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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
stische und düster pessimistische Weiterbildung des danielischen Mo-
narchienbildes: das Paradies als goldenes Haupt der als riesenhaftes
Menschenbildniß dargestellten Weltgeschichte; die folgenden Weltzeiten
in ihrer zunehmenden Verschlechterung durch den oben noch silbernen,
dann ehernen, dann eisernen Leib dieses Riesen abgebildet; aus dem
Riesenleibe allenthalben Thränen hervorbrechend, welche in die Unter-
welt rinnen und hier zu den vier höllischen Strömen werden!1) --
Noch bis tief in die nachreformatorische Zeit hinein hat die Glie-
derung der Weltgeschichte nach den sechs oder sieben Weltaltern, sowie
die der letzten vorchristlichen Jahrhunderte nach dem danielischen
Monarchien-Schema sich in ziemlich allgemeiner Beliebtheit erhalten.
Melanchthon, And. Osiander und andere evangelische Theologen
von Ansehen begünstigten dieselbe ebensowohl, wie Petavius und
bedingterweise noch Bossuet. Das Jneinander einer progressistischen
und einer pessimistischen Geschichtsauffassung, das in dieser Com-
bination sich ausdrückt, ist der Lehrtradition aller kirchlichen Con-
fessionen fast bis dahin eigen geblieben, wo die woderne geschichts-
philosophische Speculation freiere, die Enge der biblischen Schemata
abstreifende Formen und Kategorien zu schaffen begann.2)

Doch wozu dieses Eingehen auf einen Gegenstand, der mit
unsrem eigentlichen Thema, der Lehre vom Urstand, nur mittelbarer-
weise zusammenhängt? -- Auf einigen Punkten ist immerhin dieser
Zusammenhang doch ein ziemlich enger. Das Streben, neben dem
jähen Falle, welchen die biblische Paradiesesgeschichte scheinbar den
Uebergang vom Urstand zur nachherigen sündigen Entwicklung bil-
den läßt, noch andere Beziehungen zwischen beiden Umständen nach-
zuweisen und so den starren Contrast zwischen denselben in etwas
zu mildern, den Ausgangspunkt der menschlichen Cultur- und Geistes-
entwicklung also möglichst rationell, begreiflich und natürlich zu

1) Siehe überhaupt Rocholl a. a. O., S. 30--33. -- Für Arno von
Reichersberg vgl. Bach, Dogmengesch. des Mittelalters, lI, 618; für Rupert
und Picus Mirandula m. Gesch. der Bez. etc., I, 393. 476.
2) Rocholl, S. 33 f.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
ſtiſche und düſter peſſimiſtiſche Weiterbildung des danieliſchen Mo-
narchienbildes: das Paradies als goldenes Haupt der als rieſenhaftes
Menſchenbildniß dargeſtellten Weltgeſchichte; die folgenden Weltzeiten
in ihrer zunehmenden Verſchlechterung durch den oben noch ſilbernen,
dann ehernen, dann eiſernen Leib dieſes Rieſen abgebildet; aus dem
Rieſenleibe allenthalben Thränen hervorbrechend, welche in die Unter-
welt rinnen und hier zu den vier hölliſchen Strömen werden!1)
Noch bis tief in die nachreformatoriſche Zeit hinein hat die Glie-
derung der Weltgeſchichte nach den ſechs oder ſieben Weltaltern, ſowie
die der letzten vorchriſtlichen Jahrhunderte nach dem danieliſchen
Monarchien-Schema ſich in ziemlich allgemeiner Beliebtheit erhalten.
Melanchthon, And. Oſiander und andere evangeliſche Theologen
von Anſehen begünſtigten dieſelbe ebenſowohl, wie Petavius und
bedingterweiſe noch Boſſuet. Das Jneinander einer progreſſiſtiſchen
und einer peſſimiſtiſchen Geſchichtsauffaſſung, das in dieſer Com-
bination ſich ausdrückt, iſt der Lehrtradition aller kirchlichen Con-
feſſionen faſt bis dahin eigen geblieben, wo die woderne geſchichts-
philoſophiſche Speculation freiere, die Enge der bibliſchen Schemata
abſtreifende Formen und Kategorien zu ſchaffen begann.2)

Doch wozu dieſes Eingehen auf einen Gegenſtand, der mit
unſrem eigentlichen Thema, der Lehre vom Urſtand, nur mittelbarer-
weiſe zuſammenhängt? — Auf einigen Punkten iſt immerhin dieſer
Zuſammenhang doch ein ziemlich enger. Das Streben, neben dem
jähen Falle, welchen die bibliſche Paradieſesgeſchichte ſcheinbar den
Uebergang vom Urſtand zur nachherigen ſündigen Entwicklung bil-
den läßt, noch andere Beziehungen zwiſchen beiden Umſtänden nach-
zuweiſen und ſo den ſtarren Contraſt zwiſchen denſelben in etwas
zu mildern, den Ausgangspunkt der menſchlichen Cultur- und Geiſtes-
entwicklung alſo möglichſt rationell, begreiflich und natürlich zu

1) Siehe überhaupt Rocholl a. a. O., S. 30—33. — Für Arno von
Reichersberg vgl. Bach, Dogmengeſch. des Mittelalters, lI, 618; für Rupert
und Picus Mirandula m. Geſch. der Bez. ꝛc., I, 393. 476.
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[34/0044] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. ſtiſche und düſter peſſimiſtiſche Weiterbildung des danieliſchen Mo- narchienbildes: das Paradies als goldenes Haupt der als rieſenhaftes Menſchenbildniß dargeſtellten Weltgeſchichte; die folgenden Weltzeiten in ihrer zunehmenden Verſchlechterung durch den oben noch ſilbernen, dann ehernen, dann eiſernen Leib dieſes Rieſen abgebildet; aus dem Rieſenleibe allenthalben Thränen hervorbrechend, welche in die Unter- welt rinnen und hier zu den vier hölliſchen Strömen werden! 1) — Noch bis tief in die nachreformatoriſche Zeit hinein hat die Glie- derung der Weltgeſchichte nach den ſechs oder ſieben Weltaltern, ſowie die der letzten vorchriſtlichen Jahrhunderte nach dem danieliſchen Monarchien-Schema ſich in ziemlich allgemeiner Beliebtheit erhalten. Melanchthon, And. Oſiander und andere evangeliſche Theologen von Anſehen begünſtigten dieſelbe ebenſowohl, wie Petavius und bedingterweiſe noch Boſſuet. Das Jneinander einer progreſſiſtiſchen und einer peſſimiſtiſchen Geſchichtsauffaſſung, das in dieſer Com- bination ſich ausdrückt, iſt der Lehrtradition aller kirchlichen Con- feſſionen faſt bis dahin eigen geblieben, wo die woderne geſchichts- philoſophiſche Speculation freiere, die Enge der bibliſchen Schemata abſtreifende Formen und Kategorien zu ſchaffen begann. 2) Doch wozu dieſes Eingehen auf einen Gegenſtand, der mit unſrem eigentlichen Thema, der Lehre vom Urſtand, nur mittelbarer- weiſe zuſammenhängt? — Auf einigen Punkten iſt immerhin dieſer Zuſammenhang doch ein ziemlich enger. Das Streben, neben dem jähen Falle, welchen die bibliſche Paradieſesgeſchichte ſcheinbar den Uebergang vom Urſtand zur nachherigen ſündigen Entwicklung bil- den läßt, noch andere Beziehungen zwiſchen beiden Umſtänden nach- zuweiſen und ſo den ſtarren Contraſt zwiſchen denſelben in etwas zu mildern, den Ausgangspunkt der menſchlichen Cultur- und Geiſtes- entwicklung alſo möglichſt rationell, begreiflich und natürlich zu 1) Siehe überhaupt Rocholl a. a. O., S. 30—33. — Für Arno von Reichersberg vgl. Bach, Dogmengeſch. des Mittelalters, lI, 618; für Rupert und Picus Mirandula m. Geſch. der Bez. ꝛc., I, 393. 476. 2) Rocholl, S. 33 f.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/44>, abgerufen am 22.11.2024.