Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

als der Sache nach. Denn der Herr Justizrath wohnt in der etwa zwei Meilen weit entfernten Stadt, und so wird die Jagd thatsächlich zumeist vom Schmied und Müller exercirt, die auch einen Kahn im Rohre da versteckt halten, wohin sie allein den Weg zu finden wissen. Daß Beide immer wilde Enten verzehren, versteht sich von selbst, ist im Dorfe bekannt und wird so wenig als widerrechtlich angesehen, wie das Schöpfen aus dem Brunnen und das Athemholen. Da der Justizrath immer nur von einer Seite ins Dorf und zum See gelangen kann, so treiben der Schmied und der Müller ihre Jagd um so mehr in Sicherheit, als der Müller von seiner Windmühle herab wie aus einem "Lug ins Land" die ganze Gegend zu übersehen vermag.

In diesem, man kann sagen, althergebrachten Zustand der Dinge war von keiner Seite eine Störung eingetreten; denn der Justizrath war zu wohlhabend, hatte zu viele Jagden und war auf Wasserjagd, da er die Bequemlichkeit liebte, zu wenig passionirt, als daß er sich hätte veranlaßt finden können, mehr zu thun, als hin und wieder, gleichsam um die Verjährung zu unterbrechen, eine Drohung auszustoßen. Man wußte, daß dies eben nur eine Drohung war, und hütete sich wohl, den Herrn zu reizen, der, wie alle Gewalthaber, die in ihrer Hand intensiv sehr viel, der Räumlichkeit nach aber nur geringe Macht vereinigen, sehr reizbar war. Er hielt sich, wie er selbst sich äußerte, für seelensgut und übte den Despotismus, der in der

als der Sache nach. Denn der Herr Justizrath wohnt in der etwa zwei Meilen weit entfernten Stadt, und so wird die Jagd thatsächlich zumeist vom Schmied und Müller exercirt, die auch einen Kahn im Rohre da versteckt halten, wohin sie allein den Weg zu finden wissen. Daß Beide immer wilde Enten verzehren, versteht sich von selbst, ist im Dorfe bekannt und wird so wenig als widerrechtlich angesehen, wie das Schöpfen aus dem Brunnen und das Athemholen. Da der Justizrath immer nur von einer Seite ins Dorf und zum See gelangen kann, so treiben der Schmied und der Müller ihre Jagd um so mehr in Sicherheit, als der Müller von seiner Windmühle herab wie aus einem „Lug ins Land“ die ganze Gegend zu übersehen vermag.

In diesem, man kann sagen, althergebrachten Zustand der Dinge war von keiner Seite eine Störung eingetreten; denn der Justizrath war zu wohlhabend, hatte zu viele Jagden und war auf Wasserjagd, da er die Bequemlichkeit liebte, zu wenig passionirt, als daß er sich hätte veranlaßt finden können, mehr zu thun, als hin und wieder, gleichsam um die Verjährung zu unterbrechen, eine Drohung auszustoßen. Man wußte, daß dies eben nur eine Drohung war, und hütete sich wohl, den Herrn zu reizen, der, wie alle Gewalthaber, die in ihrer Hand intensiv sehr viel, der Räumlichkeit nach aber nur geringe Macht vereinigen, sehr reizbar war. Er hielt sich, wie er selbst sich äußerte, für seelensgut und übte den Despotismus, der in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0015"/>
als der Sache nach. Denn der Herr Justizrath wohnt in der           etwa zwei Meilen weit entfernten Stadt, und so wird die Jagd thatsächlich zumeist vom           Schmied und Müller exercirt, die auch einen Kahn im Rohre da versteckt halten, wohin sie           allein den Weg zu finden wissen. Daß Beide immer wilde Enten verzehren, versteht sich von           selbst, ist im Dorfe bekannt und wird so wenig als widerrechtlich angesehen, wie das           Schöpfen aus dem Brunnen und das Athemholen. Da der Justizrath immer nur von einer Seite           ins Dorf und zum See gelangen kann, so treiben der Schmied und der Müller ihre Jagd um so           mehr in Sicherheit, als der Müller von seiner Windmühle herab wie aus einem &#x201E;Lug ins Land&#x201C;           die ganze Gegend zu übersehen vermag.</p><lb/>
        <p>In diesem, man kann sagen, althergebrachten Zustand der Dinge war von keiner Seite eine           Störung eingetreten; denn der Justizrath war zu wohlhabend, hatte zu viele Jagden und war           auf Wasserjagd, da er die Bequemlichkeit liebte, zu wenig passionirt, als daß er sich           hätte veranlaßt finden können, mehr zu thun, als hin und wieder, gleichsam um die           Verjährung zu unterbrechen, eine Drohung auszustoßen. Man wußte, daß dies eben nur eine           Drohung war, und hütete sich wohl, den Herrn zu reizen, der, wie alle Gewalthaber, die in           ihrer Hand intensiv sehr viel, der Räumlichkeit nach aber nur geringe Macht vereinigen,           sehr reizbar war. Er hielt sich, wie er selbst sich äußerte, für seelensgut und übte den           Despotismus, der in der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] als der Sache nach. Denn der Herr Justizrath wohnt in der etwa zwei Meilen weit entfernten Stadt, und so wird die Jagd thatsächlich zumeist vom Schmied und Müller exercirt, die auch einen Kahn im Rohre da versteckt halten, wohin sie allein den Weg zu finden wissen. Daß Beide immer wilde Enten verzehren, versteht sich von selbst, ist im Dorfe bekannt und wird so wenig als widerrechtlich angesehen, wie das Schöpfen aus dem Brunnen und das Athemholen. Da der Justizrath immer nur von einer Seite ins Dorf und zum See gelangen kann, so treiben der Schmied und der Müller ihre Jagd um so mehr in Sicherheit, als der Müller von seiner Windmühle herab wie aus einem „Lug ins Land“ die ganze Gegend zu übersehen vermag. In diesem, man kann sagen, althergebrachten Zustand der Dinge war von keiner Seite eine Störung eingetreten; denn der Justizrath war zu wohlhabend, hatte zu viele Jagden und war auf Wasserjagd, da er die Bequemlichkeit liebte, zu wenig passionirt, als daß er sich hätte veranlaßt finden können, mehr zu thun, als hin und wieder, gleichsam um die Verjährung zu unterbrechen, eine Drohung auszustoßen. Man wußte, daß dies eben nur eine Drohung war, und hütete sich wohl, den Herrn zu reizen, der, wie alle Gewalthaber, die in ihrer Hand intensiv sehr viel, der Räumlichkeit nach aber nur geringe Macht vereinigen, sehr reizbar war. Er hielt sich, wie er selbst sich äußerte, für seelensgut und übte den Despotismus, der in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:10:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/15
Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/15>, abgerufen am 25.04.2024.