Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der Person und des Eigenthums Rechenschaft zu geben und schrieb besonders schlagende Sätze aus den Zeitungen und den ihm zugänglichen Büchern in ein Heft ab, das er beinahe auswendig wußte, und dessen Inhalt ihm eine Art geläufiger Redekunst gewährte. Marie dagegen neigte für die bestehende Ordnung der Dinge, sah das Uebel nur als etwas Einzelnes an, dessen Abhülfe Gott, der Alles zum Besten kehre, schon herbeiführen werde. Es ist ja nicht nöthig, Vetter, so nannte sie den Schmied, daß alle die armen Leute von Amt und Brod gejagt werden; wenn sie Uebles thun, so geschieht es gewiß aus Unverstand, und wenn sie böse sind, so kann man sie ja bessern. -- Marie! erwiderte dieser, du magst ein ganz kluges Mädchen sein, aber das verstehst du nicht. Es ist kein Mensch zu bessern. Jungen, die in der Schule nicht bloß leichtsinnig, sondern wirklich böse sind, welche die ganze Schuljugend fürchtet, weil sie nichts taugen, bleiben schlechte Menschen, und wenn alle Lehrer und Prediger der Welt daran bessern. Wer einmal ein wirklich schlechter Kerl war, kann sich nicht bessern, weil er sich nicht besser machen kann. Mir vermag kein Mensch meine neun Monate Zuchthaus vom Halse zu nehmen, und wer mich dazu gebracht, kann sich nicht bessern, weil seine Sünde nicht auszuwischen ist. Selbst wenn ein solcher Missethäter ebenfalls neun Monate sitzen müßte, ist damit nichts gewonnen; denn ich werde dadurch der Person und des Eigenthums Rechenschaft zu geben und schrieb besonders schlagende Sätze aus den Zeitungen und den ihm zugänglichen Büchern in ein Heft ab, das er beinahe auswendig wußte, und dessen Inhalt ihm eine Art geläufiger Redekunst gewährte. Marie dagegen neigte für die bestehende Ordnung der Dinge, sah das Uebel nur als etwas Einzelnes an, dessen Abhülfe Gott, der Alles zum Besten kehre, schon herbeiführen werde. Es ist ja nicht nöthig, Vetter, so nannte sie den Schmied, daß alle die armen Leute von Amt und Brod gejagt werden; wenn sie Uebles thun, so geschieht es gewiß aus Unverstand, und wenn sie böse sind, so kann man sie ja bessern. — Marie! erwiderte dieser, du magst ein ganz kluges Mädchen sein, aber das verstehst du nicht. Es ist kein Mensch zu bessern. Jungen, die in der Schule nicht bloß leichtsinnig, sondern wirklich böse sind, welche die ganze Schuljugend fürchtet, weil sie nichts taugen, bleiben schlechte Menschen, und wenn alle Lehrer und Prediger der Welt daran bessern. Wer einmal ein wirklich schlechter Kerl war, kann sich nicht bessern, weil er sich nicht besser machen kann. Mir vermag kein Mensch meine neun Monate Zuchthaus vom Halse zu nehmen, und wer mich dazu gebracht, kann sich nicht bessern, weil seine Sünde nicht auszuwischen ist. Selbst wenn ein solcher Missethäter ebenfalls neun Monate sitzen müßte, ist damit nichts gewonnen; denn ich werde dadurch <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0034"/> der Person und des Eigenthums Rechenschaft zu geben und schrieb besonders schlagende Sätze aus den Zeitungen und den ihm zugänglichen Büchern in ein Heft ab, das er beinahe auswendig wußte, und dessen Inhalt ihm eine Art geläufiger Redekunst gewährte.</p><lb/> <p>Marie dagegen neigte für die bestehende Ordnung der Dinge, sah das Uebel nur als etwas Einzelnes an, dessen Abhülfe Gott, der Alles zum Besten kehre, schon herbeiführen werde.</p><lb/> <p>Es ist ja nicht nöthig, Vetter, so nannte sie den Schmied, daß alle die armen Leute von Amt und Brod gejagt werden; wenn sie Uebles thun, so geschieht es gewiß aus Unverstand, und wenn sie böse sind, so kann man sie ja bessern. —</p><lb/> <p>Marie! erwiderte dieser, du magst ein ganz kluges Mädchen sein, aber das verstehst du nicht. Es ist kein Mensch zu bessern. Jungen, die in der Schule nicht bloß leichtsinnig, sondern wirklich böse sind, welche die ganze Schuljugend fürchtet, weil sie nichts taugen, bleiben schlechte Menschen, und wenn alle Lehrer und Prediger der Welt daran bessern. Wer einmal ein wirklich schlechter Kerl war, kann sich nicht bessern, weil er sich nicht besser machen kann. Mir vermag kein Mensch meine neun Monate Zuchthaus vom Halse zu nehmen, und wer mich dazu gebracht, kann sich nicht bessern, weil seine Sünde nicht auszuwischen ist. Selbst wenn ein solcher Missethäter ebenfalls neun Monate sitzen müßte, ist damit nichts gewonnen; denn ich werde dadurch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
der Person und des Eigenthums Rechenschaft zu geben und schrieb besonders schlagende Sätze aus den Zeitungen und den ihm zugänglichen Büchern in ein Heft ab, das er beinahe auswendig wußte, und dessen Inhalt ihm eine Art geläufiger Redekunst gewährte.
Marie dagegen neigte für die bestehende Ordnung der Dinge, sah das Uebel nur als etwas Einzelnes an, dessen Abhülfe Gott, der Alles zum Besten kehre, schon herbeiführen werde.
Es ist ja nicht nöthig, Vetter, so nannte sie den Schmied, daß alle die armen Leute von Amt und Brod gejagt werden; wenn sie Uebles thun, so geschieht es gewiß aus Unverstand, und wenn sie böse sind, so kann man sie ja bessern. —
Marie! erwiderte dieser, du magst ein ganz kluges Mädchen sein, aber das verstehst du nicht. Es ist kein Mensch zu bessern. Jungen, die in der Schule nicht bloß leichtsinnig, sondern wirklich böse sind, welche die ganze Schuljugend fürchtet, weil sie nichts taugen, bleiben schlechte Menschen, und wenn alle Lehrer und Prediger der Welt daran bessern. Wer einmal ein wirklich schlechter Kerl war, kann sich nicht bessern, weil er sich nicht besser machen kann. Mir vermag kein Mensch meine neun Monate Zuchthaus vom Halse zu nehmen, und wer mich dazu gebracht, kann sich nicht bessern, weil seine Sünde nicht auszuwischen ist. Selbst wenn ein solcher Missethäter ebenfalls neun Monate sitzen müßte, ist damit nichts gewonnen; denn ich werde dadurch
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Zitationshilfe: | Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/34>, abgerufen am 16.07.2024. |