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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
Himmelsstrichen sie auch auftreten mögen, als ursprünglichstes Motiv
zu Grunde liegen.

Bis in die finstersten Tiefen wildheidnischer Gottentfremdung
und gleich gott- wie naturwidriger Befriedigung des religiösen Triebes
hinein lassen sich Spuren des Entartungsprocesses, um welchen es
sich hier handelt, oder Reste einer gewissen Erinnerung an eine
Urschuld des Geschlechts, an das Eingedrungensein einer unheimlichen
verderbenden Macht in die von reineren Ursprüngen ausgegangene
Menschheitsentwicklung, nachweisen. Wir rechnen dahin die Haupt-
formen des Dämonendiensts, insbesondere des Schlangencultus.
Verehrung einer gleich sehr verabscheuten wie gefürchteten dämonischen
Macht unter dem Bilde großer, tückisch lauernder, unheimlich gli-
tzernder und sich ringelnder Reptilien, bildet unfraglich die Grund-
form und das wahre Wesen alles Schlangendiensts, welche besondre
Modification derselbe auch nachgerade angenommen haben möge.
Gegen Fergussons Auffassung des weitverbreiteten und vielgestaltigen
religiösen Phänomens als einer von Hause aus nur der turanischen
Menschheit eignen und für deren niederen Jntelligenzgrad charak-
teristischen Unsitte läßt sich ebenso Triftiges einwenden, wie gegen
Lubbocks Versuch, dasselbe auf Totemismus oder heraldischen Thier-
bildercult zurückzuführen, mithin es als eine besondere Form von
Ahnendienst darzustellen. Turanische Stämme mögen in besonders
großer Zahl und vorzugsweise eifrig sich der unheimlichen Religions-
form gewidmet haben -- wiewohl nicht einmal diese Behauptung
sich genügend rechtfertigen läßt -- und totemistische Deutungen
mögen frühzeitig einen weitwirkenden Einfluß auf die Ausbildung
des grauenhaften Unwesens geübt haben: als Ur- und Grundmotiv
der traurigen Wahnvorstellung und der sie begleitenden oft unsitt-
lichen oder grausamen Ceremonien kann unmöglich etwas Andres
als die Furcht vor einer feindseligen unsichtbaren Macht, die in der
Schlange sinnbildlich abgeschattet oder verkörpert sei, betrachtet werden.
Als böses Wesen, als Kakodämon, wird die Schlange oder der
Drache überall zuerst aufgefaßt und mit gewissen religiösen Riten

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Himmelsſtrichen ſie auch auftreten mögen, als urſprünglichſtes Motiv
zu Grunde liegen.

Bis in die finſterſten Tiefen wildheidniſcher Gottentfremdung
und gleich gott- wie naturwidriger Befriedigung des religiöſen Triebes
hinein laſſen ſich Spuren des Entartungsproceſſes, um welchen es
ſich hier handelt, oder Reſte einer gewiſſen Erinnerung an eine
Urſchuld des Geſchlechts, an das Eingedrungenſein einer unheimlichen
verderbenden Macht in die von reineren Urſprüngen ausgegangene
Menſchheitsentwicklung, nachweiſen. Wir rechnen dahin die Haupt-
formen des Dämonendienſts, insbeſondere des Schlangencultus.
Verehrung einer gleich ſehr verabſcheuten wie gefürchteten dämoniſchen
Macht unter dem Bilde großer, tückiſch lauernder, unheimlich gli-
tzernder und ſich ringelnder Reptilien, bildet unfraglich die Grund-
form und das wahre Weſen alles Schlangendienſts, welche beſondre
Modification derſelbe auch nachgerade angenommen haben möge.
Gegen Ferguſſons Auffaſſung des weitverbreiteten und vielgeſtaltigen
religiöſen Phänomens als einer von Hauſe aus nur der turaniſchen
Menſchheit eignen und für deren niederen Jntelligenzgrad charak-
teriſtiſchen Unſitte läßt ſich ebenſo Triftiges einwenden, wie gegen
Lubbocks Verſuch, daſſelbe auf Totemismus oder heraldiſchen Thier-
bildercult zurückzuführen, mithin es als eine beſondere Form von
Ahnendienſt darzuſtellen. Turaniſche Stämme mögen in beſonders
großer Zahl und vorzugsweiſe eifrig ſich der unheimlichen Religions-
form gewidmet haben — wiewohl nicht einmal dieſe Behauptung
ſich genügend rechtfertigen läßt — und totemiſtiſche Deutungen
mögen frühzeitig einen weitwirkenden Einfluß auf die Ausbildung
des grauenhaften Unweſens geübt haben: als Ur- und Grundmotiv
der traurigen Wahnvorſtellung und der ſie begleitenden oft unſitt-
lichen oder grauſamen Ceremonien kann unmöglich etwas Andres
als die Furcht vor einer feindſeligen unſichtbaren Macht, die in der
Schlange ſinnbildlich abgeſchattet oder verkörpert ſei, betrachtet werden.
Als böſes Weſen, als Kakodämon, wird die Schlange oder der
Drache überall zuerſt aufgefaßt und mit gewiſſen religiöſen Riten

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[208/0218] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Himmelsſtrichen ſie auch auftreten mögen, als urſprünglichſtes Motiv zu Grunde liegen. Bis in die finſterſten Tiefen wildheidniſcher Gottentfremdung und gleich gott- wie naturwidriger Befriedigung des religiöſen Triebes hinein laſſen ſich Spuren des Entartungsproceſſes, um welchen es ſich hier handelt, oder Reſte einer gewiſſen Erinnerung an eine Urſchuld des Geſchlechts, an das Eingedrungenſein einer unheimlichen verderbenden Macht in die von reineren Urſprüngen ausgegangene Menſchheitsentwicklung, nachweiſen. Wir rechnen dahin die Haupt- formen des Dämonendienſts, insbeſondere des Schlangencultus. Verehrung einer gleich ſehr verabſcheuten wie gefürchteten dämoniſchen Macht unter dem Bilde großer, tückiſch lauernder, unheimlich gli- tzernder und ſich ringelnder Reptilien, bildet unfraglich die Grund- form und das wahre Weſen alles Schlangendienſts, welche beſondre Modification derſelbe auch nachgerade angenommen haben möge. Gegen Ferguſſons Auffaſſung des weitverbreiteten und vielgeſtaltigen religiöſen Phänomens als einer von Hauſe aus nur der turaniſchen Menſchheit eignen und für deren niederen Jntelligenzgrad charak- teriſtiſchen Unſitte läßt ſich ebenſo Triftiges einwenden, wie gegen Lubbocks Verſuch, daſſelbe auf Totemismus oder heraldiſchen Thier- bildercult zurückzuführen, mithin es als eine beſondere Form von Ahnendienſt darzuſtellen. Turaniſche Stämme mögen in beſonders großer Zahl und vorzugsweiſe eifrig ſich der unheimlichen Religions- form gewidmet haben — wiewohl nicht einmal dieſe Behauptung ſich genügend rechtfertigen läßt — und totemiſtiſche Deutungen mögen frühzeitig einen weitwirkenden Einfluß auf die Ausbildung des grauenhaften Unweſens geübt haben: als Ur- und Grundmotiv der traurigen Wahnvorſtellung und der ſie begleitenden oft unſitt- lichen oder grauſamen Ceremonien kann unmöglich etwas Andres als die Furcht vor einer feindſeligen unſichtbaren Macht, die in der Schlange ſinnbildlich abgeſchattet oder verkörpert ſei, betrachtet werden. Als böſes Weſen, als Kakodämon, wird die Schlange oder der Drache überall zuerſt aufgefaßt und mit gewiſſen religiöſen Riten

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/218>, abgerufen am 28.11.2024.