Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.erstes Buch. allen andern damahligen Menschen mit so wunderwür-diger schönheit beseeliget gewesen; davon wollen wir der Arabischen/ Persischen/ und Kaldeischen Weisemeister urteil vernehmen. Diese bezeugen/ daß des Josefs Uhranherr oder übervorgroßvater Tahre ein fürtref- licher Bildhauer/ und zugleich ein Verpfleger der Gö- tzenheuser des Nimrots gewesen: welcher seinen bil- dern eine so überaus schöne gestalt geben können/ daß sich viele/ die sie gesehen/ straks im ersten anblikke dar- ein verliebet. Weil nun Abrahams Mutter solche so künstlichschön ausgearbeiteten bilder fort und fort angesehen/ und ihr derselben schönheit dermaßen tief eingebildet/ daß alle ihre Kinder ihnen gantz ähnlich ge- worden; so habe sie solche schönheit ihren nachkommen bis in das vierde Glied gleichsam erblich und eigen ge- macht. Und durch diese erbeigenschaft hetten sie sämt- lich eine solche wunderschönheit gewonnen: wiewohl sie an der Lea etlicher maßen verdorben worden. Unter allen aber were Josef/ Jakobs sohn/ als das höchste Meisterstükke der schönheit/ der allerschöneste/ ja so un- aussprechlich schön gewesen/ daß er dadurch die höchste schönheit der Engel selbsten übertroffen. Im übrigen stehen auch viel Geschichtschreiber und andere in der meinung: daß Labans Götzenbilder/ die ihm Rahel/ ohne zweiffel ihrer fürtreflichen schönheit wegen/ ent- führet/ und Jakob nach der zeit zu Sichem unter ei- ner eiche begraben/ ein sonderliches kunststükke des Tahre/ und die meiste ursache der schönen gestalt so wohl des Josefs/ als der Rahel/ gewesen; weil bei- de Mütter/ der Rahel und des Josefs/ sie ohn unter- laß vor augen gehabt/ und ihre schöne gestalt einen so tieffen und festen eindruk in ihre einbildung getahn/ daß ihre Kinder denselben gantz ähnlich geworden. Und also schien es/ daß die Zeugemutter aller dinge son- A iiij
erſtes Buch. allen andern damahligen Menſchen mit ſo wunderwuͤr-diger ſchoͤnheit beſeeliget geweſen; davon wollen wir der Arabiſchen/ Perſiſchen/ und Kaldeiſchen Weiſemeiſter urteil vernehmen. Dieſe bezeugen/ daß des Joſefs Uhranherꝛ oder uͤbervorgroßvater Tahre ein fuͤrtref- licher Bildhauer/ und zugleich ein Verpfleger der Goͤ- tzenheuſer des Nimrots geweſen: welcher ſeinen bil- dern eine ſo uͤberaus ſchoͤne geſtalt geben koͤnnen/ daß ſich viele/ die ſie geſehen/ ſtraks im erſten anblikke dar- ein verliebet. Weil nun Abrahams Mutter ſolche ſo kuͤnſtlichſchoͤn ausgearbeiteten bilder fort und fort angeſehen/ und ihr derſelben ſchoͤnheit dermaßen tief eingebildet/ daß alle ihre Kinder ihnen gantz aͤhnlich ge- worden; ſo habe ſie ſolche ſchoͤnheit ihren nachkommen bis in das vierde Glied gleichſam erblich und eigen ge- macht. Und durch dieſe erbeigenſchaft hetten ſie ſaͤmt- lich eine ſolche wunderſchoͤnheit gewonnen: wiewohl ſie an der Lea etlicher maßen verdorben worden. Unter allen aber were Joſef/ Jakobs ſohn/ als das hoͤchſte Meiſterſtuͤkke der ſchoͤnheit/ der allerſchoͤneſte/ ja ſo un- ausſprechlich ſchoͤn geweſen/ daß er dadurch die hoͤchſte ſchoͤnheit der Engel ſelbſten uͤbertroffen. Im uͤbrigen ſtehen auch viel Geſchichtſchreiber und andere in der meinung: daß Labans Goͤtzenbilder/ die ihm Rahel/ ohne zweiffel ihrer fuͤrtreflichen ſchoͤnheit wegen/ ent- fuͤhret/ und Jakob nach der zeit zu Sichem unter ei- ner eiche begraben/ ein ſonderliches kunſtſtuͤkke des Tahre/ und die meiſte urſache der ſchoͤnen geſtalt ſo wohl des Joſefs/ als der Rahel/ geweſen; weil bei- de Muͤtter/ der Rahel und des Joſefs/ ſie ohn unter- laß vor augen gehabt/ und ihre ſchoͤne geſtalt einen ſo tieffen und feſten eindruk in ihre einbildung getahn/ daß ihre Kinder denſelben gantz aͤhnlich geworden. Und alſo ſchien es/ daß die Zeugemutter aller dinge ſon- A iiij
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erſtes Buch.
allen andern damahligen Menſchen mit ſo wunderwuͤr-
diger ſchoͤnheit beſeeliget geweſen; davon wollen wir der
Arabiſchen/ Perſiſchen/ und Kaldeiſchen Weiſemeiſter
urteil vernehmen. Dieſe bezeugen/ daß des Joſefs
Uhranherꝛ oder uͤbervorgroßvater Tahre ein fuͤrtref-
licher Bildhauer/ und zugleich ein Verpfleger der Goͤ-
tzenheuſer des Nimrots geweſen: welcher ſeinen bil-
dern eine ſo uͤberaus ſchoͤne geſtalt geben koͤnnen/ daß
ſich viele/ die ſie geſehen/ ſtraks im erſten anblikke dar-
ein verliebet. Weil nun Abrahams Mutter ſolche
ſo kuͤnſtlichſchoͤn ausgearbeiteten bilder fort und fort
angeſehen/ und ihr derſelben ſchoͤnheit dermaßen tief
eingebildet/ daß alle ihre Kinder ihnen gantz aͤhnlich ge-
worden; ſo habe ſie ſolche ſchoͤnheit ihren nachkommen
bis in das vierde Glied gleichſam erblich und eigen ge-
macht. Und durch dieſe erbeigenſchaft hetten ſie ſaͤmt-
lich eine ſolche wunderſchoͤnheit gewonnen: wiewohl ſie
an der Lea etlicher maßen verdorben worden. Unter
allen aber were Joſef/ Jakobs ſohn/ als das hoͤchſte
Meiſterſtuͤkke der ſchoͤnheit/ der allerſchoͤneſte/ ja ſo un-
ausſprechlich ſchoͤn geweſen/ daß er dadurch die hoͤchſte
ſchoͤnheit der Engel ſelbſten uͤbertroffen. Im uͤbrigen
ſtehen auch viel Geſchichtſchreiber und andere in der
meinung: daß Labans Goͤtzenbilder/ die ihm Rahel/
ohne zweiffel ihrer fuͤrtreflichen ſchoͤnheit wegen/ ent-
fuͤhret/ und Jakob nach der zeit zu Sichem unter ei-
ner eiche begraben/ ein ſonderliches kunſtſtuͤkke des
Tahre/ und die meiſte urſache der ſchoͤnen geſtalt ſo
wohl des Joſefs/ als der Rahel/ geweſen; weil bei-
de Muͤtter/ der Rahel und des Joſefs/ ſie ohn unter-
laß vor augen gehabt/ und ihre ſchoͤne geſtalt einen ſo
tieffen und feſten eindruk in ihre einbildung getahn/
daß ihre Kinder denſelben gantz aͤhnlich geworden.
Und alſo ſchien es/ daß die Zeugemutter aller dinge
nicht allein alle ausbuͤndigſte ſchoͤnheiten der Mutter/
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Zitationshilfe: | Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/31>, abgerufen am 27.07.2024. |