Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

IX. Das Alter des Menschengeschlechts.
skandinavischen Archäologenschule, eine Zeitlang ein bis tief in die
nordeuropäische Steinzeit, also bis jenseits des ersten oder gar des
zweiten vorchristlichen Jahrtausends hinaufreichendes Alter postuliren
zu müssen. -- Man ist längst von diesen Uebertreibungen zurück-
gekommen; weiter als bis um das J. 1000 v. Chr. verlegt der-
malen kein competententer Beurtheiler mehr die Entstehungszeit der
ältesten Pfahlniederlassungen europäischer Binnengewässer. Was
Herodot (V, 16) über ein befestigtes Pfahldorf der thrakischen P[h]o-
nier im Prasiassee und über seine Vertheidigung wider den Perser-
feldherrn Megabazus unter Darius Hystaspis um 510 v. Chr.
berichtet, führt uns ungefähr mitten in die Zeit hinein, wo diese
Art von Ansiedlungen bei der mitteleuropäischen Bevölkerung üblich
waren. Ja es scheint Manches dafür zu sprechen, daß die Blüte-
zeit der Pfahlbautencultur Europa's sogar noch etwas später, nemlich
mit Pallmann erst um 200 oder 300 v. Chr. zu setzen ist. 1) Von
der Frage nach Zweck und Bestimmung der Pfahlbauten -- ob sie
durchgängig gleich jenen päonischen des Prasiassee's oder gleich den
von Cäsar gelegentlich seiner Kämpfe mit den alten Briten an der
Themse beschriebenen2) Zufluchtsstätten für Kriegszeiten, gleichsam
feste Wasserburgen waren, oder ob man einen Theil von ihnen für
Handelsniederlassungen phönikischer oder massaliotischer, also celtisch-
griechischer, oder philistäisch-pheresitischer oder etruskischer Kaufleute
im s. g. Bronze-Zeitalter (nach den betr. Hypothesen von Franz
Maurer, Pallmann, de Rougemont, Wiberg u. AA.) zu halten hat
-- wird die Altersbestimmung der vielumstrittenen Monumente kaum
in wesentlicher Weise berührt. Denn welches der genannten tausch-
handeltreibenden Völker es auch gewesen sein sollte, das die in den
Pfahlbauten vorgefundenen Kunstgegenstände aus südlicheren Ländern
dem mittleren und nördlicheren Europa zuführte: auf eine frühere
Zeit als etwa die Homerische wird man durch keine der sie be-

1) Reinhold Pallmann, Die Pfahlbauten und ihre Bewohner, Greifs-
wald 1866. Aehnlich im Ganzen auch F. Ratzel (s. unten).
2) De bello Gall. V, 18.

IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
ſkandinaviſchen Archäologenſchule, eine Zeitlang ein bis tief in die
nordeuropäiſche Steinzeit, alſo bis jenſeits des erſten oder gar des
zweiten vorchriſtlichen Jahrtauſends hinaufreichendes Alter poſtuliren
zu müſſen. — Man iſt längſt von dieſen Uebertreibungen zurück-
gekommen; weiter als bis um das J. 1000 v. Chr. verlegt der-
malen kein competententer Beurtheiler mehr die Entſtehungszeit der
älteſten Pfahlniederlaſſungen europäiſcher Binnengewäſſer. Was
Herodot (V, 16) über ein befeſtigtes Pfahldorf der thrakiſchen P[h]o-
nier im Praſiasſee und über ſeine Vertheidigung wider den Perſer-
feldherrn Megabazus unter Darius Hystaspis um 510 v. Chr.
berichtet, führt uns ungefähr mitten in die Zeit hinein, wo dieſe
Art von Anſiedlungen bei der mitteleuropäiſchen Bevölkerung üblich
waren. Ja es ſcheint Manches dafür zu ſprechen, daß die Blüte-
zeit der Pfahlbautencultur Europa’s ſogar noch etwas ſpäter, nemlich
mit Pallmann erſt um 200 oder 300 v. Chr. zu ſetzen iſt. 1) Von
der Frage nach Zweck und Beſtimmung der Pfahlbauten — ob ſie
durchgängig gleich jenen päoniſchen des Praſiasſee’s oder gleich den
von Cäſar gelegentlich ſeiner Kämpfe mit den alten Briten an der
Themſe beſchriebenen2) Zufluchtsſtätten für Kriegszeiten, gleichſam
feſte Waſſerburgen waren, oder ob man einen Theil von ihnen für
Handelsniederlaſſungen phönikiſcher oder maſſaliotiſcher, alſo celtiſch-
griechiſcher, oder philiſtäiſch-phereſitiſcher oder etruskiſcher Kaufleute
im ſ. g. Bronze-Zeitalter (nach den betr. Hypotheſen von Franz
Maurer, Pallmann, de Rougemont, Wiberg u. AA.) zu halten hat
— wird die Altersbeſtimmung der vielumſtrittenen Monumente kaum
in weſentlicher Weiſe berührt. Denn welches der genannten tauſch-
handeltreibenden Völker es auch geweſen ſein ſollte, das die in den
Pfahlbauten vorgefundenen Kunſtgegenſtände aus ſüdlicheren Ländern
dem mittleren und nördlicheren Europa zuführte: auf eine frühere
Zeit als etwa die Homeriſche wird man durch keine der ſie be-

1) Reinhold Pallmann, Die Pfahlbauten und ihre Bewohner, Greifs-
wald 1866. Aehnlich im Ganzen auch F. Ratzel (ſ. unten).
2) De bello Gall. V, 18.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0320" n="310"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Das Alter des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.</fw><lb/>
&#x017F;kandinavi&#x017F;chen Archäologen&#x017F;chule, eine Zeitlang ein bis tief in die<lb/>
nordeuropäi&#x017F;che Steinzeit, al&#x017F;o bis jen&#x017F;eits des er&#x017F;ten oder gar des<lb/>
zweiten vorchri&#x017F;tlichen Jahrtau&#x017F;ends hinaufreichendes Alter po&#x017F;tuliren<lb/>
zu mü&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Man i&#x017F;t läng&#x017F;t von die&#x017F;en Uebertreibungen zurück-<lb/>
gekommen; weiter als bis um das J. 1000 v. Chr. verlegt der-<lb/>
malen kein competententer Beurtheiler mehr die Ent&#x017F;tehungszeit der<lb/>
älte&#x017F;ten Pfahlniederla&#x017F;&#x017F;ungen europäi&#x017F;cher Binnengewä&#x017F;&#x017F;er. Was<lb/>
Herodot (<hi rendition="#aq">V,</hi> 16) über ein befe&#x017F;tigtes Pfahldorf der thraki&#x017F;chen P<supplied>h</supplied>o-<lb/>
nier im Pra&#x017F;ias&#x017F;ee und über &#x017F;eine Vertheidigung wider den Per&#x017F;er-<lb/>
feldherrn Megabazus unter Darius Hystaspis um 510 v. Chr.<lb/>
berichtet, führt uns ungefähr mitten in die Zeit hinein, wo die&#x017F;e<lb/>
Art von An&#x017F;iedlungen bei der mitteleuropäi&#x017F;chen Bevölkerung üblich<lb/>
waren. Ja es &#x017F;cheint Manches dafür zu &#x017F;prechen, daß die Blüte-<lb/>
zeit der Pfahlbautencultur Europa&#x2019;s &#x017F;ogar noch etwas &#x017F;päter, nemlich<lb/>
mit Pallmann er&#x017F;t um 200 oder 300 v. Chr. zu &#x017F;etzen i&#x017F;t. <note place="foot" n="1)">Reinhold <hi rendition="#g">Pallmann,</hi> Die Pfahlbauten und ihre Bewohner, Greifs-<lb/>
wald 1866. Aehnlich im Ganzen auch F. <hi rendition="#g">Ratzel</hi> (&#x017F;. unten).</note> Von<lb/>
der Frage nach Zweck und Be&#x017F;timmung der Pfahlbauten &#x2014; ob &#x017F;ie<lb/>
durchgängig gleich jenen päoni&#x017F;chen des Pra&#x017F;ias&#x017F;ee&#x2019;s oder gleich den<lb/>
von Cä&#x017F;ar gelegentlich &#x017F;einer Kämpfe mit den alten Briten an der<lb/>
Them&#x017F;e be&#x017F;chriebenen<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">De bello Gall. V,</hi> 18.</note> Zufluchts&#x017F;tätten für Kriegszeiten, gleich&#x017F;am<lb/>
fe&#x017F;te Wa&#x017F;&#x017F;erburgen waren, oder ob man einen Theil von ihnen für<lb/>
Handelsniederla&#x017F;&#x017F;ungen phöniki&#x017F;cher oder ma&#x017F;&#x017F;alioti&#x017F;cher, al&#x017F;o celti&#x017F;ch-<lb/>
griechi&#x017F;cher, oder phili&#x017F;täi&#x017F;ch-phere&#x017F;iti&#x017F;cher oder etruski&#x017F;cher Kaufleute<lb/>
im &#x017F;. g. Bronze-Zeitalter (nach den betr. Hypothe&#x017F;en von Franz<lb/>
Maurer, Pallmann, de Rougemont, Wiberg u. AA.) zu halten hat<lb/>
&#x2014; wird die Altersbe&#x017F;timmung der vielum&#x017F;trittenen Monumente kaum<lb/>
in we&#x017F;entlicher Wei&#x017F;e berührt. Denn welches der genannten tau&#x017F;ch-<lb/>
handeltreibenden Völker es auch gewe&#x017F;en &#x017F;ein &#x017F;ollte, das die in den<lb/>
Pfahlbauten vorgefundenen Kun&#x017F;tgegen&#x017F;tände aus &#x017F;üdlicheren Ländern<lb/>
dem mittleren und nördlicheren Europa zuführte: auf eine frühere<lb/>
Zeit als etwa die Homeri&#x017F;che wird man durch keine der &#x017F;ie be-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0320] IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. ſkandinaviſchen Archäologenſchule, eine Zeitlang ein bis tief in die nordeuropäiſche Steinzeit, alſo bis jenſeits des erſten oder gar des zweiten vorchriſtlichen Jahrtauſends hinaufreichendes Alter poſtuliren zu müſſen. — Man iſt längſt von dieſen Uebertreibungen zurück- gekommen; weiter als bis um das J. 1000 v. Chr. verlegt der- malen kein competententer Beurtheiler mehr die Entſtehungszeit der älteſten Pfahlniederlaſſungen europäiſcher Binnengewäſſer. Was Herodot (V, 16) über ein befeſtigtes Pfahldorf der thrakiſchen Pho- nier im Praſiasſee und über ſeine Vertheidigung wider den Perſer- feldherrn Megabazus unter Darius Hystaspis um 510 v. Chr. berichtet, führt uns ungefähr mitten in die Zeit hinein, wo dieſe Art von Anſiedlungen bei der mitteleuropäiſchen Bevölkerung üblich waren. Ja es ſcheint Manches dafür zu ſprechen, daß die Blüte- zeit der Pfahlbautencultur Europa’s ſogar noch etwas ſpäter, nemlich mit Pallmann erſt um 200 oder 300 v. Chr. zu ſetzen iſt. 1) Von der Frage nach Zweck und Beſtimmung der Pfahlbauten — ob ſie durchgängig gleich jenen päoniſchen des Praſiasſee’s oder gleich den von Cäſar gelegentlich ſeiner Kämpfe mit den alten Briten an der Themſe beſchriebenen 2) Zufluchtsſtätten für Kriegszeiten, gleichſam feſte Waſſerburgen waren, oder ob man einen Theil von ihnen für Handelsniederlaſſungen phönikiſcher oder maſſaliotiſcher, alſo celtiſch- griechiſcher, oder philiſtäiſch-phereſitiſcher oder etruskiſcher Kaufleute im ſ. g. Bronze-Zeitalter (nach den betr. Hypotheſen von Franz Maurer, Pallmann, de Rougemont, Wiberg u. AA.) zu halten hat — wird die Altersbeſtimmung der vielumſtrittenen Monumente kaum in weſentlicher Weiſe berührt. Denn welches der genannten tauſch- handeltreibenden Völker es auch geweſen ſein ſollte, das die in den Pfahlbauten vorgefundenen Kunſtgegenſtände aus ſüdlicheren Ländern dem mittleren und nördlicheren Europa zuführte: auf eine frühere Zeit als etwa die Homeriſche wird man durch keine der ſie be- 1) Reinhold Pallmann, Die Pfahlbauten und ihre Bewohner, Greifs- wald 1866. Aehnlich im Ganzen auch F. Ratzel (ſ. unten). 2) De bello Gall. V, 18.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/320
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/320>, abgerufen am 03.05.2024.