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[Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789.

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Wilhelm Walter.
antwortet, wenn er frägt: wozu der viele
unnütze Wirwar von diesem und ienem? ich
will nicht dies, sondern die Algebra lernen.

Erst am Abend des folgenden Tages ka-
men beide in der Heimath an -- Walter
eilte zu seiner Mutter und fand sie schon ge-
storben. Seine Gefüle für andre Gegenstände
auser der heiligen Magie, und wenn sie die
auffallendsten, rührendsten in diesem Erdele-
ben gewesen wären, waren durch seinen al-
zugrosen Hang nach dem einzigen, Grosen
ganz abgestumpft -- er konnte nicht weinen,
nicht Mitleid empfinden; troknen Auges sah
er sie auf dem Stroh liegen -- er ging von
ihr und durchsuchte die hinterlassene Erb-
schaft, welche an baarem Gelde in 200 Rthlr.
bestand. Er war zufrieden; und wär es
noch weniger gewesen, er hätte sich das nicht
kümmern lassen -- so sehr war er hingerissen
für sein Jdeal, nach dem all sein Streben
ging, nach welchem er immer und vergebens
haschte, wie in der Fabel der Knabe nach
dem Regenbogen. Er lies seine Mutter zur

Erde

Wilhelm Walter.
antwortet, wenn er fraͤgt: wozu der viele
unnuͤtze Wirwar von dieſem und ienem? ich
will nicht dies, ſondern die Algebra lernen.

Erſt am Abend des folgenden Tages ka-
men beide in der Heimath an — Walter
eilte zu ſeiner Mutter und fand ſie ſchon ge-
ſtorben. Seine Gefuͤle fuͤr andre Gegenſtaͤnde
auſer der heiligen Magie, und wenn ſie die
auffallendſten, ruͤhrendſten in dieſem Erdele-
ben geweſen waͤren, waren durch ſeinen al-
zugroſen Hang nach dem einzigen, Groſen
ganz abgeſtumpft — er konnte nicht weinen,
nicht Mitleid empfinden; troknen Auges ſah
er ſie auf dem Stroh liegen — er ging von
ihr und durchſuchte die hinterlaſſene Erb-
ſchaft, welche an baarem Gelde in 200 Rthlr.
beſtand. Er war zufrieden; und waͤr es
noch weniger geweſen, er haͤtte ſich das nicht
kuͤmmern laſſen — ſo ſehr war er hingeriſſen
fuͤr ſein Jdeal, nach dem all ſein Streben
ging, nach welchem er immer und vergebens
haſchte, wie in der Fabel der Knabe nach
dem Regenbogen. Er lies ſeine Mutter zur

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[31/0034] Wilhelm Walter. antwortet, wenn er fraͤgt: wozu der viele unnuͤtze Wirwar von dieſem und ienem? ich will nicht dies, ſondern die Algebra lernen. Erſt am Abend des folgenden Tages ka- men beide in der Heimath an — Walter eilte zu ſeiner Mutter und fand ſie ſchon ge- ſtorben. Seine Gefuͤle fuͤr andre Gegenſtaͤnde auſer der heiligen Magie, und wenn ſie die auffallendſten, ruͤhrendſten in dieſem Erdele- ben geweſen waͤren, waren durch ſeinen al- zugroſen Hang nach dem einzigen, Groſen ganz abgeſtumpft — er konnte nicht weinen, nicht Mitleid empfinden; troknen Auges ſah er ſie auf dem Stroh liegen — er ging von ihr und durchſuchte die hinterlaſſene Erb- ſchaft, welche an baarem Gelde in 200 Rthlr. beſtand. Er war zufrieden; und waͤr es noch weniger geweſen, er haͤtte ſich das nicht kuͤmmern laſſen — ſo ſehr war er hingeriſſen fuͤr ſein Jdeal, nach dem all ſein Streben ging, nach welchem er immer und vergebens haſchte, wie in der Fabel der Knabe nach dem Regenbogen. Er lies ſeine Mutter zur Erde

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Zitationshilfe: [Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/34>, abgerufen am 26.04.2024.