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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
Will man in dem, was Adam als Urheber der Namen der Thiere
thut, eine erste Uebung und Ausbildung des Sprachvermögen's
erblicken, so darf dieß jedenfalls nur in dem Sinne geschehen, daß
man das Ganze als göttlicher Anleitung und Beeinflussung unter-
stellt denkt.1) Ein supranaturaler Ursprung der menschlichen Sprache,
eine Zugehörigkeit derselben zur uranfänglichen geistleiblichen Aus-
rüstung des Menschen als göttlichen Geschöpfs, wird ohne Zweifel
in der Stelle vorausgesetzt. Als sprechendes, nicht als stummes
Geschöpf erscheint der Mensch laut Kap. 2 der Genesis vom aller-
ersten Anfange seines geschichtlichen Daseins an. Ackerbau, Viehzucht,
Metallbereitungskunst, Musik etc. sind Errungenschaften seiner nach-
paradischen Entwicklung: als Sprachbegabter war er schon in's
Paradies eingetreten.

Entbehrt diese biblische Darstellung etwa des bestätigenden
Zeugnisses des paläontologischen und archäalogischen Forschung, soweit
dieselbe das Problem der frühesten Anfänge der Sprache betrifft?
Man weise eine Zeit nach, wo irgendwelchen Jndicien zufolge die
Menschheit als noch nicht sprachbegabte, als noch auf der Stufe
affenartig rohen und wilden Kreischens stehende existirt hätte! Sehen
jene kunstsinnig geschnitzten Thierbilder aus der "Renthierperiode"
vielleicht danach aus, als ob solche Affenmenschen sie verfertigt
hätten? Nicht einmal für die ganz rohen Steinmesser, Aexte, oder
Pfeilspitzen der paläolithischen Zeit lassen Alalen sich als Urheber
denken. Allen, auch den primitivsten Erfindungen muß vernünftige
Ueberlegung, muß Denken, muß Meinungsaustausch des Gedachten
durch Worte vorausgegangen sein. Jene Casparische Annahme, daß
erst eine gewisse "Handgeschicklichkeit" in Verbindung mit allmähligem
Aufrechtgehenlernen auch das Sprechenlernen der ersten Menschen
bedingt und verbreitet habe, ist müßige Speculation, für welche sich
nie empirische Belege werden beibringen lassen.

1) So ungefähr Erzbischof Trench, On the Study of Words, 6. edit.
p. 16 ss.,
sowie der ihm wesentlich zustimmende M' Causland, Adam and
the Adamite, 3. ed. Lond. 1872, p.
180.

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Will man in dem, was Adam als Urheber der Namen der Thiere
thut, eine erſte Uebung und Ausbildung des Sprachvermögen’s
erblicken, ſo darf dieß jedenfalls nur in dem Sinne geſchehen, daß
man das Ganze als göttlicher Anleitung und Beeinfluſſung unter-
ſtellt denkt.1) Ein ſupranaturaler Urſprung der menſchlichen Sprache,
eine Zugehörigkeit derſelben zur uranfänglichen geiſtleiblichen Aus-
rüſtung des Menſchen als göttlichen Geſchöpfs, wird ohne Zweifel
in der Stelle vorausgeſetzt. Als ſprechendes, nicht als ſtummes
Geſchöpf erſcheint der Menſch laut Kap. 2 der Geneſis vom aller-
erſten Anfange ſeines geſchichtlichen Daſeins an. Ackerbau, Viehzucht,
Metallbereitungskunſt, Muſik ꝛc. ſind Errungenſchaften ſeiner nach-
paradiſchen Entwicklung: als Sprachbegabter war er ſchon in’s
Paradies eingetreten.

Entbehrt dieſe bibliſche Darſtellung etwa des beſtätigenden
Zeugniſſes des paläontologiſchen und archäalogiſchen Forſchung, ſoweit
dieſelbe das Problem der früheſten Anfänge der Sprache betrifft?
Man weiſe eine Zeit nach, wo irgendwelchen Jndicien zufolge die
Menſchheit als noch nicht ſprachbegabte, als noch auf der Stufe
affenartig rohen und wilden Kreiſchens ſtehende exiſtirt hätte! Sehen
jene kunſtſinnig geſchnitzten Thierbilder aus der „Renthierperiode‟
vielleicht danach aus, als ob ſolche Affenmenſchen ſie verfertigt
hätten? Nicht einmal für die ganz rohen Steinmeſſer, Aexte, oder
Pfeilſpitzen der paläolithiſchen Zeit laſſen Alalen ſich als Urheber
denken. Allen, auch den primitivſten Erfindungen muß vernünftige
Ueberlegung, muß Denken, muß Meinungsaustauſch des Gedachten
durch Worte vorausgegangen ſein. Jene Caspariſche Annahme, daß
erſt eine gewiſſe „Handgeſchicklichkeit‟ in Verbindung mit allmähligem
Aufrechtgehenlernen auch das Sprechenlernen der erſten Menſchen
bedingt und verbreitet habe, iſt müßige Speculation, für welche ſich
nie empiriſche Belege werden beibringen laſſen.

1) So ungefähr Erzbiſchof Trench, On the Study of Words, 6. edit.
p. 16 ss.,
ſowie der ihm weſentlich zuſtimmende M’ Causland, Adam and
the Adamite, 3. ed. Lond. 1872, p.
180.
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[183/0193] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Will man in dem, was Adam als Urheber der Namen der Thiere thut, eine erſte Uebung und Ausbildung des Sprachvermögen’s erblicken, ſo darf dieß jedenfalls nur in dem Sinne geſchehen, daß man das Ganze als göttlicher Anleitung und Beeinfluſſung unter- ſtellt denkt. 1) Ein ſupranaturaler Urſprung der menſchlichen Sprache, eine Zugehörigkeit derſelben zur uranfänglichen geiſtleiblichen Aus- rüſtung des Menſchen als göttlichen Geſchöpfs, wird ohne Zweifel in der Stelle vorausgeſetzt. Als ſprechendes, nicht als ſtummes Geſchöpf erſcheint der Menſch laut Kap. 2 der Geneſis vom aller- erſten Anfange ſeines geſchichtlichen Daſeins an. Ackerbau, Viehzucht, Metallbereitungskunſt, Muſik ꝛc. ſind Errungenſchaften ſeiner nach- paradiſchen Entwicklung: als Sprachbegabter war er ſchon in’s Paradies eingetreten. Entbehrt dieſe bibliſche Darſtellung etwa des beſtätigenden Zeugniſſes des paläontologiſchen und archäalogiſchen Forſchung, ſoweit dieſelbe das Problem der früheſten Anfänge der Sprache betrifft? Man weiſe eine Zeit nach, wo irgendwelchen Jndicien zufolge die Menſchheit als noch nicht ſprachbegabte, als noch auf der Stufe affenartig rohen und wilden Kreiſchens ſtehende exiſtirt hätte! Sehen jene kunſtſinnig geſchnitzten Thierbilder aus der „Renthierperiode‟ vielleicht danach aus, als ob ſolche Affenmenſchen ſie verfertigt hätten? Nicht einmal für die ganz rohen Steinmeſſer, Aexte, oder Pfeilſpitzen der paläolithiſchen Zeit laſſen Alalen ſich als Urheber denken. Allen, auch den primitivſten Erfindungen muß vernünftige Ueberlegung, muß Denken, muß Meinungsaustauſch des Gedachten durch Worte vorausgegangen ſein. Jene Caspariſche Annahme, daß erſt eine gewiſſe „Handgeſchicklichkeit‟ in Verbindung mit allmähligem Aufrechtgehenlernen auch das Sprechenlernen der erſten Menſchen bedingt und verbreitet habe, iſt müßige Speculation, für welche ſich nie empiriſche Belege werden beibringen laſſen. 1) So ungefähr Erzbiſchof Trench, On the Study of Words, 6. edit. p. 16 ss., ſowie der ihm weſentlich zuſtimmende M’ Causland, Adam and the Adamite, 3. ed. Lond. 1872, p. 180.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/193>, abgerufen am 22.11.2024.