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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
Prüfung fast gleich Null angenommen werden. Eine gründlicher
eingehende und erschöpfendere Prüfung der Fälle hohen Lebensalters
bei Asketen würde schwerlich etwas Wesentliches an diesem Resultate
ändern. Es bleibt bei dem alten Erfahrungssatze, daß ungewöhn-
liche Strenge des Sichkasteiens mit Fasten u. dgl. des Lebens Länge
eher verringert als steigert, und daß der aus dem Fruchtesserthum
resultirende Gewinn in makrobiotischer Hinsicht als ein durchaus
problematischer, jedenfalls geschichtlich nicht bestimmt nachweisbarer
dasteht. Mit dem Versuche, den Nichtgebrauch von Wein, ge-
brannten Wassern, Taback und sonstigen narkotischen Genußmitteln,
Kaffee, Thee und sonstigen alkaloidhaltigen Getränken etc. auf die
Frage wegen seiner eventuellen makrobiotischen Wirkung geschichtlich
zu prüfen, würden wir, wie immer das Ergebniß lauten möchte,
überhaupt nichts auch nur mittelbarerweise für unser Thema Be-
langreiches erzielen. Die Dauer der Menschenleben war in's Sinken
gerathen, lange bevor Noah Weinberge zu pflanzen begann; sie
sank fort und fort bis zum jetzigen Durchschnittsalter herab, lange
bevor Kaffe, Taback u. dgl. m. entdeckt waren; -- es ist deßhalb
sehr überflüssig, den physiologischen Wahrscheinlichkeitsgründen für
die Langlebigkeit der Sethiten auch Hinweisungen auf die Abwesen-
heit solcher Genüsse beizufügen.1) Erwähnt werden mag übrigens
bei dieser Gelegenheit, daß nach Harvey's Zeugniß "old Parr" bis
zu seinem Lebensende gelegentlich sein Glas Ale und Cider zu trinken
pflegte, und daß jener angeblich noch 33 Jahre älter als Parr ge-
wordene Ungar Czarten nach Hufeland u. AA. bis zuletzt ein starker
Raucher gewesen sein soll.

Weder Fruchtesserthum noch Temperanzlerthum fördern uns in
unsrer Frage. Es soll aber aus dem lediglich negativen Ergebnisse,
das diese Gebiete liefern, doch noch nicht der Schluß gezogen werden,
daß die physiologische Wissenschaft und eine nach ihren Vorschriften
geregelte diätetische Praxis für alle Zukunft unfähig zur Beschaffung

1) Wie Fürer dieß thut, a. a. O. S. 105.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
Prüfung faſt gleich Null angenommen werden. Eine gründlicher
eingehende und erſchöpfendere Prüfung der Fälle hohen Lebensalters
bei Asketen würde ſchwerlich etwas Weſentliches an dieſem Reſultate
ändern. Es bleibt bei dem alten Erfahrungsſatze, daß ungewöhn-
liche Strenge des Sichkaſteiens mit Faſten u. dgl. des Lebens Länge
eher verringert als ſteigert, und daß der aus dem Fruchteſſerthum
reſultirende Gewinn in makrobiotiſcher Hinſicht als ein durchaus
problematiſcher, jedenfalls geſchichtlich nicht beſtimmt nachweisbarer
daſteht. Mit dem Verſuche, den Nichtgebrauch von Wein, ge-
brannten Waſſern, Taback und ſonſtigen narkotiſchen Genußmitteln,
Kaffee, Thee und ſonſtigen alkaloidhaltigen Getränken ꝛc. auf die
Frage wegen ſeiner eventuellen makrobiotiſchen Wirkung geſchichtlich
zu prüfen, würden wir, wie immer das Ergebniß lauten möchte,
überhaupt nichts auch nur mittelbarerweiſe für unſer Thema Be-
langreiches erzielen. Die Dauer der Menſchenleben war in’s Sinken
gerathen, lange bevor Noah Weinberge zu pflanzen begann; ſie
ſank fort und fort bis zum jetzigen Durchſchnittsalter herab, lange
bevor Kaffe, Taback u. dgl. m. entdeckt waren; — es iſt deßhalb
ſehr überflüſſig, den phyſiologiſchen Wahrſcheinlichkeitsgründen für
die Langlebigkeit der Sethiten auch Hinweiſungen auf die Abweſen-
heit ſolcher Genüſſe beizufügen.1) Erwähnt werden mag übrigens
bei dieſer Gelegenheit, daß nach Harvey’s Zeugniß „old Parr‟ bis
zu ſeinem Lebensende gelegentlich ſein Glas Ale und Cider zu trinken
pflegte, und daß jener angeblich noch 33 Jahre älter als Parr ge-
wordene Ungar Czarten nach Hufeland u. AA. bis zuletzt ein ſtarker
Raucher geweſen ſein ſoll.

Weder Fruchteſſerthum noch Temperanzlerthum fördern uns in
unſrer Frage. Es ſoll aber aus dem lediglich negativen Ergebniſſe,
das dieſe Gebiete liefern, doch noch nicht der Schluß gezogen werden,
daß die phyſiologiſche Wiſſenſchaft und eine nach ihren Vorſchriften
geregelte diätetiſche Praxis für alle Zukunft unfähig zur Beſchaffung

1) Wie Fürer dieß thut, a. a. O. S. 105.
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[283/0293] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. Prüfung faſt gleich Null angenommen werden. Eine gründlicher eingehende und erſchöpfendere Prüfung der Fälle hohen Lebensalters bei Asketen würde ſchwerlich etwas Weſentliches an dieſem Reſultate ändern. Es bleibt bei dem alten Erfahrungsſatze, daß ungewöhn- liche Strenge des Sichkaſteiens mit Faſten u. dgl. des Lebens Länge eher verringert als ſteigert, und daß der aus dem Fruchteſſerthum reſultirende Gewinn in makrobiotiſcher Hinſicht als ein durchaus problematiſcher, jedenfalls geſchichtlich nicht beſtimmt nachweisbarer daſteht. Mit dem Verſuche, den Nichtgebrauch von Wein, ge- brannten Waſſern, Taback und ſonſtigen narkotiſchen Genußmitteln, Kaffee, Thee und ſonſtigen alkaloidhaltigen Getränken ꝛc. auf die Frage wegen ſeiner eventuellen makrobiotiſchen Wirkung geſchichtlich zu prüfen, würden wir, wie immer das Ergebniß lauten möchte, überhaupt nichts auch nur mittelbarerweiſe für unſer Thema Be- langreiches erzielen. Die Dauer der Menſchenleben war in’s Sinken gerathen, lange bevor Noah Weinberge zu pflanzen begann; ſie ſank fort und fort bis zum jetzigen Durchſchnittsalter herab, lange bevor Kaffe, Taback u. dgl. m. entdeckt waren; — es iſt deßhalb ſehr überflüſſig, den phyſiologiſchen Wahrſcheinlichkeitsgründen für die Langlebigkeit der Sethiten auch Hinweiſungen auf die Abweſen- heit ſolcher Genüſſe beizufügen. 1) Erwähnt werden mag übrigens bei dieſer Gelegenheit, daß nach Harvey’s Zeugniß „old Parr‟ bis zu ſeinem Lebensende gelegentlich ſein Glas Ale und Cider zu trinken pflegte, und daß jener angeblich noch 33 Jahre älter als Parr ge- wordene Ungar Czarten nach Hufeland u. AA. bis zuletzt ein ſtarker Raucher geweſen ſein ſoll. Weder Fruchteſſerthum noch Temperanzlerthum fördern uns in unſrer Frage. Es ſoll aber aus dem lediglich negativen Ergebniſſe, das dieſe Gebiete liefern, doch noch nicht der Schluß gezogen werden, daß die phyſiologiſche Wiſſenſchaft und eine nach ihren Vorſchriften geregelte diätetiſche Praxis für alle Zukunft unfähig zur Beſchaffung 1) Wie Fürer dieß thut, a. a. O. S. 105.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/293>, abgerufen am 22.11.2024.