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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
irgendeiner dieser Verkürzungsmethoden kann selbstverständlich nicht
die Rede sein. Was schannanh einmal in der biblischen Geschichte
bedeutet, muß es immer wieder bedeuten. Wenn für den Begriff
"Tag" dann und wann ein veränderlicher Maaßstab angewendet
wird, so bieten die prophetische oder die poetische Bildersprache des
A. Ts. hinreichend deutliche Aufschlüsse über diesen Bedeutungswechsel
dar; ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck "Woche-Jahrwoche"
in der Sprache der Apokalyptiker. Für eine ähnliche Mehrdeutigkeit
des Begriffs Jahr in der ältesten Geschichtsurkunde fehlt jeglicher
Anhaltspunkt. Auch müßten Mahaleel und Henoch, gesetzt die ihnen
beigelegten Altersjahre wären etwa als bloße Vierteljahre zu ver-
stehen, in einem für die Patriarchenzeit unerhört jungen Alter zu
zeugen begonnen haben; wären Monate gemeint, so müssen sie
vollends schon als Kinder zu Vätern geworden sein; -- ein schon
von Augustin zur Erweisung derartiger Aushilfen als unmöglich
und absurd hervorgehobner Umstand.

Eine weitere Classe von Auskunftsmitteln sucht nicht die Jahre,
sondern die Personen der Erzväter begrifflich zu alteriren. Es
seien, meinte Rau (1847), die in den Patriarchen-Genealogien vor-
kommenden Namen wesentlich nur "annähernde bildliche Bezeichnungen
der einzelnen Stämme"; die Geschlechtsregister dieser ältesten bib-
lischen Urkunden seien "lediglich ein nach morgenländischer Weise in
das Gewand eines Bildes gekleideter Versuch, die ältesten Völker-
wanderungen Mittel- und Hochasiens sowie die Abstammung der
verschiednen Stämme aus einem großen Urvolke darzuthun".1) Aehn-
lich hatte schon früher der Universalhistoriker Gatterer die Patri-
archen als Bezeichnungen ganzer Stämme oder Völker gefaßt, und
meinten dann wieder Rosenmüller und Friedreich: "daß man mit
diesen Namen und Zahlen nur große geschichtliche Perioden auszu-

Zeit kürzere Jahre als unsre Sonnenjahre (nämlich die altägyptischen "Wandel-
jahre" zu je 360 Tagen) für Zeitangaben zu Grunde gelegt seien, wenigstens
angedeutet ist.
1) Rau, Geschichte des A. u. N. Bds. (Heidelberg 1847) I, 63.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
irgendeiner dieſer Verkürzungsmethoden kann ſelbſtverſtändlich nicht
die Rede ſein. Was ſchānāh einmal in der bibliſchen Geſchichte
bedeutet, muß es immer wieder bedeuten. Wenn für den Begriff
„Tag‟ dann und wann ein veränderlicher Maaßſtab angewendet
wird, ſo bieten die prophetiſche oder die poëtiſche Bilderſprache des
A. Ts. hinreichend deutliche Aufſchlüſſe über dieſen Bedeutungswechſel
dar; ähnlich verhält es ſich mit dem Ausdruck „Woche-Jahrwoche‟
in der Sprache der Apokalyptiker. Für eine ähnliche Mehrdeutigkeit
des Begriffs Jahr in der älteſten Geſchichtsurkunde fehlt jeglicher
Anhaltspunkt. Auch müßten Mahaleel und Henoch, geſetzt die ihnen
beigelegten Altersjahre wären etwa als bloße Vierteljahre zu ver-
ſtehen, in einem für die Patriarchenzeit unerhört jungen Alter zu
zeugen begonnen haben; wären Monate gemeint, ſo müſſen ſie
vollends ſchon als Kinder zu Vätern geworden ſein; — ein ſchon
von Auguſtin zur Erweiſung derartiger Aushilfen als unmöglich
und abſurd hervorgehobner Umſtand.

Eine weitere Claſſe von Auskunftsmitteln ſucht nicht die Jahre,
ſondern die Perſonen der Erzväter begrifflich zu alteriren. Es
ſeien, meinte Rau (1847), die in den Patriarchen-Genealogien vor-
kommenden Namen weſentlich nur „annähernde bildliche Bezeichnungen
der einzelnen Stämme‟; die Geſchlechtsregiſter dieſer älteſten bib-
liſchen Urkunden ſeien „lediglich ein nach morgenländiſcher Weiſe in
das Gewand eines Bildes gekleideter Verſuch, die älteſten Völker-
wanderungen Mittel- und Hochaſiens ſowie die Abſtammung der
verſchiednen Stämme aus einem großen Urvolke darzuthun‟.1) Aehn-
lich hatte ſchon früher der Univerſalhiſtoriker Gatterer die Patri-
archen als Bezeichnungen ganzer Stämme oder Völker gefaßt, und
meinten dann wieder Roſenmüller und Friedreich: „daß man mit
dieſen Namen und Zahlen nur große geſchichtliche Perioden auszu-

Zeit kürzere Jahre als unſre Sonnenjahre (nämlich die altägyptiſchen „Wandel-
jahre‟ zu je 360 Tagen) für Zeitangaben zu Grunde gelegt ſeien, wenigſtens
angedeutet iſt.
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[262/0272] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. irgendeiner dieſer Verkürzungsmethoden kann ſelbſtverſtändlich nicht die Rede ſein. Was ſchānāh einmal in der bibliſchen Geſchichte bedeutet, muß es immer wieder bedeuten. Wenn für den Begriff „Tag‟ dann und wann ein veränderlicher Maaßſtab angewendet wird, ſo bieten die prophetiſche oder die poëtiſche Bilderſprache des A. Ts. hinreichend deutliche Aufſchlüſſe über dieſen Bedeutungswechſel dar; ähnlich verhält es ſich mit dem Ausdruck „Woche-Jahrwoche‟ in der Sprache der Apokalyptiker. Für eine ähnliche Mehrdeutigkeit des Begriffs Jahr in der älteſten Geſchichtsurkunde fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Auch müßten Mahaleel und Henoch, geſetzt die ihnen beigelegten Altersjahre wären etwa als bloße Vierteljahre zu ver- ſtehen, in einem für die Patriarchenzeit unerhört jungen Alter zu zeugen begonnen haben; wären Monate gemeint, ſo müſſen ſie vollends ſchon als Kinder zu Vätern geworden ſein; — ein ſchon von Auguſtin zur Erweiſung derartiger Aushilfen als unmöglich und abſurd hervorgehobner Umſtand. Eine weitere Claſſe von Auskunftsmitteln ſucht nicht die Jahre, ſondern die Perſonen der Erzväter begrifflich zu alteriren. Es ſeien, meinte Rau (1847), die in den Patriarchen-Genealogien vor- kommenden Namen weſentlich nur „annähernde bildliche Bezeichnungen der einzelnen Stämme‟; die Geſchlechtsregiſter dieſer älteſten bib- liſchen Urkunden ſeien „lediglich ein nach morgenländiſcher Weiſe in das Gewand eines Bildes gekleideter Verſuch, die älteſten Völker- wanderungen Mittel- und Hochaſiens ſowie die Abſtammung der verſchiednen Stämme aus einem großen Urvolke darzuthun‟. 1) Aehn- lich hatte ſchon früher der Univerſalhiſtoriker Gatterer die Patri- archen als Bezeichnungen ganzer Stämme oder Völker gefaßt, und meinten dann wieder Roſenmüller und Friedreich: „daß man mit dieſen Namen und Zahlen nur große geſchichtliche Perioden auszu- 3) 1) Rau, Geſchichte des A. u. N. Bds. (Heidelberg 1847) I, 63. 3) Zeit kürzere Jahre als unſre Sonnenjahre (nämlich die altägyptiſchen „Wandel- jahre‟ zu je 360 Tagen) für Zeitangaben zu Grunde gelegt ſeien, wenigſtens angedeutet iſt.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/272>, abgerufen am 19.05.2024.