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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.

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Nachdenken über sich selbst.
Daseyns und seiner Bestimmung zu freuen;
desto völliger kann er jenes genießen, und desto
sicherer sich dieser nähern. Unachtsamkeit und
Mangel der Selbsterkenntniß und des Selbst-
bewußtseyns sind an unsern meisten Vergehun-
gen, so wie an unsern meisten Leiden und Be-
kümmernissen schuld.

Wer bin ich? Woher komm ich? Was
kann ich? Was vermag ich? Wozu bin ich
da? Was soll, was wird aus mir werden?
Welche natürliche, wichtige Fragen! Und wie
selten thut sie doch der Mensch mit dem ganzen
Ernst seiner Seele an sich! Ja, oft wollen wir
sie uns vorlegen, wenn wir in der Stille über
uns selbst nachdenken. Oft wollen wir zu uns
selbst sagen: in mir kann der Grund meines
Entstehens und meiner Fortdauer nicht liegen;
denn ich bin entstanden, ohne es zu wissen, und
ich daure fort, ohne die Art und Weise davon
zu begreifen. Nothwendig muß außer mir eine
Ursache meines Daseyns vorhanden, und diese
Ursache muß sehr mächtig, sehr weise, sehr gü-
tig seyn; denn mein Leib und meine Seele und
ihre gegenseitige Verbindung mit einander tra-
gen eben so zahlreiche als unverkennbare Spu-
ren der Weisheit, der Macht, der Güte an

sich.

Nachdenken über ſich ſelbſt.
Daſeyns und ſeiner Beſtimmung zu freuen;
deſto völliger kann er jenes genießen, und deſto
ſicherer ſich dieſer nähern. Unachtſamkeit und
Mangel der Selbſterkenntniß und des Selbſt-
bewußtſeyns ſind an unſern meiſten Vergehun-
gen, ſo wie an unſern meiſten Leiden und Be-
kümmerniſſen ſchuld.

Wer bin ich? Woher komm ich? Was
kann ich? Was vermag ich? Wozu bin ich
da? Was ſoll, was wird aus mir werden?
Welche natürliche, wichtige Fragen! Und wie
ſelten thut ſie doch der Menſch mit dem ganzen
Ernſt ſeiner Seele an ſich! Ja, oft wollen wir
ſie uns vorlegen, wenn wir in der Stille über
uns ſelbſt nachdenken. Oft wollen wir zu uns
ſelbſt ſagen: in mir kann der Grund meines
Entſtehens und meiner Fortdauer nicht liegen;
denn ich bin entſtanden, ohne es zu wiſſen, und
ich daure fort, ohne die Art und Weiſe davon
zu begreifen. Nothwendig muß außer mir eine
Urſache meines Daſeyns vorhanden, und dieſe
Urſache muß ſehr mächtig, ſehr weiſe, ſehr gü-
tig ſeyn; denn mein Leib und meine Seele und
ihre gegenſeitige Verbindung mit einander tra-
gen eben ſo zahlreiche als unverkennbare Spu-
ren der Weisheit, der Macht, der Güte an

ſich.
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[31/0053] Nachdenken über ſich ſelbſt. Daſeyns und ſeiner Beſtimmung zu freuen; deſto völliger kann er jenes genießen, und deſto ſicherer ſich dieſer nähern. Unachtſamkeit und Mangel der Selbſterkenntniß und des Selbſt- bewußtſeyns ſind an unſern meiſten Vergehun- gen, ſo wie an unſern meiſten Leiden und Be- kümmerniſſen ſchuld. Wer bin ich? Woher komm ich? Was kann ich? Was vermag ich? Wozu bin ich da? Was ſoll, was wird aus mir werden? Welche natürliche, wichtige Fragen! Und wie ſelten thut ſie doch der Menſch mit dem ganzen Ernſt ſeiner Seele an ſich! Ja, oft wollen wir ſie uns vorlegen, wenn wir in der Stille über uns ſelbſt nachdenken. Oft wollen wir zu uns ſelbſt ſagen: in mir kann der Grund meines Entſtehens und meiner Fortdauer nicht liegen; denn ich bin entſtanden, ohne es zu wiſſen, und ich daure fort, ohne die Art und Weiſe davon zu begreifen. Nothwendig muß außer mir eine Urſache meines Daſeyns vorhanden, und dieſe Urſache muß ſehr mächtig, ſehr weiſe, ſehr gü- tig ſeyn; denn mein Leib und meine Seele und ihre gegenſeitige Verbindung mit einander tra- gen eben ſo zahlreiche als unverkennbare Spu- ren der Weisheit, der Macht, der Güte an ſich.

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Zitationshilfe: Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/53>, abgerufen am 22.07.2024.