Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Höflichkeit willen, noch besuchen. Auch diese Ausrede half ihm zuletzt nicht mehr. Wie aber Jede nun von ihm als Beweis wahrer Liebe begehrte, er müsse die andern Beiden gänzlich meiden, stellte er sich sehr betroffen. Und er machte eine Gegenbedingung: förmliche Verlobung und Ringwechsel in Gegenwart der Eltern, und nach diesem eine stille Stunde in der Nacht, wo Liebende ungestört von der Hochzeit, von der Reise und von den Einrichtungen im gräflichen Palaste kosen könnten. Auch das gab jede der drei Schönen zu, und das Wort ward mit einem Kusse versiegelt. Aber im Küssen sagte jede: Liebster Graf, wie seid Ihr doch so gar bleich? Leget das schwarze Gewand ab, es macht Euch noch blässer. Dann antwortete er immer: Ich trage schwarz, um ein Gelübde zu erfüllen. Am Hochzeitstage erscheine ich roth und weiß, wie, Herzallerliebste, deine Wange. Also hielt der Graf Verlobung mit Jeder, das geschah am gleichen Tage. Dann schlich er im Finstern zu Jeder ins Schlafkämmerlein. Das geschah in der gleichen Nacht. Als des andern Morgens die Mädchen zu lange schliefen, gingen die Eltern, sie zu wecken. Da lag jede der Jungfrauen eiskalt im Bette und den Hals umgedreht, das Gesicht im Nacken. Zetergeschrei fuhr aus den drei Häusern über die Gassen. Alles Volk rannte erschrocken zusammen. Mord! Mord! ward geschrieen; und weil der Verdacht auf den Grafen von Gräbern fiel, sammelten sich die Höflichkeit willen, noch besuchen. Auch diese Ausrede half ihm zuletzt nicht mehr. Wie aber Jede nun von ihm als Beweis wahrer Liebe begehrte, er müsse die andern Beiden gänzlich meiden, stellte er sich sehr betroffen. Und er machte eine Gegenbedingung: förmliche Verlobung und Ringwechsel in Gegenwart der Eltern, und nach diesem eine stille Stunde in der Nacht, wo Liebende ungestört von der Hochzeit, von der Reise und von den Einrichtungen im gräflichen Palaste kosen könnten. Auch das gab jede der drei Schönen zu, und das Wort ward mit einem Kusse versiegelt. Aber im Küssen sagte jede: Liebster Graf, wie seid Ihr doch so gar bleich? Leget das schwarze Gewand ab, es macht Euch noch blässer. Dann antwortete er immer: Ich trage schwarz, um ein Gelübde zu erfüllen. Am Hochzeitstage erscheine ich roth und weiß, wie, Herzallerliebste, deine Wange. Also hielt der Graf Verlobung mit Jeder, das geschah am gleichen Tage. Dann schlich er im Finstern zu Jeder ins Schlafkämmerlein. Das geschah in der gleichen Nacht. Als des andern Morgens die Mädchen zu lange schliefen, gingen die Eltern, sie zu wecken. Da lag jede der Jungfrauen eiskalt im Bette und den Hals umgedreht, das Gesicht im Nacken. Zetergeschrei fuhr aus den drei Häusern über die Gassen. Alles Volk rannte erschrocken zusammen. Mord! Mord! ward geschrieen; und weil der Verdacht auf den Grafen von Gräbern fiel, sammelten sich die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="10"> <p><pb facs="#f0074"/> Höflichkeit willen, noch besuchen. Auch diese Ausrede half ihm zuletzt nicht mehr. Wie aber Jede nun von ihm als Beweis wahrer Liebe begehrte, er müsse die andern Beiden gänzlich meiden, stellte er sich sehr betroffen. Und er machte eine Gegenbedingung: förmliche Verlobung und Ringwechsel in Gegenwart der Eltern, und nach diesem eine stille Stunde in der Nacht, wo Liebende ungestört von der Hochzeit, von der Reise und von den Einrichtungen im gräflichen Palaste kosen könnten. Auch das gab jede der drei Schönen zu, und das Wort ward mit einem Kusse versiegelt. Aber im Küssen sagte jede: Liebster Graf, wie seid Ihr doch so gar bleich? Leget das schwarze Gewand ab, es macht Euch noch blässer. Dann antwortete er immer: Ich trage schwarz, um ein Gelübde zu erfüllen. Am Hochzeitstage erscheine ich roth und weiß, wie, Herzallerliebste, deine Wange.</p><lb/> <p>Also hielt der Graf Verlobung mit Jeder, das geschah am gleichen Tage. Dann schlich er im Finstern zu Jeder ins Schlafkämmerlein. Das geschah in der gleichen Nacht. Als des andern Morgens die Mädchen zu lange schliefen, gingen die Eltern, sie zu wecken.</p><lb/> <p>Da lag jede der Jungfrauen eiskalt im Bette und den Hals umgedreht, das Gesicht im Nacken.</p><lb/> <p>Zetergeschrei fuhr aus den drei Häusern über die Gassen. Alles Volk rannte erschrocken zusammen. Mord! Mord! ward geschrieen; und weil der Verdacht auf den Grafen von Gräbern fiel, sammelten sich die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Höflichkeit willen, noch besuchen. Auch diese Ausrede half ihm zuletzt nicht mehr. Wie aber Jede nun von ihm als Beweis wahrer Liebe begehrte, er müsse die andern Beiden gänzlich meiden, stellte er sich sehr betroffen. Und er machte eine Gegenbedingung: förmliche Verlobung und Ringwechsel in Gegenwart der Eltern, und nach diesem eine stille Stunde in der Nacht, wo Liebende ungestört von der Hochzeit, von der Reise und von den Einrichtungen im gräflichen Palaste kosen könnten. Auch das gab jede der drei Schönen zu, und das Wort ward mit einem Kusse versiegelt. Aber im Küssen sagte jede: Liebster Graf, wie seid Ihr doch so gar bleich? Leget das schwarze Gewand ab, es macht Euch noch blässer. Dann antwortete er immer: Ich trage schwarz, um ein Gelübde zu erfüllen. Am Hochzeitstage erscheine ich roth und weiß, wie, Herzallerliebste, deine Wange.
Also hielt der Graf Verlobung mit Jeder, das geschah am gleichen Tage. Dann schlich er im Finstern zu Jeder ins Schlafkämmerlein. Das geschah in der gleichen Nacht. Als des andern Morgens die Mädchen zu lange schliefen, gingen die Eltern, sie zu wecken.
Da lag jede der Jungfrauen eiskalt im Bette und den Hals umgedreht, das Gesicht im Nacken.
Zetergeschrei fuhr aus den drei Häusern über die Gassen. Alles Volk rannte erschrocken zusammen. Mord! Mord! ward geschrieen; und weil der Verdacht auf den Grafen von Gräbern fiel, sammelten sich die
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/74>, abgerufen am 16.07.2024. |