Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. gewisse Begünstigung der Annahme einer blos vegetarianischen Le-benssitte der vornoachischen Patriarchen durch die h. Schrift statt- zufinden. Die betr. Annahme scheint dem Sinne der biblischen Erzählung mehr, als ihr Gegentheil, die Voraussetzung eines unter- schiedslosen Genossenwerdens sowohl von Fleisch als von Feldfrüchten durch die Erzväter, oder gar von vorwiegender Fleischnahrung der- selben, zu entsprechen. -- Kam nun dieser wahrscheinlichen vor- herrschenden Pflanzendiät der Makrobier eine bloß nebensächliche Geltung für ihre Langlebigkeit zu, oder hat man in ihr einen Haupt- grund, vielleicht gar den Hauptgrund für dieselbe zu erblicken? Bestand etwa gerade in ihr jene vollkommne Naturgemäßheit der patriarchalen Lebensweise, welche wie schon oben bemerkt jedenfalls angenommen werden muß? Es besteht ein ziemlich alter Widerstreit der Meinungen über VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. gewiſſe Begünſtigung der Annahme einer blos vegetarianiſchen Le-bensſitte der vornoachiſchen Patriarchen durch die h. Schrift ſtatt- zufinden. Die betr. Annahme ſcheint dem Sinne der bibliſchen Erzählung mehr, als ihr Gegentheil, die Vorausſetzung eines unter- ſchiedsloſen Genoſſenwerdens ſowohl von Fleiſch als von Feldfrüchten durch die Erzväter, oder gar von vorwiegender Fleiſchnahrung der- ſelben, zu entſprechen. — Kam nun dieſer wahrſcheinlichen vor- herrſchenden Pflanzendiät der Makrobier eine bloß nebenſächliche Geltung für ihre Langlebigkeit zu, oder hat man in ihr einen Haupt- grund, vielleicht gar den Hauptgrund für dieſelbe zu erblicken? Beſtand etwa gerade in ihr jene vollkommne Naturgemäßheit der patriarchalen Lebensweiſe, welche wie ſchon oben bemerkt jedenfalls angenommen werden muß? Es beſteht ein ziemlich alter Widerſtreit der Meinungen über <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0284" n="274"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Die Langlebigkeit der Patriarchen.</fw><lb/> gewiſſe Begünſtigung der Annahme einer blos vegetarianiſchen Le-<lb/> bensſitte der vornoachiſchen Patriarchen durch die h. Schrift ſtatt-<lb/> zufinden. Die betr. Annahme ſcheint dem Sinne der bibliſchen<lb/> Erzählung mehr, als ihr Gegentheil, die Vorausſetzung eines unter-<lb/> ſchiedsloſen Genoſſenwerdens ſowohl von Fleiſch als von Feldfrüchten<lb/> durch die Erzväter, oder gar von vorwiegender Fleiſchnahrung der-<lb/> ſelben, zu entſprechen. — Kam nun dieſer wahrſcheinlichen vor-<lb/> herrſchenden Pflanzendiät der Makrobier eine bloß nebenſächliche<lb/> Geltung für ihre Langlebigkeit zu, oder hat man in ihr einen Haupt-<lb/> grund, vielleicht gar den Hauptgrund für dieſelbe zu erblicken?<lb/> Beſtand etwa gerade in ihr jene vollkommne Naturgemäßheit der<lb/> patriarchalen Lebensweiſe, welche wie ſchon oben bemerkt jedenfalls<lb/> angenommen werden muß?</p><lb/> <p>Es beſteht ein ziemlich alter Widerſtreit der Meinungen über<lb/> dieſen Punkt. Altclaſſiſche Philoſophen (Pythagoras, Plato, Plutarch)<lb/> und Dichter (Heſiod, Ovid) waren es nicht allein, welche in ein-<lb/> facher Pflanzenkoſt das Urſprüngliche, allein Naturgemäße und Gott-<lb/> gemäße erblickten; und nicht bloß Tatians Enkratitenſecte und der<lb/> Manichäismus meinten gemäß ſolcher vom Orient her, aus der<lb/> Zendreligion, vielleicht ſelbſt aus dem Buddhismus, frühzeitig auch<lb/> ins Chriſtenthum eindringender Anſchauungsweiſe ihre Lebensſitte<lb/> regeln zu müſſen. Seit dem Anfkommen des Mönchthums mit<lb/> ſeiner beſtändigen Abſtinenzdiät wurde die Vorſtellung von einer<lb/> ſelbſtverſtändlich ſtreng vegetarianiſchen Koſt der Urväter zur herr-<lb/> ſchenden in der Kirche. Hieronymus führte u. a. auch ſie wider<lb/> Jovinians Herabſetzung des Werths der kirchlichen Faſten ins Feld;<lb/> Chryſoſtomus, Theodoret, Beda und andre einflußreiche Geneſis-<lb/> Ausleger entwickelten ähnliche Anſichten. Theils von dieſen patri-<lb/> ſtiſchen Vorgängern, theils von gelehrten Rabbinen wie Jbn Esra,<lb/> Raſchi, Rabbi Jehuda, Albo ꝛc. überkam das ſpätere Mittelalter<lb/> die gleiche Theorie. Daß Fleiſcheſſen vor der Fluth noch etwas<lb/> Gottwidriges und Verbotenes war, daß höchſtens die gottloſe kaini-<lb/> tiſche Menſchheit von der allgemeinen Regel des bloßen Fruchteſſens<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [274/0284]
VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
gewiſſe Begünſtigung der Annahme einer blos vegetarianiſchen Le-
bensſitte der vornoachiſchen Patriarchen durch die h. Schrift ſtatt-
zufinden. Die betr. Annahme ſcheint dem Sinne der bibliſchen
Erzählung mehr, als ihr Gegentheil, die Vorausſetzung eines unter-
ſchiedsloſen Genoſſenwerdens ſowohl von Fleiſch als von Feldfrüchten
durch die Erzväter, oder gar von vorwiegender Fleiſchnahrung der-
ſelben, zu entſprechen. — Kam nun dieſer wahrſcheinlichen vor-
herrſchenden Pflanzendiät der Makrobier eine bloß nebenſächliche
Geltung für ihre Langlebigkeit zu, oder hat man in ihr einen Haupt-
grund, vielleicht gar den Hauptgrund für dieſelbe zu erblicken?
Beſtand etwa gerade in ihr jene vollkommne Naturgemäßheit der
patriarchalen Lebensweiſe, welche wie ſchon oben bemerkt jedenfalls
angenommen werden muß?
Es beſteht ein ziemlich alter Widerſtreit der Meinungen über
dieſen Punkt. Altclaſſiſche Philoſophen (Pythagoras, Plato, Plutarch)
und Dichter (Heſiod, Ovid) waren es nicht allein, welche in ein-
facher Pflanzenkoſt das Urſprüngliche, allein Naturgemäße und Gott-
gemäße erblickten; und nicht bloß Tatians Enkratitenſecte und der
Manichäismus meinten gemäß ſolcher vom Orient her, aus der
Zendreligion, vielleicht ſelbſt aus dem Buddhismus, frühzeitig auch
ins Chriſtenthum eindringender Anſchauungsweiſe ihre Lebensſitte
regeln zu müſſen. Seit dem Anfkommen des Mönchthums mit
ſeiner beſtändigen Abſtinenzdiät wurde die Vorſtellung von einer
ſelbſtverſtändlich ſtreng vegetarianiſchen Koſt der Urväter zur herr-
ſchenden in der Kirche. Hieronymus führte u. a. auch ſie wider
Jovinians Herabſetzung des Werths der kirchlichen Faſten ins Feld;
Chryſoſtomus, Theodoret, Beda und andre einflußreiche Geneſis-
Ausleger entwickelten ähnliche Anſichten. Theils von dieſen patri-
ſtiſchen Vorgängern, theils von gelehrten Rabbinen wie Jbn Esra,
Raſchi, Rabbi Jehuda, Albo ꝛc. überkam das ſpätere Mittelalter
die gleiche Theorie. Daß Fleiſcheſſen vor der Fluth noch etwas
Gottwidriges und Verbotenes war, daß höchſtens die gottloſe kaini-
tiſche Menſchheit von der allgemeinen Regel des bloßen Fruchteſſens
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