Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der glücklichsten Ehemänner und Hausväter), schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein theils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; theils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Bestandtheile, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden. Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheirathung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Denn die Zahl Zwanzig hat für ein junges Mädchen einen unausstehlich breiten Ton. Eine junge zwanzigjährige Frau -- der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen -- man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: wie lange will denn das jung bleiben? Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf darnach seine Anstalten. der glücklichsten Ehemänner und Hausväter), schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein theils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; theils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Bestandtheile, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden. Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheirathung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Denn die Zahl Zwanzig hat für ein junges Mädchen einen unausstehlich breiten Ton. Eine junge zwanzigjährige Frau — der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen — man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: wie lange will denn das jung bleiben? Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf darnach seine Anstalten. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0030"/> der glücklichsten Ehemänner und Hausväter), schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein theils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; theils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Bestandtheile, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden.</p><lb/> <p>Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheirathung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Denn die Zahl Zwanzig hat für ein junges Mädchen einen unausstehlich breiten Ton. Eine junge zwanzigjährige Frau — der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen — man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: wie lange will denn das jung bleiben? Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf darnach seine Anstalten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
der glücklichsten Ehemänner und Hausväter), schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein theils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; theils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Bestandtheile, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden.
Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheirathung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Denn die Zahl Zwanzig hat für ein junges Mädchen einen unausstehlich breiten Ton. Eine junge zwanzigjährige Frau — der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen — man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: wie lange will denn das jung bleiben? Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf darnach seine Anstalten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/30 |
Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/30>, abgerufen am 16.07.2024. |