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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.

Es befinden sich einige achtunggebietende Namen in dieser Reihe
von Vertretern der Fetischismus-Hypothese. Dennoch ist die ganze
Annahme, zu welcher besondren Fassung sie auch ausgeprägt werden
möge, eine irrthümliche und unhaltbare. Der Fetisch-Aberglaube
gehört nicht an den Anfang, sondern entschieden erst an das Ende
der Religionsentwicklung, sei es einzelner Völker sei es der Mensch-
heit im Ganzen; er ist wesentlich Fäulnißproduct, Frucht eines
religiösen Entartungsprocesses von ähnlicher Art. Wie der dem
Reliquienaberglauben des Katholicismus und andrer Religionen zu
Grunde liegende. An die Spitze der zahlreichen gewichtigen Gründe,
welche für diese Auffassung entscheiden, ist schon der Name "Fetisch"
zu stellen. Dieses dem frühesten Fetischismusforscher C. de Brosses
(um 1760) durch französische Handelsleute zugeführte, aus dem por-
tugiesischen fetisso vererbte Wort ist herzuleiten nicht etwa von
fatum, sondern von facere; es entspricht dem lateinischen (deus)
factitius,
bezeichnet also einen "gemachten" Gott, einen zum Zweck
des Zauberns willkürlich gebildeten Götzen, ein Zaubermittel oder
Object abergläubiger Andacht. Jrgendwelche Gottesvorstellung muß
nothwendig schon dagewesen sein, wo zum Machen eines solchen
Zaubergötzen geschritten wird; der Stein, Klotz, Knochen, Lappen etc.,
welcher dem Reger als Fetisch dient, ist ein einem längst vorhan-
denen, wenn auch höchst rohen und unbestimmten Gottesbegriffe
willkürlich angepaßtes Jdol, dem das sonstige Jdole empfehlende
Moment der Sinnbildlichkeit, der relativen Uebereinstimmung zwischen
unsichtbarem Urbild und sinnlichem Abbild fehlt. Diese Willkürlich-
keit des Verfahrens beim Fetischmachen könnte nun allerdings als

der Ahnen, und zwar vermittelst des s. z. Totemismus oder heraldischen Thier-
bilderdiensts, hervorgehen. Aehnlich Caspari, Urgeschichte etc., I, 263 ff. --
Anders Waitz, Anthropologie der Naturvölker, I, 323 f. (auch II, 174 u. ö.);
H. Paret, Art. "Fetischismus" in der Herzogschen Real-Encyklop. f. prot.
Theol., Bd., IV, S. 395. (Mit Recht ist dieser an ziemlichen Unklarheiten und
inneren Widersprüchen leidende Aufsatz in die zweite Anfl. der Real-Encykl. nicht
mit übergegangen).
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.

Es befinden ſich einige achtunggebietende Namen in dieſer Reihe
von Vertretern der Fetiſchismus-Hypotheſe. Dennoch iſt die ganze
Annahme, zu welcher beſondren Faſſung ſie auch ausgeprägt werden
möge, eine irrthümliche und unhaltbare. Der Fetiſch-Aberglaube
gehört nicht an den Anfang, ſondern entſchieden erſt an das Ende
der Religionsentwicklung, ſei es einzelner Völker ſei es der Menſch-
heit im Ganzen; er iſt weſentlich Fäulnißproduct, Frucht eines
religiöſen Entartungsproceſſes von ähnlicher Art. Wie der dem
Reliquienaberglauben des Katholicismus und andrer Religionen zu
Grunde liegende. An die Spitze der zahlreichen gewichtigen Gründe,
welche für dieſe Auffaſſung entſcheiden, iſt ſchon der Name „Fetiſch‟
zu ſtellen. Dieſes dem früheſten Fetiſchismusforſcher C. de Broſſes
(um 1760) durch franzöſiſche Handelsleute zugeführte, aus dem por-
tugieſiſchen fetisso vererbte Wort iſt herzuleiten nicht etwa von
fatum, ſondern von facere; es entſpricht dem lateiniſchen (deus)
factitius,
bezeichnet alſo einen „gemachten‟ Gott, einen zum Zweck
des Zauberns willkürlich gebildeten Götzen, ein Zaubermittel oder
Object abergläubiger Andacht. Jrgendwelche Gottesvorſtellung muß
nothwendig ſchon dageweſen ſein, wo zum Machen eines ſolchen
Zaubergötzen geſchritten wird; der Stein, Klotz, Knochen, Lappen ꝛc.,
welcher dem Reger als Fetiſch dient, iſt ein einem längſt vorhan-
denen, wenn auch höchſt rohen und unbeſtimmten Gottesbegriffe
willkürlich angepaßtes Jdol, dem das ſonſtige Jdole empfehlende
Moment der Sinnbildlichkeit, der relativen Uebereinſtimmung zwiſchen
unſichtbarem Urbild und ſinnlichem Abbild fehlt. Dieſe Willkürlich-
keit des Verfahrens beim Fetiſchmachen könnte nun allerdings als

der Ahnen, und zwar vermittelſt des ſ. z. Totemismus oder heraldiſchen Thier-
bilderdienſts, hervorgehen. Aehnlich Caspari, Urgeſchichte ꝛc., I, 263 ff. —
Anders Waitz, Anthropologie der Naturvölker, I, 323 f. (auch II, 174 u. ö.);
H. Paret, Art. „Fetiſchismus‟ in der Herzogſchen Real-Encyklop. f. prot.
Theol., Bd., IV, S. 395. (Mit Recht iſt dieſer an ziemlichen Unklarheiten und
inneren Widerſprüchen leidende Aufſatz in die zweite Anfl. der Real-Encykl. nicht
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[198/0208] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Es befinden ſich einige achtunggebietende Namen in dieſer Reihe von Vertretern der Fetiſchismus-Hypotheſe. Dennoch iſt die ganze Annahme, zu welcher beſondren Faſſung ſie auch ausgeprägt werden möge, eine irrthümliche und unhaltbare. Der Fetiſch-Aberglaube gehört nicht an den Anfang, ſondern entſchieden erſt an das Ende der Religionsentwicklung, ſei es einzelner Völker ſei es der Menſch- heit im Ganzen; er iſt weſentlich Fäulnißproduct, Frucht eines religiöſen Entartungsproceſſes von ähnlicher Art. Wie der dem Reliquienaberglauben des Katholicismus und andrer Religionen zu Grunde liegende. An die Spitze der zahlreichen gewichtigen Gründe, welche für dieſe Auffaſſung entſcheiden, iſt ſchon der Name „Fetiſch‟ zu ſtellen. Dieſes dem früheſten Fetiſchismusforſcher C. de Broſſes (um 1760) durch franzöſiſche Handelsleute zugeführte, aus dem por- tugieſiſchen fetisso vererbte Wort iſt herzuleiten nicht etwa von fatum, ſondern von facere; es entſpricht dem lateiniſchen (deus) factitius, bezeichnet alſo einen „gemachten‟ Gott, einen zum Zweck des Zauberns willkürlich gebildeten Götzen, ein Zaubermittel oder Object abergläubiger Andacht. Jrgendwelche Gottesvorſtellung muß nothwendig ſchon dageweſen ſein, wo zum Machen eines ſolchen Zaubergötzen geſchritten wird; der Stein, Klotz, Knochen, Lappen ꝛc., welcher dem Reger als Fetiſch dient, iſt ein einem längſt vorhan- denen, wenn auch höchſt rohen und unbeſtimmten Gottesbegriffe willkürlich angepaßtes Jdol, dem das ſonſtige Jdole empfehlende Moment der Sinnbildlichkeit, der relativen Uebereinſtimmung zwiſchen unſichtbarem Urbild und ſinnlichem Abbild fehlt. Dieſe Willkürlich- keit des Verfahrens beim Fetiſchmachen könnte nun allerdings als 3) 3) der Ahnen, und zwar vermittelſt des ſ. z. Totemismus oder heraldiſchen Thier- bilderdienſts, hervorgehen. Aehnlich Caspari, Urgeſchichte ꝛc., I, 263 ff. — Anders Waitz, Anthropologie der Naturvölker, I, 323 f. (auch II, 174 u. ö.); H. Paret, Art. „Fetiſchismus‟ in der Herzogſchen Real-Encyklop. f. prot. Theol., Bd., IV, S. 395. (Mit Recht iſt dieſer an ziemlichen Unklarheiten und inneren Widerſprüchen leidende Aufſatz in die zweite Anfl. der Real-Encykl. nicht mit übergegangen).

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/208>, abgerufen am 23.11.2024.