Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

wendigkeit des Bösen zu erkennen; er hat keine Vorstellung davon, daß die Menschheit das, was er gut und christlich nennt, im Schweiße des Angesichts erringen muß, um sich desselben als feststehenden Guts zu erfreuen. Er sieht, wenn die widerstreitenden Kräfte gegen einander lebendig sind, kein Mittel, das Böse, wie er es nennt, zu bezwingen, als durch die Gewalt, und gerade dieser Zug ist der tiefere Grund, weßhalb die Masse regierungsbedürftig ist. Was Diejenigen, denen alle Revolution ein Abscheu ist, verdammen, ist sonach gerade die Eigenschaft der Massen, auf der ihre eigene Herrschaft beruht, und sie werden, da sie den Pessimismus nur als Ausgeburt des Einzelnen nehmen, zu leicht verführt, das für Geduld des Volkes zu halten, was nur ein Sammeln im Maße ist, auf daß es voll werde.

Eigenthümlich war daher auch die Entwicklung der drei Personen nach ihrer Bildung und Anlage. Der Schmied, der zwar verheirathet war, aber über die Schmiede nicht verfügen konnte, da er sie an die ältesten Stiefkinder gegen Altentheil abgeben mußte, hatte, da ihm und seinen Nachkommen ursprünglich eigentlich Nichts gehörte, wenig Interesse für Land und Leute. Unter Freiheit verstand er daher wenig Mehr als das Glück, nicht Gensdarmen und Gerichtsdiener zu sehen. Daß er ins Zuchthaus hätte kommen können, war ihm von Kindesbeinen an ganz unmöglich vorgekommen, und er war nunmehr in völlige Confusion mit sich und selbst

wendigkeit des Bösen zu erkennen; er hat keine Vorstellung davon, daß die Menschheit das, was er gut und christlich nennt, im Schweiße des Angesichts erringen muß, um sich desselben als feststehenden Guts zu erfreuen. Er sieht, wenn die widerstreitenden Kräfte gegen einander lebendig sind, kein Mittel, das Böse, wie er es nennt, zu bezwingen, als durch die Gewalt, und gerade dieser Zug ist der tiefere Grund, weßhalb die Masse regierungsbedürftig ist. Was Diejenigen, denen alle Revolution ein Abscheu ist, verdammen, ist sonach gerade die Eigenschaft der Massen, auf der ihre eigene Herrschaft beruht, und sie werden, da sie den Pessimismus nur als Ausgeburt des Einzelnen nehmen, zu leicht verführt, das für Geduld des Volkes zu halten, was nur ein Sammeln im Maße ist, auf daß es voll werde.

Eigenthümlich war daher auch die Entwicklung der drei Personen nach ihrer Bildung und Anlage. Der Schmied, der zwar verheirathet war, aber über die Schmiede nicht verfügen konnte, da er sie an die ältesten Stiefkinder gegen Altentheil abgeben mußte, hatte, da ihm und seinen Nachkommen ursprünglich eigentlich Nichts gehörte, wenig Interesse für Land und Leute. Unter Freiheit verstand er daher wenig Mehr als das Glück, nicht Gensdarmen und Gerichtsdiener zu sehen. Daß er ins Zuchthaus hätte kommen können, war ihm von Kindesbeinen an ganz unmöglich vorgekommen, und er war nunmehr in völlige Confusion mit sich und selbst

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0032"/>
wendigkeit des Bösen zu           erkennen; er hat keine Vorstellung davon, daß die Menschheit das, was er gut und           christlich nennt, im Schweiße des Angesichts erringen muß, um sich desselben als           feststehenden Guts zu erfreuen. Er sieht, wenn die widerstreitenden Kräfte gegen einander           lebendig sind, kein Mittel, das Böse, wie er es nennt, zu bezwingen, als durch die Gewalt,           und gerade dieser Zug ist der tiefere Grund, weßhalb die Masse regierungsbedürftig ist.           Was Diejenigen, denen alle Revolution ein Abscheu ist, verdammen, ist sonach gerade die           Eigenschaft der Massen, auf der ihre eigene Herrschaft beruht, und sie werden, da sie den           Pessimismus nur als Ausgeburt des Einzelnen nehmen, zu leicht verführt, das für Geduld des           Volkes zu halten, was nur ein Sammeln im Maße ist, auf daß es voll werde.</p><lb/>
        <p>Eigenthümlich war daher auch die Entwicklung der drei Personen nach ihrer Bildung und           Anlage. Der Schmied, der zwar verheirathet war, aber über die Schmiede nicht verfügen           konnte, da er sie an die ältesten Stiefkinder gegen Altentheil abgeben mußte, hatte, da           ihm und seinen Nachkommen ursprünglich eigentlich Nichts gehörte, wenig Interesse für Land           und Leute. Unter Freiheit verstand er daher wenig Mehr als das Glück, nicht Gensdarmen und           Gerichtsdiener zu sehen. Daß er ins Zuchthaus hätte kommen können, war ihm von           Kindesbeinen an ganz unmöglich vorgekommen, und er war nunmehr in völlige Confusion mit           sich und selbst<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] wendigkeit des Bösen zu erkennen; er hat keine Vorstellung davon, daß die Menschheit das, was er gut und christlich nennt, im Schweiße des Angesichts erringen muß, um sich desselben als feststehenden Guts zu erfreuen. Er sieht, wenn die widerstreitenden Kräfte gegen einander lebendig sind, kein Mittel, das Böse, wie er es nennt, zu bezwingen, als durch die Gewalt, und gerade dieser Zug ist der tiefere Grund, weßhalb die Masse regierungsbedürftig ist. Was Diejenigen, denen alle Revolution ein Abscheu ist, verdammen, ist sonach gerade die Eigenschaft der Massen, auf der ihre eigene Herrschaft beruht, und sie werden, da sie den Pessimismus nur als Ausgeburt des Einzelnen nehmen, zu leicht verführt, das für Geduld des Volkes zu halten, was nur ein Sammeln im Maße ist, auf daß es voll werde. Eigenthümlich war daher auch die Entwicklung der drei Personen nach ihrer Bildung und Anlage. Der Schmied, der zwar verheirathet war, aber über die Schmiede nicht verfügen konnte, da er sie an die ältesten Stiefkinder gegen Altentheil abgeben mußte, hatte, da ihm und seinen Nachkommen ursprünglich eigentlich Nichts gehörte, wenig Interesse für Land und Leute. Unter Freiheit verstand er daher wenig Mehr als das Glück, nicht Gensdarmen und Gerichtsdiener zu sehen. Daß er ins Zuchthaus hätte kommen können, war ihm von Kindesbeinen an ganz unmöglich vorgekommen, und er war nunmehr in völlige Confusion mit sich und selbst

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:10:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/32
Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/32>, abgerufen am 28.03.2024.