Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. früheste Form des Gottesbegriffs, ein wilder Lingam- oder Phallus-cult, werde entsprochen haben, wagen Einige zu huldigen,1) während Andre vor der Ziehung dieser Consequenz zurückschrecken. Es ist eine seltsame Concordia discors, ein wildes Babel widerstreitender Mei- nungen, das sich hier aufthut. Die Gründe aber, auf denen die verschiednen Theorien fußen, sind wie überall auf diesem Gebiete nichts als übereilte Verallgemeinerungen, voreilige Rückschlüsse von modernem Beobachtungsmaterial auf vermeintliche Urzustände, kühne Geschichtsconstructionen und willkürliche Einfälle der bodenlosesten Art. Nur bei zweien dieser Argumente mag hier etwas verweilt Eine Hauptrolle spielt im Räsonnement Lubbocks und seiner 1) Baissac (Les origines de la religion, 2 vols., Paris 1876); Jules Soury (Etudes historiques sur les religions, les arts, etc. Par. 1877), Kulischer (a. a. O.) u. AA. 2) Speciellere Nachweise sowohl über diese Behauptungen Lubbocks, Büch-
ners, Vogts etc. als über das im Folgendenden dawider zu Bemerkende bietet meine Schrift: Das Kreuz Christi etc. 1875, (Excurs V: "Wider die Be- hauptung einer völligen Religionslosigkeit gewisser Völker", S. 416 ff.). VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. früheſte Form des Gottesbegriffs, ein wilder Lingam- oder Phallus-cult, werde entſprochen haben, wagen Einige zu huldigen,1) während Andre vor der Ziehung dieſer Conſequenz zurückſchrecken. Es iſt eine ſeltſame Concordia discors, ein wildes Babel widerſtreitender Mei- nungen, das ſich hier aufthut. Die Gründe aber, auf denen die verſchiednen Theorien fußen, ſind wie überall auf dieſem Gebiete nichts als übereilte Verallgemeinerungen, voreilige Rückſchlüſſe von modernem Beobachtungsmaterial auf vermeintliche Urzuſtände, kühne Geſchichtsconſtructionen und willkürliche Einfälle der bodenloſeſten Art. Nur bei zweien dieſer Argumente mag hier etwas verweilt Eine Hauptrolle ſpielt im Räſonnement Lubbocks und ſeiner 1) Baiſſac (Les origines de la religion, 2 vols., Paris 1876); Jules Soury (Études historiques sur les religions, les arts, etc. Par. 1877), Kuliſcher (a. a. O.) u. AA. 2) Speciellere Nachweiſe ſowohl über dieſe Behauptungen Lubbocks, Büch-
ners, Vogts ꝛc. als über das im Folgendenden dawider zu Bemerkende bietet meine Schrift: Das Kreuz Chriſti ꝛc. 1875, (Excurs V: „Wider die Be- hauptung einer völligen Religionsloſigkeit gewiſſer Völker‟, S. 416 ff.). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0201" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> früheſte Form des Gottesbegriffs, ein wilder Lingam- oder Phallus-<lb/> cult, werde entſprochen haben, wagen Einige zu huldigen,<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Baiſſac</hi> (<hi rendition="#aq">Les origines de la religion, 2 vols., Paris</hi> 1876); Jules<lb/><hi rendition="#g">Soury</hi> (<hi rendition="#aq">Études historiques sur les religions, les arts, etc. Par.</hi> 1877),<lb/><hi rendition="#g">Kuliſcher</hi> (a. a. O.) u. AA.</note> während<lb/> Andre vor der Ziehung dieſer Conſequenz zurückſchrecken. Es iſt eine<lb/> ſeltſame <hi rendition="#aq">Concordia discors,</hi> ein wildes Babel widerſtreitender Mei-<lb/> nungen, das ſich hier aufthut. Die Gründe aber, auf denen die<lb/> verſchiednen Theorien fußen, ſind wie überall auf dieſem Gebiete<lb/> nichts als übereilte Verallgemeinerungen, voreilige Rückſchlüſſe von<lb/> modernem Beobachtungsmaterial auf vermeintliche Urzuſtände, kühne<lb/> Geſchichtsconſtructionen und willkürliche Einfälle der bodenloſeſten Art.</p><lb/> <p>Nur bei zweien dieſer Argumente mag hier etwas verweilt<lb/> werden, weil gerade auf ſie von Vielen unſrer Gegner ein Haupt-<lb/> gewicht gelegt worden iſt, während doch präciſere Feſtſtellung der That-<lb/> ſachen, auf welche ſie ſich beziehen, ſehr entſchieden gegen ihre Verwerth-<lb/> barkeit für naturaliſtiſchen Theorien vom Urſprunge der Religion ſpricht.</p><lb/> <p>Eine Hauptrolle ſpielt im Räſonnement Lubbocks und ſeiner<lb/> Geiſtesverwandten, wozu wir namentlich auch einige deutſche Vor-<lb/> kämpfer des Deſcendenzglaubens wie Büchner, Vogt, Oscar Schmidt,<lb/> Moritz Wagner ꝛc. rechnen müſſen, die Behauptung vom Vorkommen<lb/><hi rendition="#g">völlig religionsloſer Völker,</hi> nebſt der daraus gezogenen<lb/> Folgerung eines abſoluten Atheismus als der Urgrundlage aller<lb/> religionsgeſchichtlichen Entwicklung. Die Menſchheit ſoll den Proceß<lb/> ihres religiös-ethiſchen Vorſtellens und Bildens als vollſtändige<lb/><hi rendition="#aq">tabula rasa</hi> begonnen haben; das altübliche dogmatiſche Argument<lb/> vom Conſenſus aller Völker ſoll null und nichtig ſein, weil that-<lb/> ſächlich eine Reihe von neuerdings beobachteten wilden Stämmen<lb/> jeder Spur von religiöſen Begriffen, Ueberlieferungen und Ge-<lb/> bräuchen entbehre.<note place="foot" n="2)">Speciellere Nachweiſe ſowohl über dieſe Behauptungen Lubbocks, Büch-<lb/> ners, Vogts ꝛc. als über das im Folgendenden dawider zu Bemerkende bietet<lb/> meine Schrift: Das Kreuz Chriſti ꝛc. 1875, (Excurs <hi rendition="#aq">V:</hi> „Wider die Be-<lb/> hauptung einer völligen Religionsloſigkeit gewiſſer Völker‟, S. 416 ff.).</note> — Hier iſt Beides gleich ſehr unerwieſen und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [191/0201]
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
früheſte Form des Gottesbegriffs, ein wilder Lingam- oder Phallus-
cult, werde entſprochen haben, wagen Einige zu huldigen, 1) während
Andre vor der Ziehung dieſer Conſequenz zurückſchrecken. Es iſt eine
ſeltſame Concordia discors, ein wildes Babel widerſtreitender Mei-
nungen, das ſich hier aufthut. Die Gründe aber, auf denen die
verſchiednen Theorien fußen, ſind wie überall auf dieſem Gebiete
nichts als übereilte Verallgemeinerungen, voreilige Rückſchlüſſe von
modernem Beobachtungsmaterial auf vermeintliche Urzuſtände, kühne
Geſchichtsconſtructionen und willkürliche Einfälle der bodenloſeſten Art.
Nur bei zweien dieſer Argumente mag hier etwas verweilt
werden, weil gerade auf ſie von Vielen unſrer Gegner ein Haupt-
gewicht gelegt worden iſt, während doch präciſere Feſtſtellung der That-
ſachen, auf welche ſie ſich beziehen, ſehr entſchieden gegen ihre Verwerth-
barkeit für naturaliſtiſchen Theorien vom Urſprunge der Religion ſpricht.
Eine Hauptrolle ſpielt im Räſonnement Lubbocks und ſeiner
Geiſtesverwandten, wozu wir namentlich auch einige deutſche Vor-
kämpfer des Deſcendenzglaubens wie Büchner, Vogt, Oscar Schmidt,
Moritz Wagner ꝛc. rechnen müſſen, die Behauptung vom Vorkommen
völlig religionsloſer Völker, nebſt der daraus gezogenen
Folgerung eines abſoluten Atheismus als der Urgrundlage aller
religionsgeſchichtlichen Entwicklung. Die Menſchheit ſoll den Proceß
ihres religiös-ethiſchen Vorſtellens und Bildens als vollſtändige
tabula rasa begonnen haben; das altübliche dogmatiſche Argument
vom Conſenſus aller Völker ſoll null und nichtig ſein, weil that-
ſächlich eine Reihe von neuerdings beobachteten wilden Stämmen
jeder Spur von religiöſen Begriffen, Ueberlieferungen und Ge-
bräuchen entbehre. 2) — Hier iſt Beides gleich ſehr unerwieſen und
1) Baiſſac (Les origines de la religion, 2 vols., Paris 1876); Jules
Soury (Études historiques sur les religions, les arts, etc. Par. 1877),
Kuliſcher (a. a. O.) u. AA.
2) Speciellere Nachweiſe ſowohl über dieſe Behauptungen Lubbocks, Büch-
ners, Vogts ꝛc. als über das im Folgendenden dawider zu Bemerkende bietet
meine Schrift: Das Kreuz Chriſti ꝛc. 1875, (Excurs V: „Wider die Be-
hauptung einer völligen Religionsloſigkeit gewiſſer Völker‟, S. 416 ff.).
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