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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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oder Einkommen, um ihren Frauen und Töchtern das Wahlrecht
sichern zu können. Und wie sieht es mit dem Stimmrecht der un-
verheirateten Arbeiterinnen aus, die für ihre Existenz lediglich auf
ihren Verdienst angewiesen sind? Die Vorkämpfer für das beschränkte
Frauenstimmrecht suchen die Unterstützung der Arbeiterinnen damit
zu ködern, daß sie ihnen vorerzählen, die meisten von ihnen würden
dank der Bestimmungen des sogenannten lodgers' vote (Stimmrecht
selbständiger Mieter bezw. Mieterinnen) wahlberechtigt werden. Wer
sich nur einigermaßen gründlich mit den Löhnen und Lebensbedingungen
der Arbeiterinnen beschäftigt hat, der weiß, daß diese Behauptung
eine Luftspiegelung ist. Das lodgers' vote erhalten nur Personen,
welche allein ein Zimmer bewohnen, das unmöbliert nicht unter
4 Schilling wöchentlich Miete kostet. Die wenigsten Arbeiterinnen aber
haben Löhne, die ihnen ermöglichen, 4 Schilling pro Woche für die leere
Wohnung ausgeben zu können. Margaret Bondfield, eine der an-
gesehendsten englischen Gewerkschaftsführerinnen, verweist mit Recht dar-
auf, daß sogar die gelernten Textilarbeiterinnen von Lancashire, die zu
den wirtschaftlich bestgestellten Arbeiterinnen gehören, kein Zimmer allein
bewohnen, sondern mit einer Schwester oder Freundin zusammen hausen.
Die Schneiderinnen, Teeverpackerinnen, Arbeiterinnen in der Gelee- und
Konservenindustrie und andere Fabrikarbeiterinnen noch sind infolge
ihres niedrigen Verdienstes von 5--9 Schilling wöchentlich erst recht
außerstande, sich durch eine entsprechende Wohnung das Wahlrecht
zu sichern. Ja sogar sehr wenige der weiblichen Privatbeamten, Bureau-
angestellten, Telephonistinnen usw. würden bei dem beschränkten Stimm-
recht wahlberechtigt. Erhebungen, die kürzlich in London vorgenommen
wurden, haben ergeben, daß sie bei Angehörigen oder zu mehreren
beisammen wohnen. Weibliche Dienstboten und Verkäuferinnen kämen
als Wählerinnen kaum in Betracht, weil sie bei den Arbeitgebern in
Kost und Logis sind, und ihre Beschäftigung häufigen Stellenwechsel
mit sich bringt.

Alles in allem: sollte das beschränkte Frauenstimmrecht zur Ein-
führung gelangen, so würde nur ein bescheidener Teil der Prole-
tarierinnen den 17 verschiedenen Vorschriften des englischen legislativen
Wahlgesetzes über Eigentum, Bildungsgrad, Beschäftigung, Wohnung
und Dienst entsprechen und politisch emanzipiert werden können. Ja,
die Zahl der nicht stimmberechtigten Frauen würde sicher im Verhältnis
noch größer sein, als die Zahl der Arbeiter, die infolge der Vorschriften
vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Denn die Arbeiterinnen werden im
allgemeinen von den Kapitalisten noch härter ausgebeutet und schlechter
bezahlt als die Arbeiter. Nach dem Grundsatz des beschränkten Frauen-
stimmrechts sind sie, als ökonomisch schlechter gestellt, auch weniger
befähigt wie die besser gelohnten Arbeiter, den Stimmzettel zu
gebrauchen! Auch in diesem Zuge offenbart sich deutlich, daß für das
beschränkte Frauenstimmrecht in Wirklichkeit nicht das Prinzip der
Gleichberechtigung der Geschlechter ausschlaggebend ist, sondern das
Prinzip von der Macht und Würde des Besitzes und Einkommens.

Dazu muß noch ein Umstand in Berücksichtigung gezogen werden.
Solange das Stimmrecht nicht allen großjährigen Staatsangehörigen
zusteht, vielmehr im Jnteresse der ausbeutenden Klassen an Besitz und
Steuerleistung gebunden bleibt: solange wird es auch Behörden und
Gerichte geben, welche durch künstliche Auslegung der wahlgesetzlichen
Vorschriften viele Proletarier ihres Wahlrechts berauben. Das haben
schon manche englischen Arbeiter, Handelsangestellte usw. erfahren. Jn-

oder Einkommen, um ihren Frauen und Töchtern das Wahlrecht
sichern zu können. Und wie sieht es mit dem Stimmrecht der un-
verheirateten Arbeiterinnen aus, die für ihre Existenz lediglich auf
ihren Verdienst angewiesen sind? Die Vorkämpfer für das beschränkte
Frauenstimmrecht suchen die Unterstützung der Arbeiterinnen damit
zu ködern, daß sie ihnen vorerzählen, die meisten von ihnen würden
dank der Bestimmungen des sogenannten lodgers' vote (Stimmrecht
selbständiger Mieter bezw. Mieterinnen) wahlberechtigt werden. Wer
sich nur einigermaßen gründlich mit den Löhnen und Lebensbedingungen
der Arbeiterinnen beschäftigt hat, der weiß, daß diese Behauptung
eine Luftspiegelung ist. Das lodgers' vote erhalten nur Personen,
welche allein ein Zimmer bewohnen, das unmöbliert nicht unter
4 Schilling wöchentlich Miete kostet. Die wenigsten Arbeiterinnen aber
haben Löhne, die ihnen ermöglichen, 4 Schilling pro Woche für die leere
Wohnung ausgeben zu können. Margaret Bondfield, eine der an-
gesehendsten englischen Gewerkschaftsführerinnen, verweist mit Recht dar-
auf, daß sogar die gelernten Textilarbeiterinnen von Lancashire, die zu
den wirtschaftlich bestgestellten Arbeiterinnen gehören, kein Zimmer allein
bewohnen, sondern mit einer Schwester oder Freundin zusammen hausen.
Die Schneiderinnen, Teeverpackerinnen, Arbeiterinnen in der Gelee- und
Konservenindustrie und andere Fabrikarbeiterinnen noch sind infolge
ihres niedrigen Verdienstes von 5—9 Schilling wöchentlich erst recht
außerstande, sich durch eine entsprechende Wohnung das Wahlrecht
zu sichern. Ja sogar sehr wenige der weiblichen Privatbeamten, Bureau-
angestellten, Telephonistinnen usw. würden bei dem beschränkten Stimm-
recht wahlberechtigt. Erhebungen, die kürzlich in London vorgenommen
wurden, haben ergeben, daß sie bei Angehörigen oder zu mehreren
beisammen wohnen. Weibliche Dienstboten und Verkäuferinnen kämen
als Wählerinnen kaum in Betracht, weil sie bei den Arbeitgebern in
Kost und Logis sind, und ihre Beschäftigung häufigen Stellenwechsel
mit sich bringt.

Alles in allem: sollte das beschränkte Frauenstimmrecht zur Ein-
führung gelangen, so würde nur ein bescheidener Teil der Prole-
tarierinnen den 17 verschiedenen Vorschriften des englischen legislativen
Wahlgesetzes über Eigentum, Bildungsgrad, Beschäftigung, Wohnung
und Dienst entsprechen und politisch emanzipiert werden können. Ja,
die Zahl der nicht stimmberechtigten Frauen würde sicher im Verhältnis
noch größer sein, als die Zahl der Arbeiter, die infolge der Vorschriften
vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Denn die Arbeiterinnen werden im
allgemeinen von den Kapitalisten noch härter ausgebeutet und schlechter
bezahlt als die Arbeiter. Nach dem Grundsatz des beschränkten Frauen-
stimmrechts sind sie, als ökonomisch schlechter gestellt, auch weniger
befähigt wie die besser gelohnten Arbeiter, den Stimmzettel zu
gebrauchen! Auch in diesem Zuge offenbart sich deutlich, daß für das
beschränkte Frauenstimmrecht in Wirklichkeit nicht das Prinzip der
Gleichberechtigung der Geschlechter ausschlaggebend ist, sondern das
Prinzip von der Macht und Würde des Besitzes und Einkommens.

Dazu muß noch ein Umstand in Berücksichtigung gezogen werden.
Solange das Stimmrecht nicht allen großjährigen Staatsangehörigen
zusteht, vielmehr im Jnteresse der ausbeutenden Klassen an Besitz und
Steuerleistung gebunden bleibt: solange wird es auch Behörden und
Gerichte geben, welche durch künstliche Auslegung der wahlgesetzlichen
Vorschriften viele Proletarier ihres Wahlrechts berauben. Das haben
schon manche englischen Arbeiter, Handelsangestellte usw. erfahren. Jn-

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[31/0041] oder Einkommen, um ihren Frauen und Töchtern das Wahlrecht sichern zu können. Und wie sieht es mit dem Stimmrecht der un- verheirateten Arbeiterinnen aus, die für ihre Existenz lediglich auf ihren Verdienst angewiesen sind? Die Vorkämpfer für das beschränkte Frauenstimmrecht suchen die Unterstützung der Arbeiterinnen damit zu ködern, daß sie ihnen vorerzählen, die meisten von ihnen würden dank der Bestimmungen des sogenannten lodgers' vote (Stimmrecht selbständiger Mieter bezw. Mieterinnen) wahlberechtigt werden. Wer sich nur einigermaßen gründlich mit den Löhnen und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen beschäftigt hat, der weiß, daß diese Behauptung eine Luftspiegelung ist. Das lodgers' vote erhalten nur Personen, welche allein ein Zimmer bewohnen, das unmöbliert nicht unter 4 Schilling wöchentlich Miete kostet. Die wenigsten Arbeiterinnen aber haben Löhne, die ihnen ermöglichen, 4 Schilling pro Woche für die leere Wohnung ausgeben zu können. Margaret Bondfield, eine der an- gesehendsten englischen Gewerkschaftsführerinnen, verweist mit Recht dar- auf, daß sogar die gelernten Textilarbeiterinnen von Lancashire, die zu den wirtschaftlich bestgestellten Arbeiterinnen gehören, kein Zimmer allein bewohnen, sondern mit einer Schwester oder Freundin zusammen hausen. Die Schneiderinnen, Teeverpackerinnen, Arbeiterinnen in der Gelee- und Konservenindustrie und andere Fabrikarbeiterinnen noch sind infolge ihres niedrigen Verdienstes von 5—9 Schilling wöchentlich erst recht außerstande, sich durch eine entsprechende Wohnung das Wahlrecht zu sichern. Ja sogar sehr wenige der weiblichen Privatbeamten, Bureau- angestellten, Telephonistinnen usw. würden bei dem beschränkten Stimm- recht wahlberechtigt. Erhebungen, die kürzlich in London vorgenommen wurden, haben ergeben, daß sie bei Angehörigen oder zu mehreren beisammen wohnen. Weibliche Dienstboten und Verkäuferinnen kämen als Wählerinnen kaum in Betracht, weil sie bei den Arbeitgebern in Kost und Logis sind, und ihre Beschäftigung häufigen Stellenwechsel mit sich bringt. Alles in allem: sollte das beschränkte Frauenstimmrecht zur Ein- führung gelangen, so würde nur ein bescheidener Teil der Prole- tarierinnen den 17 verschiedenen Vorschriften des englischen legislativen Wahlgesetzes über Eigentum, Bildungsgrad, Beschäftigung, Wohnung und Dienst entsprechen und politisch emanzipiert werden können. Ja, die Zahl der nicht stimmberechtigten Frauen würde sicher im Verhältnis noch größer sein, als die Zahl der Arbeiter, die infolge der Vorschriften vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Denn die Arbeiterinnen werden im allgemeinen von den Kapitalisten noch härter ausgebeutet und schlechter bezahlt als die Arbeiter. Nach dem Grundsatz des beschränkten Frauen- stimmrechts sind sie, als ökonomisch schlechter gestellt, auch weniger befähigt wie die besser gelohnten Arbeiter, den Stimmzettel zu gebrauchen! Auch in diesem Zuge offenbart sich deutlich, daß für das beschränkte Frauenstimmrecht in Wirklichkeit nicht das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter ausschlaggebend ist, sondern das Prinzip von der Macht und Würde des Besitzes und Einkommens. Dazu muß noch ein Umstand in Berücksichtigung gezogen werden. Solange das Stimmrecht nicht allen großjährigen Staatsangehörigen zusteht, vielmehr im Jnteresse der ausbeutenden Klassen an Besitz und Steuerleistung gebunden bleibt: solange wird es auch Behörden und Gerichte geben, welche durch künstliche Auslegung der wahlgesetzlichen Vorschriften viele Proletarier ihres Wahlrechts berauben. Das haben schon manche englischen Arbeiter, Handelsangestellte usw. erfahren. Jn-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/41>, abgerufen am 22.11.2024.