Als wichtiges degradationistisches Moment muß neben dieser Lebensalter-Abnahme, und zwar als mit ihr eng verflochten und ihr stetes Fortschreiten bedingend, das allmählige Versinken der Menschheit in rohes Lasterleben und in Götzendienst wahr- genommen werden. Für die vorsintfluthliche Periode stellt das Alte Testament diesen Verschlechterungsproceß weniger noch als religiösen, denn als ethischen dar; doch trägt das wilde Naturleben der Nachkommen Kains -- man denke an Lamech, den Begründer polygamischer Sitten und blutiger Kriegführung -- mehr oder weniger auch schon den Charakter eigentlichen Naturdienstes. Und vollends in den Ehen der Gottessöhne mit den Menschentöchtern 1 Mos. 6, 1--4 tritt götzendienerisches Treiben mit seinen greuel- vollen Früchten offen zu Tage. Bestimmter lassen alsdann der Thurmbau zu Babel und die Völkerzerstreuung, sowie das Scheiden Abrahams aus dem Kreise der Nahoriden in Haran das Umsich- greifen der Götzendienerei erkennen -- wiewohl noch mit Abraham auch nicht-götzendienerische Stämme, repräsentirt durch Melchisedek, den königlichen Priester des höchsten Gottes zu Salem, in Kanaan zusammen wohnten (1 Mos. 14). Von der genannten mesopota- mischen Familie aus dringt das Uebel der Hausgötzen-Anbetung bis in Jakobs erzväterliche Zeit ein (1 Mos. 31, 19 ff.); der Sohn eben der Lieblingsgattin, die sich und ihn mit dieser Schuld be- fleckte, heirathet nachmals eines ägyptischen Priesters Tochter (1 Mos. 41, 45); das aus Aegypten nach Kanaan zurückkehrende Gottesvolk erscheint von götzendienerischen Gelüsten so ganz erfüllt und ver- giftet, daß Mosis gesammtes Wirken als ein anhaltender Kampf mit diesem Heidenthum in Herzen und Leben seines Volkes ver- laufen muß (vgl. Am. 5, 25; Apg. 7, 35--43) und Josuas Testament die Perspective auf noch viele Jahrhunderte lang währende innere Kämpfe ähnlicher Art eröffnet, Jos. 24. Das Neue Testa- ment hat die äußeren Umrisse dieses Fortschreitens in der Richtung auf immer ärgere götzendienerische Entartung zu mehreren Malen auf lehrreiche Weise gezeichnet, besonders Apg. 7; auch Hebr. 11,
II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
Als wichtiges degradationiſtiſches Moment muß neben dieſer Lebensalter-Abnahme, und zwar als mit ihr eng verflochten und ihr ſtetes Fortſchreiten bedingend, das allmählige Verſinken der Menſchheit in rohes Laſterleben und in Götzendienſt wahr- genommen werden. Für die vorſintfluthliche Periode ſtellt das Alte Teſtament dieſen Verſchlechterungsproceß weniger noch als religiöſen, denn als ethiſchen dar; doch trägt das wilde Naturleben der Nachkommen Kains — man denke an Lamech, den Begründer polygamiſcher Sitten und blutiger Kriegführung — mehr oder weniger auch ſchon den Charakter eigentlichen Naturdienſtes. Und vollends in den Ehen der Gottesſöhne mit den Menſchentöchtern 1 Moſ. 6, 1—4 tritt götzendieneriſches Treiben mit ſeinen greuel- vollen Früchten offen zu Tage. Beſtimmter laſſen alsdann der Thurmbau zu Babel und die Völkerzerſtreuung, ſowie das Scheiden Abrahams aus dem Kreiſe der Nahoriden in Haran das Umſich- greifen der Götzendienerei erkennen — wiewohl noch mit Abraham auch nicht-götzendieneriſche Stämme, repräſentirt durch Melchiſedek, den königlichen Prieſter des höchſten Gottes zu Salem, in Kanaan zuſammen wohnten (1 Moſ. 14). Von der genannten meſopota- miſchen Familie aus dringt das Uebel der Hausgötzen-Anbetung bis in Jakobs erzväterliche Zeit ein (1 Moſ. 31, 19 ff.); der Sohn eben der Lieblingsgattin, die ſich und ihn mit dieſer Schuld be- fleckte, heirathet nachmals eines ägyptiſchen Prieſters Tochter (1 Moſ. 41, 45); das aus Aegypten nach Kanaan zurückkehrende Gottesvolk erſcheint von götzendieneriſchen Gelüſten ſo ganz erfüllt und ver- giftet, daß Moſis geſammtes Wirken als ein anhaltender Kampf mit dieſem Heidenthum in Herzen und Leben ſeines Volkes ver- laufen muß (vgl. Am. 5, 25; Apg. 7, 35—43) und Joſuas Teſtament die Perſpective auf noch viele Jahrhunderte lang währende innere Kämpfe ähnlicher Art eröffnet, Joſ. 24. Das Neue Teſta- ment hat die äußeren Umriſſe dieſes Fortſchreitens in der Richtung auf immer ärgere götzendieneriſche Entartung zu mehreren Malen auf lehrreiche Weiſe gezeichnet, beſonders Apg. 7; auch Hebr. 11,
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II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
Als wichtiges degradationiſtiſches Moment muß neben dieſer
Lebensalter-Abnahme, und zwar als mit ihr eng verflochten und
ihr ſtetes Fortſchreiten bedingend, das allmählige Verſinken der
Menſchheit in rohes Laſterleben und in Götzendienſt wahr-
genommen werden. Für die vorſintfluthliche Periode ſtellt das
Alte Teſtament dieſen Verſchlechterungsproceß weniger noch als
religiöſen, denn als ethiſchen dar; doch trägt das wilde Naturleben
der Nachkommen Kains — man denke an Lamech, den Begründer
polygamiſcher Sitten und blutiger Kriegführung — mehr oder
weniger auch ſchon den Charakter eigentlichen Naturdienſtes. Und
vollends in den Ehen der Gottesſöhne mit den Menſchentöchtern
1 Moſ. 6, 1—4 tritt götzendieneriſches Treiben mit ſeinen greuel-
vollen Früchten offen zu Tage. Beſtimmter laſſen alsdann der
Thurmbau zu Babel und die Völkerzerſtreuung, ſowie das Scheiden
Abrahams aus dem Kreiſe der Nahoriden in Haran das Umſich-
greifen der Götzendienerei erkennen — wiewohl noch mit Abraham
auch nicht-götzendieneriſche Stämme, repräſentirt durch Melchiſedek,
den königlichen Prieſter des höchſten Gottes zu Salem, in Kanaan
zuſammen wohnten (1 Moſ. 14). Von der genannten meſopota-
miſchen Familie aus dringt das Uebel der Hausgötzen-Anbetung bis
in Jakobs erzväterliche Zeit ein (1 Moſ. 31, 19 ff.); der Sohn
eben der Lieblingsgattin, die ſich und ihn mit dieſer Schuld be-
fleckte, heirathet nachmals eines ägyptiſchen Prieſters Tochter (1 Moſ.
41, 45); das aus Aegypten nach Kanaan zurückkehrende Gottesvolk
erſcheint von götzendieneriſchen Gelüſten ſo ganz erfüllt und ver-
giftet, daß Moſis geſammtes Wirken als ein anhaltender Kampf
mit dieſem Heidenthum in Herzen und Leben ſeines Volkes ver-
laufen muß (vgl. Am. 5, 25; Apg. 7, 35—43) und Joſuas
Teſtament die Perſpective auf noch viele Jahrhunderte lang währende
innere Kämpfe ähnlicher Art eröffnet, Joſ. 24. Das Neue Teſta-
ment hat die äußeren Umriſſe dieſes Fortſchreitens in der Richtung
auf immer ärgere götzendieneriſche Entartung zu mehreren Malen
auf lehrreiche Weiſe gezeichnet, beſonders Apg. 7; auch Hebr. 11,
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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