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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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die Arbeiterkandidaten einstellen, um ihre ganze Kraft auf ein "Wahl-
recht für Ziegelsteine und Zement" zu konzentrieren; Genossinnen, die
vom Schlachtfelde des Klassenkampfes desertieren, um einen Kampf
der Geschlechter auszufechten, der in der Hauptsache für die besitzenden
Klassen von Bedeutung ist: die sprechen sich selbst das Urteil. Die
Konfusion ihrer Auffassung wird zum Verrat des Parteiinteresses.

Die englischen Genossinnen und Genossen, welche mit die hervor-
ragendsten Kämpfer für das beschränkte Frauenstimmrecht sind, und
fast ausnahmslos der "Unabhängigen Arbeiterpartei" angehören, suchen
ihre Haltung durch allerlei Argumente zu rechtfertigen. Das beschränkte
Frauenstimmrecht, so behaupten sie, sei gar nicht so beschränkt, wie
es aussehe. Es sei so weitherzig, daß es die meisten Proletarierinnen,
daß es auf alle Fälle mehr Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen als
bürgerliche Damen stimmberechtigt machen würde. Die Behauptung
soll durch Berechnungen erhärtet werden, welche sich teils auf die Wähler-
listen zu den Gemeindewahlen stützen, teils auf eine Umfrage, die in
Nelson von Haus zu Haus unternommen worden ist. Das eine wie
das andere angezogene Beweismaterial ist aber brüchig. Von den
verschiedensten Seiten ist festgestellt worden, daß die kommunalen
Wählerlisten kein vertrauenswürdiger Maßstab für die Zahl der Frauen
sind, welche bei einem beschränkten Stimmrecht wahlberechtigt würden.
Jm Flugblatt Nr. 2 der "Adult Suffrage Society" (Verein zur Er-
ringung des Wahlrechts für alle Großjährigen) heißt es daher zum
Beispiel: "Was die munizipalen Wählerlisten anbelangt, so sind
sie ein sehr unzulänglicher Führer, da es ohne genaue und
persönliche Kenntnis der Wählerschaft unmöglich ist zu sagen, wieviel
mehr Frauen berechtigt sein würden, in die parlamentarischen Wähler-
listen eingetragen zu werden." Und was die Umfrage von Haus zu
Haus anbetrifft, so ist ihr Wert sicher noch geringer. Umfragen, welche
in Zweigvereinen der Frauengenossenschaft "The Womens' Guild" vor-
genommen worden sind, haben gezeigt, daß die meisten Frauen erwarten,
das Wahlrecht zu erhalten, weil ihr Mann gegenwärtig wahlberechtigt
ist, denn das ist die Auslegung, die sie dem Satze geben: "wie es
den Männern verliehen ist". Wenn solche Unklarheit über die Wir-
kungen des beschränkten Frauenstimmrechts sogar bei den aufgeklärten
Arbeiterfrauen herrscht, welche der Womens' Guild angehören, so können
die persönlichen Aussagen über den künftigen Besitz des Wahlrechts
keine Beweiskraft für den tatsächlichen Umfang der eintretenden
politischen Emanzipation beanspruchen. Ein Verbandsbeamter der
organisierten Weber erklärte ausdrücklich, er wisse genau, daß sehr viele
Frauen in dieser Beziehung in einem Jrrtum befangen seien, und daß
"ein schmerzliches Erwachen" folgen würde, wenn der Antrag für das
beschränkte Frauenstimmrecht zur Annahme gelangte.

Tatsächlich beruhen die meisten persönlichen Aussagen der Frauen
über ihre künftige Wahlberechtigung auf Vermutungen und Hoffnungen.
Die wenigsten Frauen und Töchter der Arbeiter befinden sich in der Lage,
um aus eigener Kraft den Bestimmungen des beschränkten legislativen
Wahlrechts genügen zu können. Diese Frauen besitzen weder eigenes
Vermögen, noch haben sie durch Universitätsbildung bestimmte Titel
erlangt; nur wenige von ihnen sind eigenberechtigte Haushaltungs-
vorstände, selbständige Mieterinnen von Geschäftslokalen, die mindestens
10 Pfund Zins kosten, oder stehen in einem Dienstverhältnis, das
ihnen eine eigene Wohnung als Teil ihres Lohnes sichert. Die meisten
verheirateten Arbeiter ihrerseits besitzen auch nicht so viel Vermögen

die Arbeiterkandidaten einstellen, um ihre ganze Kraft auf ein „Wahl-
recht für Ziegelsteine und Zement‟ zu konzentrieren; Genossinnen, die
vom Schlachtfelde des Klassenkampfes desertieren, um einen Kampf
der Geschlechter auszufechten, der in der Hauptsache für die besitzenden
Klassen von Bedeutung ist: die sprechen sich selbst das Urteil. Die
Konfusion ihrer Auffassung wird zum Verrat des Parteiinteresses.

Die englischen Genossinnen und Genossen, welche mit die hervor-
ragendsten Kämpfer für das beschränkte Frauenstimmrecht sind, und
fast ausnahmslos der „Unabhängigen Arbeiterpartei‟ angehören, suchen
ihre Haltung durch allerlei Argumente zu rechtfertigen. Das beschränkte
Frauenstimmrecht, so behaupten sie, sei gar nicht so beschränkt, wie
es aussehe. Es sei so weitherzig, daß es die meisten Proletarierinnen,
daß es auf alle Fälle mehr Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen als
bürgerliche Damen stimmberechtigt machen würde. Die Behauptung
soll durch Berechnungen erhärtet werden, welche sich teils auf die Wähler-
listen zu den Gemeindewahlen stützen, teils auf eine Umfrage, die in
Nelson von Haus zu Haus unternommen worden ist. Das eine wie
das andere angezogene Beweismaterial ist aber brüchig. Von den
verschiedensten Seiten ist festgestellt worden, daß die kommunalen
Wählerlisten kein vertrauenswürdiger Maßstab für die Zahl der Frauen
sind, welche bei einem beschränkten Stimmrecht wahlberechtigt würden.
Jm Flugblatt Nr. 2 der „Adult Suffrage Society‟ (Verein zur Er-
ringung des Wahlrechts für alle Großjährigen) heißt es daher zum
Beispiel: „Was die munizipalen Wählerlisten anbelangt, so sind
sie ein sehr unzulänglicher Führer, da es ohne genaue und
persönliche Kenntnis der Wählerschaft unmöglich ist zu sagen, wieviel
mehr Frauen berechtigt sein würden, in die parlamentarischen Wähler-
listen eingetragen zu werden.‟ Und was die Umfrage von Haus zu
Haus anbetrifft, so ist ihr Wert sicher noch geringer. Umfragen, welche
in Zweigvereinen der Frauengenossenschaft „The Womens' Guild‟ vor-
genommen worden sind, haben gezeigt, daß die meisten Frauen erwarten,
das Wahlrecht zu erhalten, weil ihr Mann gegenwärtig wahlberechtigt
ist, denn das ist die Auslegung, die sie dem Satze geben: „wie es
den Männern verliehen ist‟. Wenn solche Unklarheit über die Wir-
kungen des beschränkten Frauenstimmrechts sogar bei den aufgeklärten
Arbeiterfrauen herrscht, welche der Womens' Guild angehören, so können
die persönlichen Aussagen über den künftigen Besitz des Wahlrechts
keine Beweiskraft für den tatsächlichen Umfang der eintretenden
politischen Emanzipation beanspruchen. Ein Verbandsbeamter der
organisierten Weber erklärte ausdrücklich, er wisse genau, daß sehr viele
Frauen in dieser Beziehung in einem Jrrtum befangen seien, und daß
„ein schmerzliches Erwachen‟ folgen würde, wenn der Antrag für das
beschränkte Frauenstimmrecht zur Annahme gelangte.

Tatsächlich beruhen die meisten persönlichen Aussagen der Frauen
über ihre künftige Wahlberechtigung auf Vermutungen und Hoffnungen.
Die wenigsten Frauen und Töchter der Arbeiter befinden sich in der Lage,
um aus eigener Kraft den Bestimmungen des beschränkten legislativen
Wahlrechts genügen zu können. Diese Frauen besitzen weder eigenes
Vermögen, noch haben sie durch Universitätsbildung bestimmte Titel
erlangt; nur wenige von ihnen sind eigenberechtigte Haushaltungs-
vorstände, selbständige Mieterinnen von Geschäftslokalen, die mindestens
10 Pfund Zins kosten, oder stehen in einem Dienstverhältnis, das
ihnen eine eigene Wohnung als Teil ihres Lohnes sichert. Die meisten
verheirateten Arbeiter ihrerseits besitzen auch nicht so viel Vermögen

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[30/0040] die Arbeiterkandidaten einstellen, um ihre ganze Kraft auf ein „Wahl- recht für Ziegelsteine und Zement‟ zu konzentrieren; Genossinnen, die vom Schlachtfelde des Klassenkampfes desertieren, um einen Kampf der Geschlechter auszufechten, der in der Hauptsache für die besitzenden Klassen von Bedeutung ist: die sprechen sich selbst das Urteil. Die Konfusion ihrer Auffassung wird zum Verrat des Parteiinteresses. Die englischen Genossinnen und Genossen, welche mit die hervor- ragendsten Kämpfer für das beschränkte Frauenstimmrecht sind, und fast ausnahmslos der „Unabhängigen Arbeiterpartei‟ angehören, suchen ihre Haltung durch allerlei Argumente zu rechtfertigen. Das beschränkte Frauenstimmrecht, so behaupten sie, sei gar nicht so beschränkt, wie es aussehe. Es sei so weitherzig, daß es die meisten Proletarierinnen, daß es auf alle Fälle mehr Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen als bürgerliche Damen stimmberechtigt machen würde. Die Behauptung soll durch Berechnungen erhärtet werden, welche sich teils auf die Wähler- listen zu den Gemeindewahlen stützen, teils auf eine Umfrage, die in Nelson von Haus zu Haus unternommen worden ist. Das eine wie das andere angezogene Beweismaterial ist aber brüchig. Von den verschiedensten Seiten ist festgestellt worden, daß die kommunalen Wählerlisten kein vertrauenswürdiger Maßstab für die Zahl der Frauen sind, welche bei einem beschränkten Stimmrecht wahlberechtigt würden. Jm Flugblatt Nr. 2 der „Adult Suffrage Society‟ (Verein zur Er- ringung des Wahlrechts für alle Großjährigen) heißt es daher zum Beispiel: „Was die munizipalen Wählerlisten anbelangt, so sind sie ein sehr unzulänglicher Führer, da es ohne genaue und persönliche Kenntnis der Wählerschaft unmöglich ist zu sagen, wieviel mehr Frauen berechtigt sein würden, in die parlamentarischen Wähler- listen eingetragen zu werden.‟ Und was die Umfrage von Haus zu Haus anbetrifft, so ist ihr Wert sicher noch geringer. Umfragen, welche in Zweigvereinen der Frauengenossenschaft „The Womens' Guild‟ vor- genommen worden sind, haben gezeigt, daß die meisten Frauen erwarten, das Wahlrecht zu erhalten, weil ihr Mann gegenwärtig wahlberechtigt ist, denn das ist die Auslegung, die sie dem Satze geben: „wie es den Männern verliehen ist‟. Wenn solche Unklarheit über die Wir- kungen des beschränkten Frauenstimmrechts sogar bei den aufgeklärten Arbeiterfrauen herrscht, welche der Womens' Guild angehören, so können die persönlichen Aussagen über den künftigen Besitz des Wahlrechts keine Beweiskraft für den tatsächlichen Umfang der eintretenden politischen Emanzipation beanspruchen. Ein Verbandsbeamter der organisierten Weber erklärte ausdrücklich, er wisse genau, daß sehr viele Frauen in dieser Beziehung in einem Jrrtum befangen seien, und daß „ein schmerzliches Erwachen‟ folgen würde, wenn der Antrag für das beschränkte Frauenstimmrecht zur Annahme gelangte. Tatsächlich beruhen die meisten persönlichen Aussagen der Frauen über ihre künftige Wahlberechtigung auf Vermutungen und Hoffnungen. Die wenigsten Frauen und Töchter der Arbeiter befinden sich in der Lage, um aus eigener Kraft den Bestimmungen des beschränkten legislativen Wahlrechts genügen zu können. Diese Frauen besitzen weder eigenes Vermögen, noch haben sie durch Universitätsbildung bestimmte Titel erlangt; nur wenige von ihnen sind eigenberechtigte Haushaltungs- vorstände, selbständige Mieterinnen von Geschäftslokalen, die mindestens 10 Pfund Zins kosten, oder stehen in einem Dienstverhältnis, das ihnen eine eigene Wohnung als Teil ihres Lohnes sichert. Die meisten verheirateten Arbeiter ihrerseits besitzen auch nicht so viel Vermögen

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/40>, abgerufen am 22.11.2024.