Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

X. Schluß.
des wahrhaft Guten oder Gottbildlichen im Kindesleben, anderer-
seits der darin sich regenden Keime des Bösen. Lubbock, der das
Gleichniß vom Kindesalter gern und ziemlich oft gebraucht, ver-
wendet dasselbe doch in grundverkehrter Weise und gelangt mittelst
seiner zu den widersinnigsten Annahmen, wie daß "Adam ein ächter
typischer Wilder" (!) gewesen sei,1) oder wie jene Theorie vom Feti-
schismus als der Urform aller Religionsübung (vgl. VI, 2). Es
ist eine grundsätzliche Jgnorirung dessen, was das sündig Böse für
die menschliche Entwicklung zu bedeuten hat, und eine naturgemäß
eben hieraus entspringende Unfähigkeit zur Conception der Jdee
eines noch sündefreien Anfangs unsrer Stammesgeschichte, was diesen
und so manchen ähnlichen Verkehrtheiten zu Grunde liegt. Eine
Verständigung über diese in jeder Hinsicht fundamentale Meinungs-
verschiedenheit, in welcher der alte Gegensatz zwischen Pelagianismus
und Augustinismus, und zwar verschärft durch Hineinnahme eines
manichäischen Elements in das moderne Analogon des Pelagianis-
mus, wieder auflebt, läßt sich selbstverständlich nicht gewinnen.
Weder für unsre Annahme eines sündlosen Lebensanfangs unsres
Geschlechts noch für unser Festhalten an der biblischen Darstellung
von der heutigen Lebenslänge der Menschen als einer nur allmählig
durch Herabsinken von einem früheren weit höheren Maaße gewor-
denen dürfen wir irgendwelche Anerkennung auf jener Seite erwarten.
Die dem materiellen Culturleben angehörigen Beweisstücke, die ein-
zigen für welche unsre Gegner Sinn und Verständniß haben, lehren
ihrer Natur nach nichts über den sündlosen Anfang der menschlichen
Geschichte. Wo nur auf sie Rücksicht genommen und dagegen das
Zeugniß der Offenbarungsurkuude für Nichts geachtet wird, kann
eine Theorie der Menschheitsanfänge, welche sich gleicherweise auf
dieß letztere Zeugniß und auf jene materiellen urzeitlichen Cultur-
denkmale stützt, niemals zu ihrem Rechte kommen. Daher unsre
Hoffnungslosigkeit gegenüber den Vertretern jener principiell unbib-

1) Orig. of civilization etc. p. 409: "Adam was a typical savage".
Vgl. auch p. 402 s., 408 s.

X. Schluß.
des wahrhaft Guten oder Gottbildlichen im Kindesleben, anderer-
ſeits der darin ſich regenden Keime des Böſen. Lubbock, der das
Gleichniß vom Kindesalter gern und ziemlich oft gebraucht, ver-
wendet daſſelbe doch in grundverkehrter Weiſe und gelangt mittelſt
ſeiner zu den widerſinnigſten Annahmen, wie daß „Adam ein ächter
typiſcher Wilder‟ (!) geweſen ſei,1) oder wie jene Theorie vom Feti-
ſchismus als der Urform aller Religionsübung (vgl. VI, 2). Es
iſt eine grundſätzliche Jgnorirung deſſen, was das ſündig Böſe für
die menſchliche Entwicklung zu bedeuten hat, und eine naturgemäß
eben hieraus entſpringende Unfähigkeit zur Conception der Jdee
eines noch ſündefreien Anfangs unſrer Stammesgeſchichte, was dieſen
und ſo manchen ähnlichen Verkehrtheiten zu Grunde liegt. Eine
Verſtändigung über dieſe in jeder Hinſicht fundamentale Meinungs-
verſchiedenheit, in welcher der alte Gegenſatz zwiſchen Pelagianismus
und Auguſtinismus, und zwar verſchärft durch Hineinnahme eines
manichäiſchen Elements in das moderne Analogon des Pelagianis-
mus, wieder auflebt, läßt ſich ſelbſtverſtändlich nicht gewinnen.
Weder für unſre Annahme eines ſündloſen Lebensanfangs unſres
Geſchlechts noch für unſer Feſthalten an der bibliſchen Darſtellung
von der heutigen Lebenslänge der Menſchen als einer nur allmählig
durch Herabſinken von einem früheren weit höheren Maaße gewor-
denen dürfen wir irgendwelche Anerkennung auf jener Seite erwarten.
Die dem materiellen Culturleben angehörigen Beweisſtücke, die ein-
zigen für welche unſre Gegner Sinn und Verſtändniß haben, lehren
ihrer Natur nach nichts über den ſündloſen Anfang der menſchlichen
Geſchichte. Wo nur auf ſie Rückſicht genommen und dagegen das
Zeugniß der Offenbarungsurkuude für Nichts geachtet wird, kann
eine Theorie der Menſchheitsanfänge, welche ſich gleicherweiſe auf
dieß letztere Zeugniß und auf jene materiellen urzeitlichen Cultur-
denkmale ſtützt, niemals zu ihrem Rechte kommen. Daher unſre
Hoffnungsloſigkeit gegenüber den Vertretern jener principiell unbib-

1) Orig. of civilization etc. p. 409: „Adam was a typical savage‟.
Vgl. auch p. 402 s., 408 s.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0342" n="332"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">X.</hi> Schluß.</fw><lb/>
des wahrhaft Guten oder Gottbildlichen im Kindesleben, anderer-<lb/>
&#x017F;eits der darin &#x017F;ich regenden Keime des Bö&#x017F;en. Lubbock, der das<lb/>
Gleichniß vom Kindesalter gern und ziemlich oft gebraucht, ver-<lb/>
wendet da&#x017F;&#x017F;elbe doch in grundverkehrter Wei&#x017F;e und gelangt mittel&#x017F;t<lb/>
&#x017F;einer zu den wider&#x017F;innig&#x017F;ten Annahmen, wie daß &#x201E;Adam ein ächter<lb/>
typi&#x017F;cher Wilder&#x201F; (!) gewe&#x017F;en &#x017F;ei,<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Orig. of civilization etc. p. 409: &#x201E;Adam was a typical savage&#x201F;.</hi><lb/>
Vgl. auch <hi rendition="#aq">p. 402 s., 408 s.</hi></note> oder wie jene Theorie vom Feti-<lb/>
&#x017F;chismus als der Urform aller Religionsübung (vgl. <hi rendition="#aq">VI,</hi> 2). Es<lb/>
i&#x017F;t eine grund&#x017F;ätzliche Jgnorirung de&#x017F;&#x017F;en, was das &#x017F;ündig Bö&#x017F;e für<lb/>
die men&#x017F;chliche Entwicklung zu bedeuten hat, und eine naturgemäß<lb/>
eben hieraus ent&#x017F;pringende Unfähigkeit zur Conception der Jdee<lb/>
eines noch &#x017F;ündefreien Anfangs un&#x017F;rer Stammesge&#x017F;chichte, was die&#x017F;en<lb/>
und &#x017F;o manchen ähnlichen Verkehrtheiten zu Grunde liegt. Eine<lb/>
Ver&#x017F;tändigung über die&#x017F;e in jeder Hin&#x017F;icht fundamentale Meinungs-<lb/>
ver&#x017F;chiedenheit, in welcher der alte Gegen&#x017F;atz zwi&#x017F;chen Pelagianismus<lb/>
und Augu&#x017F;tinismus, und zwar ver&#x017F;chärft durch Hineinnahme eines<lb/>
manichäi&#x017F;chen Elements in das moderne Analogon des Pelagianis-<lb/>
mus, wieder auflebt, läßt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich nicht gewinnen.<lb/>
Weder für un&#x017F;re Annahme eines &#x017F;ündlo&#x017F;en Lebensanfangs un&#x017F;res<lb/>
Ge&#x017F;chlechts noch für un&#x017F;er Fe&#x017F;thalten an der bibli&#x017F;chen Dar&#x017F;tellung<lb/>
von der heutigen Lebenslänge der Men&#x017F;chen als einer nur allmählig<lb/>
durch Herab&#x017F;inken von einem früheren weit höheren Maaße gewor-<lb/>
denen dürfen wir irgendwelche Anerkennung auf jener Seite erwarten.<lb/>
Die dem materiellen Culturleben angehörigen Beweis&#x017F;tücke, die ein-<lb/>
zigen für welche un&#x017F;re Gegner Sinn und Ver&#x017F;tändniß haben, lehren<lb/>
ihrer Natur nach nichts über den &#x017F;ündlo&#x017F;en Anfang der men&#x017F;chlichen<lb/>
Ge&#x017F;chichte. Wo nur auf &#x017F;ie Rück&#x017F;icht genommen und dagegen das<lb/>
Zeugniß der Offenbarungsurkuude für Nichts geachtet wird, kann<lb/>
eine Theorie der Men&#x017F;chheitsanfänge, welche &#x017F;ich gleicherwei&#x017F;e auf<lb/>
dieß letztere Zeugniß <hi rendition="#g">und</hi> auf jene materiellen urzeitlichen Cultur-<lb/>
denkmale &#x017F;tützt, niemals zu ihrem Rechte kommen. Daher un&#x017F;re<lb/>
Hoffnungslo&#x017F;igkeit gegenüber den Vertretern jener principiell unbib-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0342] X. Schluß. des wahrhaft Guten oder Gottbildlichen im Kindesleben, anderer- ſeits der darin ſich regenden Keime des Böſen. Lubbock, der das Gleichniß vom Kindesalter gern und ziemlich oft gebraucht, ver- wendet daſſelbe doch in grundverkehrter Weiſe und gelangt mittelſt ſeiner zu den widerſinnigſten Annahmen, wie daß „Adam ein ächter typiſcher Wilder‟ (!) geweſen ſei, 1) oder wie jene Theorie vom Feti- ſchismus als der Urform aller Religionsübung (vgl. VI, 2). Es iſt eine grundſätzliche Jgnorirung deſſen, was das ſündig Böſe für die menſchliche Entwicklung zu bedeuten hat, und eine naturgemäß eben hieraus entſpringende Unfähigkeit zur Conception der Jdee eines noch ſündefreien Anfangs unſrer Stammesgeſchichte, was dieſen und ſo manchen ähnlichen Verkehrtheiten zu Grunde liegt. Eine Verſtändigung über dieſe in jeder Hinſicht fundamentale Meinungs- verſchiedenheit, in welcher der alte Gegenſatz zwiſchen Pelagianismus und Auguſtinismus, und zwar verſchärft durch Hineinnahme eines manichäiſchen Elements in das moderne Analogon des Pelagianis- mus, wieder auflebt, läßt ſich ſelbſtverſtändlich nicht gewinnen. Weder für unſre Annahme eines ſündloſen Lebensanfangs unſres Geſchlechts noch für unſer Feſthalten an der bibliſchen Darſtellung von der heutigen Lebenslänge der Menſchen als einer nur allmählig durch Herabſinken von einem früheren weit höheren Maaße gewor- denen dürfen wir irgendwelche Anerkennung auf jener Seite erwarten. Die dem materiellen Culturleben angehörigen Beweisſtücke, die ein- zigen für welche unſre Gegner Sinn und Verſtändniß haben, lehren ihrer Natur nach nichts über den ſündloſen Anfang der menſchlichen Geſchichte. Wo nur auf ſie Rückſicht genommen und dagegen das Zeugniß der Offenbarungsurkuude für Nichts geachtet wird, kann eine Theorie der Menſchheitsanfänge, welche ſich gleicherweiſe auf dieß letztere Zeugniß und auf jene materiellen urzeitlichen Cultur- denkmale ſtützt, niemals zu ihrem Rechte kommen. Daher unſre Hoffnungsloſigkeit gegenüber den Vertretern jener principiell unbib- 1) Orig. of civilization etc. p. 409: „Adam was a typical savage‟. Vgl. auch p. 402 s., 408 s.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/342
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/342>, abgerufen am 22.11.2024.