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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
wagten sogar einzelne noch über Jenkins hinausgehende Fälle von
abnormer Lebenslänge anzuführen, ohne Skepsis dawider zu be-
thätigen. So citirte Hufeland den im J. 1724 verstorbenen Un-
garn Pietraßz Czarten als 185 Jahre alt geworden. Friedreich
fügte dem noch etliche weitere Fälle von mehr als 170jährigem
Alter hinzu; ein Ungar zu Temesvar, welcher 1726 noch lebte, sei
172 (seine gleichfalls noch lebende Frau 165) Jahre alt gewesen;
ferner ein 1797 zu Friedrichsstadt in Nordamerika verstorbener
Mulatte 180 Jahre; der 1738 verstorbene Portugiese Taveira
de Lima sogar 198 Jahre; endlich sollten dem Zeugnisse Riley's zu-
folge "unter den Arabern in der Wüste nahe an 200jährige Menschen
vorkommen". -- Uebereinstimmend mit diesen letzteren Angaben be-
stimmte Flourens in jener Schrift, auf Grund gewisser angeblicher
Verknöcherungsprocesse in den Röhrenknochen, 100 Jahre als die
gewöhnliche, 200 Jahre als die außergewöhnliche Lebensgrenze des
Menschen, und bekannte der Vegetarianer Eduard Baltzer in einem
vor wenigen Monaten in 2. Auflage veröffentlichten Buche seinen
Glauben an "Beispiele, welche zeigen daß wir 150 bis 200 Jahre
alt werden können, ohne unsre wesentliche Lebenskraft zu verlieren." 1)

Vereinzelte Zweifel an der Richtigkeit solcher Annahmen waren
schon früher hie und da in medicinisch-naturwissenschen Kreisen laut
geworden. So hatte der erwähnte Flourenssche Versuch, ein festes
physiologisches Gesetz als den gelegentlich bis zu 200 Jahren sich
erstreckenden Lebensdauern der Menschen zu Grunde liegend nach-
zuweisen, seitens medicinischer Kritiker Widerspruch gefunden, die sich
dabei auf Quetelets Messungen der menschlichen Wachsthumsverhält-
nisse beriefen.2) Mit kritischer Schärfe nahm das ganze Thema

1) Hufeland, Makrobiotik, 8. Aufl., 1860, S. 89 ff.; 128 ff. -- J B.
Friedreich, Zur Bibel, I, 172 f. -- Flourens, De la longevite humaine
et de la quantite de la vie sur le Globe. Paris 1855, p.
84. -- Ed. Bal-
tzer,
Gott, Welt und Mensch, 2. Aufl., Leipzig 1879, S. 255.
2) Siehe z. B. Jul. Wallach (Arzt zu Frankfurt a. M.), Das Leben des
Menschen in seinen körperlichen Beziehungen etc., 2. Aufl. 1869, S. 503.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
wagten ſogar einzelne noch über Jenkins hinausgehende Fälle von
abnormer Lebenslänge anzuführen, ohne Skepſis dawider zu be-
thätigen. So citirte Hufeland den im J. 1724 verſtorbenen Un-
garn Pietraßz Czarten als 185 Jahre alt geworden. Friedreich
fügte dem noch etliche weitere Fälle von mehr als 170jährigem
Alter hinzu; ein Ungar zu Temesvar, welcher 1726 noch lebte, ſei
172 (ſeine gleichfalls noch lebende Frau 165) Jahre alt geweſen;
ferner ein 1797 zu Friedrichsſtadt in Nordamerika verſtorbener
Mulatte 180 Jahre; der 1738 verſtorbene Portugieſe Taveira
de Lima ſogar 198 Jahre; endlich ſollten dem Zeugniſſe Riley’s zu-
folge „unter den Arabern in der Wüſte nahe an 200jährige Menſchen
vorkommen‟. — Uebereinſtimmend mit dieſen letzteren Angaben be-
ſtimmte Flourens in jener Schrift, auf Grund gewiſſer angeblicher
Verknöcherungsproceſſe in den Röhrenknochen, 100 Jahre als die
gewöhnliche, 200 Jahre als die außergewöhnliche Lebensgrenze des
Menſchen, und bekannte der Vegetarianer Eduard Baltzer in einem
vor wenigen Monaten in 2. Auflage veröffentlichten Buche ſeinen
Glauben an „Beiſpiele, welche zeigen daß wir 150 bis 200 Jahre
alt werden können, ohne unſre weſentliche Lebenskraft zu verlieren.‟ 1)

Vereinzelte Zweifel an der Richtigkeit ſolcher Annahmen waren
ſchon früher hie und da in mediciniſch-naturwiſſenſchen Kreiſen laut
geworden. So hatte der erwähnte Flourensſche Verſuch, ein feſtes
phyſiologiſches Geſetz als den gelegentlich bis zu 200 Jahren ſich
erſtreckenden Lebensdauern der Menſchen zu Grunde liegend nach-
zuweiſen, ſeitens mediciniſcher Kritiker Widerſpruch gefunden, die ſich
dabei auf Quetelets Meſſungen der menſchlichen Wachsthumsverhält-
niſſe beriefen.2) Mit kritiſcher Schärfe nahm das ganze Thema

1) Hufeland, Makrobiotik, 8. Aufl., 1860, S. 89 ff.; 128 ff. — J B.
Friedreich, Zur Bibel, I, 172 f. — Flourens, De la longévité humaine
et de la quantité de la vie sur le Globe. Paris 1855, p.
84. — Ed. Bal-
tzer,
Gott, Welt und Menſch, 2. Aufl., Leipzig 1879, S. 255.
2) Siehe z. B. Jul. Wallach (Arzt zu Frankfurt a. M.), Das Leben des
Menſchen in ſeinen körperlichen Beziehungen ꝛc., 2. Aufl. 1869, S. 503.
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[247/0257] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. wagten ſogar einzelne noch über Jenkins hinausgehende Fälle von abnormer Lebenslänge anzuführen, ohne Skepſis dawider zu be- thätigen. So citirte Hufeland den im J. 1724 verſtorbenen Un- garn Pietraßz Czarten als 185 Jahre alt geworden. Friedreich fügte dem noch etliche weitere Fälle von mehr als 170jährigem Alter hinzu; ein Ungar zu Temesvar, welcher 1726 noch lebte, ſei 172 (ſeine gleichfalls noch lebende Frau 165) Jahre alt geweſen; ferner ein 1797 zu Friedrichsſtadt in Nordamerika verſtorbener Mulatte 180 Jahre; der 1738 verſtorbene Portugieſe Taveira de Lima ſogar 198 Jahre; endlich ſollten dem Zeugniſſe Riley’s zu- folge „unter den Arabern in der Wüſte nahe an 200jährige Menſchen vorkommen‟. — Uebereinſtimmend mit dieſen letzteren Angaben be- ſtimmte Flourens in jener Schrift, auf Grund gewiſſer angeblicher Verknöcherungsproceſſe in den Röhrenknochen, 100 Jahre als die gewöhnliche, 200 Jahre als die außergewöhnliche Lebensgrenze des Menſchen, und bekannte der Vegetarianer Eduard Baltzer in einem vor wenigen Monaten in 2. Auflage veröffentlichten Buche ſeinen Glauben an „Beiſpiele, welche zeigen daß wir 150 bis 200 Jahre alt werden können, ohne unſre weſentliche Lebenskraft zu verlieren.‟ 1) Vereinzelte Zweifel an der Richtigkeit ſolcher Annahmen waren ſchon früher hie und da in mediciniſch-naturwiſſenſchen Kreiſen laut geworden. So hatte der erwähnte Flourensſche Verſuch, ein feſtes phyſiologiſches Geſetz als den gelegentlich bis zu 200 Jahren ſich erſtreckenden Lebensdauern der Menſchen zu Grunde liegend nach- zuweiſen, ſeitens mediciniſcher Kritiker Widerſpruch gefunden, die ſich dabei auf Quetelets Meſſungen der menſchlichen Wachsthumsverhält- niſſe beriefen. 2) Mit kritiſcher Schärfe nahm das ganze Thema 1) Hufeland, Makrobiotik, 8. Aufl., 1860, S. 89 ff.; 128 ff. — J B. Friedreich, Zur Bibel, I, 172 f. — Flourens, De la longévité humaine et de la quantité de la vie sur le Globe. Paris 1855, p. 84. — Ed. Bal- tzer, Gott, Welt und Menſch, 2. Aufl., Leipzig 1879, S. 255. 2) Siehe z. B. Jul. Wallach (Arzt zu Frankfurt a. M.), Das Leben des Menſchen in ſeinen körperlichen Beziehungen ꝛc., 2. Aufl. 1869, S. 503.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/257>, abgerufen am 22.11.2024.