Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sie kommen zu rechter Zeit, Herr Wirth; ist das Essen fertig? sagte der schwarze Herr. Das Essen bei uns wird Ihrer Gnaden ohne Zweifel zu schlecht sein. Nichts weniger, als das. Es ist gut gekocht. Ich freilich esse nie viel, aber das soll keinen Vorwurf gelten. Man speiset im goldenen Engel besser. Ich mag nichts vom Engel, ich bleibe beim Kreuz. Sie sind bescheidener, als ich je einen Wirth gesehen habe. Lassen Sie bald decken. Der Kreuztwirth rieb die Mütze in den Händen herum und schien verlegen, wie er noch etwas anbringen sollte, das ihm auf dem Herzen lag. Der Schwarze bemerkte es anfangs nicht, sondern ging, vertieft in Gedanken, her und hin. So oft er aber dem Wirthe zu nahe kam, wich dieser sorgfältig auf vier Schritte aus. Wollen Sie noch etwas, Herr Wirth? fragte der Banquier endlich. He ja! Ew. Gnaden wollen es doch aber ja nicht übel deuten. Nicht im Geringsten. Frisch heraus mit der Sprache! rief der todte Gast, und streckte den Arm aus, um dem Wirth freundlich auf die Schulter zu klopfen. Dieser aber verstand die Bewegung unrecht, und vermuthete das Aergste. Er mochte sich wohl gar einbilden, der Gast wolle an seinem Kopfe und Genicke Sie kommen zu rechter Zeit, Herr Wirth; ist das Essen fertig? sagte der schwarze Herr. Das Essen bei uns wird Ihrer Gnaden ohne Zweifel zu schlecht sein. Nichts weniger, als das. Es ist gut gekocht. Ich freilich esse nie viel, aber das soll keinen Vorwurf gelten. Man speiset im goldenen Engel besser. Ich mag nichts vom Engel, ich bleibe beim Kreuz. Sie sind bescheidener, als ich je einen Wirth gesehen habe. Lassen Sie bald decken. Der Kreuztwirth rieb die Mütze in den Händen herum und schien verlegen, wie er noch etwas anbringen sollte, das ihm auf dem Herzen lag. Der Schwarze bemerkte es anfangs nicht, sondern ging, vertieft in Gedanken, her und hin. So oft er aber dem Wirthe zu nahe kam, wich dieser sorgfältig auf vier Schritte aus. Wollen Sie noch etwas, Herr Wirth? fragte der Banquier endlich. He ja! Ew. Gnaden wollen es doch aber ja nicht übel deuten. Nicht im Geringsten. Frisch heraus mit der Sprache! rief der todte Gast, und streckte den Arm aus, um dem Wirth freundlich auf die Schulter zu klopfen. Dieser aber verstand die Bewegung unrecht, und vermuthete das Aergste. Er mochte sich wohl gar einbilden, der Gast wolle an seinem Kopfe und Genicke <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="15"> <pb facs="#f0132"/> <p>Sie kommen zu rechter Zeit, Herr Wirth; ist das Essen fertig? sagte der schwarze Herr.</p><lb/> <p>Das Essen bei uns wird Ihrer Gnaden ohne Zweifel zu schlecht sein.</p><lb/> <p>Nichts weniger, als das. Es ist gut gekocht. Ich freilich esse nie viel, aber das soll keinen Vorwurf gelten.</p><lb/> <p>Man speiset im goldenen Engel besser.</p><lb/> <p>Ich mag nichts vom Engel, ich bleibe beim Kreuz. Sie sind bescheidener, als ich je einen Wirth gesehen habe. Lassen Sie bald decken.</p><lb/> <p>Der Kreuztwirth rieb die Mütze in den Händen herum und schien verlegen, wie er noch etwas anbringen sollte, das ihm auf dem Herzen lag. Der Schwarze bemerkte es anfangs nicht, sondern ging, vertieft in Gedanken, her und hin. So oft er aber dem Wirthe zu nahe kam, wich dieser sorgfältig auf vier Schritte aus.</p><lb/> <p>Wollen Sie noch etwas, Herr Wirth? fragte der Banquier endlich.</p><lb/> <p>He ja! Ew. Gnaden wollen es doch aber ja nicht übel deuten.</p><lb/> <p>Nicht im Geringsten. Frisch heraus mit der Sprache! rief der todte Gast, und streckte den Arm aus, um dem Wirth freundlich auf die Schulter zu klopfen. Dieser aber verstand die Bewegung unrecht, und vermuthete das Aergste. Er mochte sich wohl gar einbilden, der Gast wolle an seinem Kopfe und Genicke<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
Sie kommen zu rechter Zeit, Herr Wirth; ist das Essen fertig? sagte der schwarze Herr.
Das Essen bei uns wird Ihrer Gnaden ohne Zweifel zu schlecht sein.
Nichts weniger, als das. Es ist gut gekocht. Ich freilich esse nie viel, aber das soll keinen Vorwurf gelten.
Man speiset im goldenen Engel besser.
Ich mag nichts vom Engel, ich bleibe beim Kreuz. Sie sind bescheidener, als ich je einen Wirth gesehen habe. Lassen Sie bald decken.
Der Kreuztwirth rieb die Mütze in den Händen herum und schien verlegen, wie er noch etwas anbringen sollte, das ihm auf dem Herzen lag. Der Schwarze bemerkte es anfangs nicht, sondern ging, vertieft in Gedanken, her und hin. So oft er aber dem Wirthe zu nahe kam, wich dieser sorgfältig auf vier Schritte aus.
Wollen Sie noch etwas, Herr Wirth? fragte der Banquier endlich.
He ja! Ew. Gnaden wollen es doch aber ja nicht übel deuten.
Nicht im Geringsten. Frisch heraus mit der Sprache! rief der todte Gast, und streckte den Arm aus, um dem Wirth freundlich auf die Schulter zu klopfen. Dieser aber verstand die Bewegung unrecht, und vermuthete das Aergste. Er mochte sich wohl gar einbilden, der Gast wolle an seinem Kopfe und Genicke
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/132 |
Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/132>, abgerufen am 19.07.2024. |