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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
Pitcairn-Jnsel, die portugiesischen Mischlingsracen in Afrika und Jn-
dien, die Gauchos der Pampas, die Jrokesen, Cheyenne-Jndianer
und Algonkins in Nordamerika, die Kamtschadalen. Bei manchen
Stämmen, besonders in Nordamerika sei es ungewiß, ob man sie
für verwildert oder für von äußerster Wildheitsstufe schon zu einem
gewissen niederen Culturgrad emporgestiegen zu halten habe, u. s. f.
Für die fernste Urzeit sei übrigens ein Zustand äußerster Rohheit
und Uncultur das geschichtlich allein Bezeugte; ja es gebe kaum
eine Landschaft der Erde, von der sich nicht mit Bestimmtheit be-
haupten lasse, daß dort einst Wilde gewohnt haben". Ueberall wo man
prähistorisch forsche, stoße man auf die Spuren einer allem Metall-
gebrauch vorausgegangenen Steinzeit; Stein, Bronze, Eisen sei die
schon von Lucrez bezeugte Stufenfolge, durch welche alle industrielle
Entwicklung hindurchgegangen sei. -- Was die religionshistorischen
Gründe der Vertheidiger der Urwildheitslehre betrifft, so urtheilt
Tylor auch über sie ziemlich maaßvoll und umsichtig vermittelnd.
Er warnt davor, Argumente von so zweifelhafter Haltbarkeit ins
Feld zu führen, wie die von der angeblichen absoluten Religions-
losigkeit gewisser dermaliger Völker hergenommenen, die sich schon so
mauchmal bei tieferem Eindringen der betr. Forschung in ihr Ge-
gentheil verkehrt hätten.1) Dennoch setzt er alsdann wieder voraus,
daß alle Religion etwas natürlicherweise Gewordenes, ein Entwick-
lungsproduct der Cultur sei. Wie befangen in seiner naturalistischen
Vorstellungsweise er ist, zeigen Sätze wie beispielsweise dieser: "Wäre
es mit Bestimmtheit erwiesen, daß religionslose Wilde existiren oder
existirt haben, so könnte man diese, wahrscheinlich wenigstens, als
Repräsentanten des Zustandes der Menschen betrachten, ehe er die
religiöse Stufe der Cultur erreichte". Auch sonst erweist er sich,
ungeachtet seines Strebens nach Unbefangenheit und Unparteilichkeit,
als festgefahren in den Speculationen positivistischer Weltansicht.
Seine vielgerühmte Theorie vom "Animismus" als der bei allen
Völkern tief eingewurzelten Vorstellung von geistigen Wesen, welche

1) II, 418 sq.

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
Pitcairn-Jnſel, die portugieſiſchen Miſchlingsracen in Afrika und Jn-
dien, die Gauchos der Pampas, die Jrokeſen, Cheyenne-Jndianer
und Algonkins in Nordamerika, die Kamtſchadalen. Bei manchen
Stämmen, beſonders in Nordamerika ſei es ungewiß, ob man ſie
für verwildert oder für von äußerſter Wildheitsſtufe ſchon zu einem
gewiſſen niederen Culturgrad emporgeſtiegen zu halten habe, u. ſ. f.
Für die fernſte Urzeit ſei übrigens ein Zuſtand äußerſter Rohheit
und Uncultur das geſchichtlich allein Bezeugte; ja es gebe kaum
eine Landſchaft der Erde, von der ſich nicht mit Beſtimmtheit be-
haupten laſſe, daß dort einſt Wilde gewohnt haben‟. Ueberall wo man
prähiſtoriſch forſche, ſtoße man auf die Spuren einer allem Metall-
gebrauch vorausgegangenen Steinzeit; Stein, Bronze, Eiſen ſei die
ſchon von Lucrez bezeugte Stufenfolge, durch welche alle induſtrielle
Entwicklung hindurchgegangen ſei. — Was die religionshiſtoriſchen
Gründe der Vertheidiger der Urwildheitslehre betrifft, ſo urtheilt
Tylor auch über ſie ziemlich maaßvoll und umſichtig vermittelnd.
Er warnt davor, Argumente von ſo zweifelhafter Haltbarkeit ins
Feld zu führen, wie die von der angeblichen abſoluten Religions-
loſigkeit gewiſſer dermaliger Völker hergenommenen, die ſich ſchon ſo
mauchmal bei tieferem Eindringen der betr. Forſchung in ihr Ge-
gentheil verkehrt hätten.1) Dennoch ſetzt er alsdann wieder voraus,
daß alle Religion etwas natürlicherweiſe Gewordenes, ein Entwick-
lungsproduct der Cultur ſei. Wie befangen in ſeiner naturaliſtiſchen
Vorſtellungsweiſe er iſt, zeigen Sätze wie beiſpielsweiſe dieſer: „Wäre
es mit Beſtimmtheit erwieſen, daß religionsloſe Wilde exiſtiren oder
exiſtirt haben, ſo könnte man dieſe, wahrſcheinlich wenigſtens, als
Repräſentanten des Zuſtandes der Menſchen betrachten, ehe er die
religiöſe Stufe der Cultur erreichte‟. Auch ſonſt erweiſt er ſich,
ungeachtet ſeines Strebens nach Unbefangenheit und Unparteilichkeit,
als feſtgefahren in den Speculationen poſitiviſtiſcher Weltanſicht.
Seine vielgerühmte Theorie vom „Animismus‟ als der bei allen
Völkern tief eingewurzelten Vorſtellung von geiſtigen Weſen, welche

1) II, 418 sq.
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[141/0151] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. Pitcairn-Jnſel, die portugieſiſchen Miſchlingsracen in Afrika und Jn- dien, die Gauchos der Pampas, die Jrokeſen, Cheyenne-Jndianer und Algonkins in Nordamerika, die Kamtſchadalen. Bei manchen Stämmen, beſonders in Nordamerika ſei es ungewiß, ob man ſie für verwildert oder für von äußerſter Wildheitsſtufe ſchon zu einem gewiſſen niederen Culturgrad emporgeſtiegen zu halten habe, u. ſ. f. Für die fernſte Urzeit ſei übrigens ein Zuſtand äußerſter Rohheit und Uncultur das geſchichtlich allein Bezeugte; ja es gebe kaum eine Landſchaft der Erde, von der ſich nicht mit Beſtimmtheit be- haupten laſſe, daß dort einſt Wilde gewohnt haben‟. Ueberall wo man prähiſtoriſch forſche, ſtoße man auf die Spuren einer allem Metall- gebrauch vorausgegangenen Steinzeit; Stein, Bronze, Eiſen ſei die ſchon von Lucrez bezeugte Stufenfolge, durch welche alle induſtrielle Entwicklung hindurchgegangen ſei. — Was die religionshiſtoriſchen Gründe der Vertheidiger der Urwildheitslehre betrifft, ſo urtheilt Tylor auch über ſie ziemlich maaßvoll und umſichtig vermittelnd. Er warnt davor, Argumente von ſo zweifelhafter Haltbarkeit ins Feld zu führen, wie die von der angeblichen abſoluten Religions- loſigkeit gewiſſer dermaliger Völker hergenommenen, die ſich ſchon ſo mauchmal bei tieferem Eindringen der betr. Forſchung in ihr Ge- gentheil verkehrt hätten. 1) Dennoch ſetzt er alsdann wieder voraus, daß alle Religion etwas natürlicherweiſe Gewordenes, ein Entwick- lungsproduct der Cultur ſei. Wie befangen in ſeiner naturaliſtiſchen Vorſtellungsweiſe er iſt, zeigen Sätze wie beiſpielsweiſe dieſer: „Wäre es mit Beſtimmtheit erwieſen, daß religionsloſe Wilde exiſtiren oder exiſtirt haben, ſo könnte man dieſe, wahrſcheinlich wenigſtens, als Repräſentanten des Zuſtandes der Menſchen betrachten, ehe er die religiöſe Stufe der Cultur erreichte‟. Auch ſonſt erweiſt er ſich, ungeachtet ſeines Strebens nach Unbefangenheit und Unparteilichkeit, als feſtgefahren in den Speculationen poſitiviſtiſcher Weltanſicht. Seine vielgerühmte Theorie vom „Animismus‟ als der bei allen Völkern tief eingewurzelten Vorſtellung von geiſtigen Weſen, welche 1) II, 418 sq.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/151>, abgerufen am 25.11.2024.