Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
zusammenlebenden Vorfahren behufs Ausbildung ihres Sprach-
Jnstincts bedurft hätten, nicht hinwegzukommen.1)

Mit der Stelle im biblischen Schöpfungsbericht, welche eine
erste Ausübung des Sprachvermögens seitens des Menschen gemäß
göttlicher Weisung stattfinden läßt (1. Mos. 2, 19. 20), ist von
jeher viel Mißbrauch getrieben worden. Eine Theorie vom Ursprung
der Sprache will diese Stelle ganz gewiß nicht geben. Hermann
v. d. Hardt hatte ganz Recht, wenn er gegenüber der weitverbreiteten
Unsitte seiner schriftgelehrten Zeitgenossen, hier irgendwelche Sprach-
Ursprungstheorie (und zwar obendrein eine solche, wonach das
Hebräische die Ursprache unsres Geschlechts gewesen wäre!) zu finden,
die Benamung der Thiere lediglich als vorbereitendes Moment
für das Folgende: die Aufsuchung einer passenden Lebensgefährtin
für Adam, gefaßt wissen wollte.2) Die Beziehung auf die Bethä-
tigung der Sprachfähigkeit des ersten Menschen, welche der Bericht
enthält, ist jedenfalls nur eine indirecte und nebensächliche. Jmmerhin
liegt eine solche Beziehung thatsächlich vor, und gewiß eine nicht
unwichtige. Das Sprechen des Menschen erscheint laut der Stelle
als ein bis in die Paradieseszeit zurückreichendes, mit dem Schöpfungs-
acte selbst verflochtenes, in gewissem Sinne anerschaffenes Moment
menschlicher Lebensbethätigung, als eine Urform der menschlicherseits
nach Gottes Bilde über die niedere Naturwelt auszuübenden Herrschaft.

1) J. J. Rousseau, Discours sur l'origine et les fondemens de
l'inegalite parmi les hommes,
1754. Vgl. Th. Benfey, Geschichte der
Sprachwissenschaft etc., S. 292.
2) Herm. v. d. Hardt: In Mosis, severissimi morum censoris historiam
Gen. 2, 18--20 de vocatis ab Adamo animalibus, in Bochartum, Helm-
stad.
1705. Jhn bestritt dann vom orthodoxen Standpunkte aus Lilienthal
in s. Selecta historica et literaria, Regiomont. 1715, p. 258 ss.; Haupt-
zweck jener Namengebung sei gewesen excolendi linguam, qua uteretur primus
homo, et inveniendi vocabula rebus exprimendis apta.
Auch sei die Sprache,
deren sich Adam hiebei bediente, keine untergegangene Ursprache, sondern das
Hebr. gewesen, etc.

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
zuſammenlebenden Vorfahren behufs Ausbildung ihres Sprach-
Jnſtincts bedurft hätten, nicht hinwegzukommen.1)

Mit der Stelle im bibliſchen Schöpfungsbericht, welche eine
erſte Ausübung des Sprachvermögens ſeitens des Menſchen gemäß
göttlicher Weiſung ſtattfinden läßt (1. Moſ. 2, 19. 20), iſt von
jeher viel Mißbrauch getrieben worden. Eine Theorie vom Urſprung
der Sprache will dieſe Stelle ganz gewiß nicht geben. Hermann
v. d. Hardt hatte ganz Recht, wenn er gegenüber der weitverbreiteten
Unſitte ſeiner ſchriftgelehrten Zeitgenoſſen, hier irgendwelche Sprach-
Urſprungstheorie (und zwar obendrein eine ſolche, wonach das
Hebräiſche die Urſprache unſres Geſchlechts geweſen wäre!) zu finden,
die Benamung der Thiere lediglich als vorbereitendes Moment
für das Folgende: die Aufſuchung einer paſſenden Lebensgefährtin
für Adam, gefaßt wiſſen wollte.2) Die Beziehung auf die Bethä-
tigung der Sprachfähigkeit des erſten Menſchen, welche der Bericht
enthält, iſt jedenfalls nur eine indirecte und nebenſächliche. Jmmerhin
liegt eine ſolche Beziehung thatſächlich vor, und gewiß eine nicht
unwichtige. Das Sprechen des Menſchen erſcheint laut der Stelle
als ein bis in die Paradieſeszeit zurückreichendes, mit dem Schöpfungs-
acte ſelbſt verflochtenes, in gewiſſem Sinne anerſchaffenes Moment
menſchlicher Lebensbethätigung, als eine Urform der menſchlicherſeits
nach Gottes Bilde über die niedere Naturwelt auszuübenden Herrſchaft.

1) J. J. Rouſſeau, Discours sur l’origine et les fondemens de
l’inégalité parmi les hommes,
1754. Vgl. Th. Benfey, Geſchichte der
Sprachwiſſenſchaft ꝛc., S. 292.
2) Herm. v. d. Hardt: In Mosis, severissimi morum censoris historiam
Gen. 2, 18—20 de vocatis ab Adamo animalibus, in Bochartum, Helm-
stad.
1705. Jhn beſtritt dann vom orthodoxen Standpunkte aus Lilienthal
in ſ. Selecta historica et literaria, Regiomont. 1715, p. 258 ss.; Haupt-
zweck jener Namengebung ſei geweſen excolendi linguam, qua uteretur primus
homo, et inveniendi vocabula rebus exprimendis apta.
Auch ſei die Sprache,
deren ſich Adam hiebei bediente, keine untergegangene Urſprache, ſondern das
Hebr. geweſen, ꝛc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0192" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturge&#x017F;chichtliche Jn&#x017F;tanzen.</fw><lb/>
zu&#x017F;ammenlebenden Vorfahren behufs Ausbildung ihres Sprach-<lb/>
Jn&#x017F;tincts bedurft hätten, nicht hinwegzukommen.<note place="foot" n="1)">J. J. <hi rendition="#g">Rou&#x017F;&#x017F;eau,</hi> <hi rendition="#aq">Discours sur l&#x2019;origine et les fondemens de<lb/>
l&#x2019;inégalité parmi les hommes,</hi> 1754. Vgl. Th. <hi rendition="#g">Benfey,</hi> Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Sprachwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#xA75B;c., S. 292.</note></p><lb/>
        <p>Mit der Stelle im bibli&#x017F;chen Schöpfungsbericht, welche eine<lb/>
er&#x017F;te Ausübung des Sprachvermögens &#x017F;eitens des Men&#x017F;chen gemäß<lb/>
göttlicher Wei&#x017F;ung &#x017F;tattfinden läßt (1. Mo&#x017F;. 2, 19. 20), i&#x017F;t von<lb/>
jeher viel Mißbrauch getrieben worden. Eine Theorie vom Ur&#x017F;prung<lb/>
der Sprache will die&#x017F;e Stelle ganz gewiß nicht geben. Hermann<lb/>
v. d. Hardt hatte ganz Recht, wenn er gegenüber der weitverbreiteten<lb/>
Un&#x017F;itte &#x017F;einer &#x017F;chriftgelehrten Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en, hier irgendwelche Sprach-<lb/>
Ur&#x017F;prungstheorie (und zwar obendrein eine &#x017F;olche, wonach das<lb/>
Hebräi&#x017F;che die Ur&#x017F;prache un&#x017F;res Ge&#x017F;chlechts gewe&#x017F;en wäre!) zu finden,<lb/>
die Benamung der Thiere lediglich als vorbereitendes Moment<lb/>
für das Folgende: die Auf&#x017F;uchung einer pa&#x017F;&#x017F;enden Lebensgefährtin<lb/>
für Adam, gefaßt wi&#x017F;&#x017F;en wollte.<note place="foot" n="2)">Herm. v. d. <hi rendition="#g">Hardt:</hi> <hi rendition="#aq">In Mosis, severissimi morum censoris historiam<lb/>
Gen. 2, 18&#x2014;20 de vocatis ab Adamo animalibus, in Bochartum, Helm-<lb/>
stad.</hi> 1705. Jhn be&#x017F;tritt dann vom orthodoxen Standpunkte aus <hi rendition="#g">Lilienthal</hi><lb/>
in &#x017F;. <hi rendition="#aq">Selecta historica et literaria, Regiomont. 1715, p. 258 ss.;</hi> Haupt-<lb/>
zweck jener Namengebung &#x017F;ei gewe&#x017F;en <hi rendition="#aq">excolendi linguam, qua uteretur primus<lb/>
homo, et inveniendi vocabula rebus exprimendis apta.</hi> Auch &#x017F;ei die Sprache,<lb/>
deren &#x017F;ich Adam hiebei bediente, keine untergegangene Ur&#x017F;prache, &#x017F;ondern das<lb/>
Hebr. gewe&#x017F;en, &#xA75B;c.</note> Die Beziehung auf die Bethä-<lb/>
tigung der Sprachfähigkeit des er&#x017F;ten Men&#x017F;chen, welche der Bericht<lb/>
enthält, i&#x017F;t jedenfalls nur eine indirecte und neben&#x017F;ächliche. Jmmerhin<lb/>
liegt eine &#x017F;olche Beziehung that&#x017F;ächlich vor, und gewiß eine nicht<lb/>
unwichtige. Das Sprechen des Men&#x017F;chen er&#x017F;cheint laut der Stelle<lb/>
als ein bis in die Paradie&#x017F;eszeit zurückreichendes, mit dem Schöpfungs-<lb/>
acte &#x017F;elb&#x017F;t verflochtenes, in gewi&#x017F;&#x017F;em Sinne aner&#x017F;chaffenes Moment<lb/>
men&#x017F;chlicher Lebensbethätigung, als eine Urform der men&#x017F;chlicher&#x017F;eits<lb/>
nach Gottes Bilde über die niedere Naturwelt auszuübenden Herr&#x017F;chaft.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0192] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. zuſammenlebenden Vorfahren behufs Ausbildung ihres Sprach- Jnſtincts bedurft hätten, nicht hinwegzukommen. 1) Mit der Stelle im bibliſchen Schöpfungsbericht, welche eine erſte Ausübung des Sprachvermögens ſeitens des Menſchen gemäß göttlicher Weiſung ſtattfinden läßt (1. Moſ. 2, 19. 20), iſt von jeher viel Mißbrauch getrieben worden. Eine Theorie vom Urſprung der Sprache will dieſe Stelle ganz gewiß nicht geben. Hermann v. d. Hardt hatte ganz Recht, wenn er gegenüber der weitverbreiteten Unſitte ſeiner ſchriftgelehrten Zeitgenoſſen, hier irgendwelche Sprach- Urſprungstheorie (und zwar obendrein eine ſolche, wonach das Hebräiſche die Urſprache unſres Geſchlechts geweſen wäre!) zu finden, die Benamung der Thiere lediglich als vorbereitendes Moment für das Folgende: die Aufſuchung einer paſſenden Lebensgefährtin für Adam, gefaßt wiſſen wollte. 2) Die Beziehung auf die Bethä- tigung der Sprachfähigkeit des erſten Menſchen, welche der Bericht enthält, iſt jedenfalls nur eine indirecte und nebenſächliche. Jmmerhin liegt eine ſolche Beziehung thatſächlich vor, und gewiß eine nicht unwichtige. Das Sprechen des Menſchen erſcheint laut der Stelle als ein bis in die Paradieſeszeit zurückreichendes, mit dem Schöpfungs- acte ſelbſt verflochtenes, in gewiſſem Sinne anerſchaffenes Moment menſchlicher Lebensbethätigung, als eine Urform der menſchlicherſeits nach Gottes Bilde über die niedere Naturwelt auszuübenden Herrſchaft. 1) J. J. Rouſſeau, Discours sur l’origine et les fondemens de l’inégalité parmi les hommes, 1754. Vgl. Th. Benfey, Geſchichte der Sprachwiſſenſchaft ꝛc., S. 292. 2) Herm. v. d. Hardt: In Mosis, severissimi morum censoris historiam Gen. 2, 18—20 de vocatis ab Adamo animalibus, in Bochartum, Helm- stad. 1705. Jhn beſtritt dann vom orthodoxen Standpunkte aus Lilienthal in ſ. Selecta historica et literaria, Regiomont. 1715, p. 258 ss.; Haupt- zweck jener Namengebung ſei geweſen excolendi linguam, qua uteretur primus homo, et inveniendi vocabula rebus exprimendis apta. Auch ſei die Sprache, deren ſich Adam hiebei bediente, keine untergegangene Urſprache, ſondern das Hebr. geweſen, ꝛc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/192
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/192>, abgerufen am 22.11.2024.