht der Leidenſchaft, welche die
für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Be¬
wußtſein und die Seele, mit welcher ſie das Gefühlte
ausſprach. Wo Diplomaten Bewußtſein und Seele
merken, werden ſie unſicher, und tappen umher, bis
ſie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben,
mittelſt deren ſie den Gegenſtand, der ſich ihnen
entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen.

Die Fürſtin hatte wenigſtens eine unverfängliche
Wendung gefunden, als ſie, wie aus tiefem Nach¬
ſinnen aufſeufzend, den Blick gen Himmel, rief:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="171"/>
ihr Liebes&#x017F;chmerz noch weniger, am wenig&#x017F;ten aber<lb/>
der Rittmei&#x017F;ter, de&#x017F;&#x017F;en Lob eben beginnen &#x017F;ollte. Durch<lb/>
das improvi&#x017F;irte Embra&#x017F;&#x017F;ement verbarg &#x017F;ie außerdem<lb/>
die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht<lb/>
da war, und er&#x017F;parte &#x017F;ich eine Antwort, die ihr in<lb/>
dem Augenblick nicht convenirte.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;aßen eine Weile in &#x017F;chweigender Rührung.<lb/>
Bei der Baronin bedürfte es nur des Antippens mit<lb/>
dem Finger, und ihre Bekenntni&#x017F;&#x017F;e, lange noch nicht<lb/>
er&#x017F;chöpft, brachen von neuem heraus. Dies be&#x017F;orgte<lb/>
die Für&#x017F;tin, &#x017F;ie &#x017F;chien nur deshalb auf eine Wendung<lb/>
des Ge&#x017F;präches nachzu&#x017F;innen, welche die&#x017F;en Ausbruch<lb/>
verhinderte; weil &#x017F;ie aber nur zu gut wußte, wie<lb/>
Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether<lb/>
gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, da¬<lb/>
mit nicht alles in Flammen &#x017F;tehe, &#x017F;o &#x017F;chwieg &#x017F;ie lieber<lb/>
ganz. Sie fühlte &#x017F;ich, indeß auch nicht vollkommen<lb/>
&#x017F;icher auf dem Terrain, denn &#x017F;ie war überra&#x017F;cht, nicht<lb/>
&#x017F;owohl über die Macht der Leiden&#x017F;chaft, welche die<lb/>
für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Be¬<lb/>
wußt&#x017F;ein und die Seele, mit welcher &#x017F;ie das Gefühlte<lb/>
aus&#x017F;prach. Wo Diplomaten Bewußt&#x017F;ein und Seele<lb/>
merken, werden &#x017F;ie un&#x017F;icher, und tappen umher, bis<lb/>
&#x017F;ie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben,<lb/>
mittel&#x017F;t deren &#x017F;ie den Gegen&#x017F;tand, der &#x017F;ich ihnen<lb/>
entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen.</p><lb/>
        <p>Die Für&#x017F;tin hatte wenig&#x017F;tens eine unverfängliche<lb/>
Wendung gefunden, als &#x017F;ie, wie aus tiefem Nach¬<lb/>
&#x017F;innen auf&#x017F;eufzend, den Blick gen Himmel, rief:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0181] ihr Liebesſchmerz noch weniger, am wenigſten aber der Rittmeiſter, deſſen Lob eben beginnen ſollte. Durch das improviſirte Embraſſement verbarg ſie außerdem die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht da war, und erſparte ſich eine Antwort, die ihr in dem Augenblick nicht convenirte. Sie ſaßen eine Weile in ſchweigender Rührung. Bei der Baronin bedürfte es nur des Antippens mit dem Finger, und ihre Bekenntniſſe, lange noch nicht erſchöpft, brachen von neuem heraus. Dies beſorgte die Fürſtin, ſie ſchien nur deshalb auf eine Wendung des Geſpräches nachzuſinnen, welche dieſen Ausbruch verhinderte; weil ſie aber nur zu gut wußte, wie Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, da¬ mit nicht alles in Flammen ſtehe, ſo ſchwieg ſie lieber ganz. Sie fühlte ſich, indeß auch nicht vollkommen ſicher auf dem Terrain, denn ſie war überraſcht, nicht ſowohl über die Macht der Leidenſchaft, welche die für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Be¬ wußtſein und die Seele, mit welcher ſie das Gefühlte ausſprach. Wo Diplomaten Bewußtſein und Seele merken, werden ſie unſicher, und tappen umher, bis ſie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben, mittelſt deren ſie den Gegenſtand, der ſich ihnen entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen. Die Fürſtin hatte wenigſtens eine unverfängliche Wendung gefunden, als ſie, wie aus tiefem Nach¬ ſinnen aufſeufzend, den Blick gen Himmel, rief:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/181
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/181>, abgerufen am 26.04.2024.