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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sitte noch aus dem elterlichen Hause herübergeerbt und beibehalten.

Das Alles ging nun auch an Waldrich's Geburtstag in altbestandener, ihm wohlbekannter Ordnung vor sich. Wie er ins Speisezimmer trat, waren die sämmtlichen Tischgenossen schon versammelt. Herr Bantes kam ihm mit seinem Glückwünsche entgegen und überreichte ihm ein Blättchen in Seidenpapier eingeschlagen. Es war ein schöner Wechsel, von Herrn Bantes auf sich selbst ausgestellt, a vista zahlbar. Frau Bantes folgte. Sie trug ihm eine äußerst feine, vollständige Hauptmannsuniform entgegen, mit allem Zubehör. Darauf nahte Friederike mit einem Silberteller; auf einem halben Dutzend feinen, von ihrer eigenen Hand gestickten Halstüchern lag ein Brief mit großem Siegel des Regiments und der Adresse: An den Hauptmann Georg Waldrich. Hier stutzte der Oberlieutenant, als er aufbrach und ein Hauptmannspatent für sich erblickte. Auf Beförderung hatte er lange gewartet, aber sie so bald nicht zu erleben gehofft. Er war Hauptmann seiner Compagnie geblieben, sein auf Urlaub befindlicher Vorgänger zum Major vorgerückt.

Aber, mein gnädiger Herr Hauptmann, sagte Friederike mit ihrem ihr eigenen anmuthigen Lächeln, gelt, Sie werden mir doch nicht böse? Ich will nur bekennen, der Brief kam schon vor acht Tagen während Ihrer Abwesenheit an, und ich unterschlug ihn, um ihn für heute aufzusparen. Gestraft genug bin ich

Sitte noch aus dem elterlichen Hause herübergeerbt und beibehalten.

Das Alles ging nun auch an Waldrich's Geburtstag in altbestandener, ihm wohlbekannter Ordnung vor sich. Wie er ins Speisezimmer trat, waren die sämmtlichen Tischgenossen schon versammelt. Herr Bantes kam ihm mit seinem Glückwünsche entgegen und überreichte ihm ein Blättchen in Seidenpapier eingeschlagen. Es war ein schöner Wechsel, von Herrn Bantes auf sich selbst ausgestellt, a vista zahlbar. Frau Bantes folgte. Sie trug ihm eine äußerst feine, vollständige Hauptmannsuniform entgegen, mit allem Zubehör. Darauf nahte Friederike mit einem Silberteller; auf einem halben Dutzend feinen, von ihrer eigenen Hand gestickten Halstüchern lag ein Brief mit großem Siegel des Regiments und der Adresse: An den Hauptmann Georg Waldrich. Hier stutzte der Oberlieutenant, als er aufbrach und ein Hauptmannspatent für sich erblickte. Auf Beförderung hatte er lange gewartet, aber sie so bald nicht zu erleben gehofft. Er war Hauptmann seiner Compagnie geblieben, sein auf Urlaub befindlicher Vorgänger zum Major vorgerückt.

Aber, mein gnädiger Herr Hauptmann, sagte Friederike mit ihrem ihr eigenen anmuthigen Lächeln, gelt, Sie werden mir doch nicht böse? Ich will nur bekennen, der Brief kam schon vor acht Tagen während Ihrer Abwesenheit an, und ich unterschlug ihn, um ihn für heute aufzusparen. Gestraft genug bin ich

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[0032] Sitte noch aus dem elterlichen Hause herübergeerbt und beibehalten. Das Alles ging nun auch an Waldrich's Geburtstag in altbestandener, ihm wohlbekannter Ordnung vor sich. Wie er ins Speisezimmer trat, waren die sämmtlichen Tischgenossen schon versammelt. Herr Bantes kam ihm mit seinem Glückwünsche entgegen und überreichte ihm ein Blättchen in Seidenpapier eingeschlagen. Es war ein schöner Wechsel, von Herrn Bantes auf sich selbst ausgestellt, a vista zahlbar. Frau Bantes folgte. Sie trug ihm eine äußerst feine, vollständige Hauptmannsuniform entgegen, mit allem Zubehör. Darauf nahte Friederike mit einem Silberteller; auf einem halben Dutzend feinen, von ihrer eigenen Hand gestickten Halstüchern lag ein Brief mit großem Siegel des Regiments und der Adresse: An den Hauptmann Georg Waldrich. Hier stutzte der Oberlieutenant, als er aufbrach und ein Hauptmannspatent für sich erblickte. Auf Beförderung hatte er lange gewartet, aber sie so bald nicht zu erleben gehofft. Er war Hauptmann seiner Compagnie geblieben, sein auf Urlaub befindlicher Vorgänger zum Major vorgerückt. Aber, mein gnädiger Herr Hauptmann, sagte Friederike mit ihrem ihr eigenen anmuthigen Lächeln, gelt, Sie werden mir doch nicht böse? Ich will nur bekennen, der Brief kam schon vor acht Tagen während Ihrer Abwesenheit an, und ich unterschlug ihn, um ihn für heute aufzusparen. Gestraft genug bin ich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/32>, abgerufen am 24.11.2024.