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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
Da geboht ihr der Vater/ und sagte: Meine Tochter/
grüße deinen Bruder/ der alle fremde Frauen hasset/
gleichwie du alle Männer. Und Assenat neugte sich
mit sehr zierlichen und schaamhaftigen gebährden/ und
sprach: Gegrüßet sei der Geseegnete des allerhöchsten
Gottes. Darauf antwortete Josef/ und sagte: Gott/
der alle dinge lebendig machet/ seegene Sie. Und Po-
tifar
befahl seiner Tochter ferner/ daß sie den Josef
küssen solte. Aber als sie sich solches zu tuhn näherte;
da strekte Josef seine hand aus/ berührete ihre brust/
und sagte: Demselben/ der dem lebendigen Gotte die-
net/ und isset das broht des lebens/ und trinket den
trank der unsterbligkeit/ geziemet nicht/ daß er eine
fremde mit seinem munde berühre. Es geziemet ihm
nicht den mund einer solchen zu küssen/ welche die stum-
men und gehöhrlosen Abgötter küsset/ und isset der
Götzen broht/ und trinket/ aus den bächern der Abgöt-
terei/ den trank des todes und der fünsternüs/ und
schmieret sich mit öhle der unreinigkeit.

Als nun Assenat Josefs reden hörete/ und sich
gleichsam verschmähet sahe; da ward sie von hertzen be-
trübt. Sie weinete bitterlich. Die trähnen schossen/
als zwee schmertzenströhme/ mildiglich aus den augen.
Ja es fehlete wenig/ daß sie/ vor übermäßigen schmer-
tzen/ nicht gar in ohnmacht niedersunk. Josef hatte
zwar nicht gern mit dem Frauenzimmer zu tuhn.
Kaum gönnete er ihnen/ daß sie ihn ansehen mochten.
Er befahrete sich stähts/ daß dadurch der spiegel seiner
keuschheit verdunkelt würde. Ja noch weniger lies er zu/
daß sie ihn anrühreten. Daß eine Fraue den Einwoh-
ner des Paradieses aus seiner herligkeit gestoßen/ lag
ihm stähts im sinne. Darüm flohe er den ümgang mit
Weibesbildern/ als eine anstekkende seuche. Gleichwohl
bewegte ihn Assenat zum mitleiden. Ihr betrübtes/
doch zugleich allerholdseeligstes und schaamhaftiges

we-

Der Aſſenat
Da geboht ihr der Vater/ und ſagte: Meine Tochter/
gruͤße deinen Bruder/ der alle fremde Frauen haſſet/
gleichwie du alle Maͤnner. Und Aſſenat neugte ſich
mit ſehr zierlichen und ſchaamhaftigen gebaͤhrden/ und
ſprach: Gegruͤßet ſei der Geſeegnete des allerhoͤchſten
Gottes. Darauf antwortete Joſef/ und ſagte: Gott/
der alle dinge lebendig machet/ ſeegene Sie. Und Po-
tifar
befahl ſeiner Tochter ferner/ daß ſie den Joſef
kuͤſſen ſolte. Aber als ſie ſich ſolches zu tuhn naͤherte;
da ſtrekte Joſef ſeine hand aus/ beruͤhrete ihre bruſt/
und ſagte: Demſelben/ der dem lebendigen Gotte die-
net/ und iſſet das broht des lebens/ und trinket den
trank der unſterbligkeit/ geziemet nicht/ daß er eine
fremde mit ſeinem munde beruͤhre. Es geziemet ihm
nicht den mund einer ſolchen zu kuͤſſen/ welche die ſtum-
men und gehoͤhrloſen Abgoͤtter kuͤſſet/ und iſſet der
Goͤtzen broht/ und trinket/ aus den baͤchern der Abgoͤt-
terei/ den trank des todes und der fuͤnſternuͤs/ und
ſchmieret ſich mit oͤhle der unreinigkeit.

Als nun Aſſenat Joſefs reden hoͤrete/ und ſich
gleichſam verſchmaͤhet ſahe; da ward ſie von hertzen be-
truͤbt. Sie weinete bitterlich. Die traͤhnen ſchoſſen/
als zwee ſchmertzenſtroͤhme/ mildiglich aus den augen.
Ja es fehlete wenig/ daß ſie/ vor uͤbermaͤßigen ſchmer-
tzen/ nicht gar in ohnmacht niederſunk. Joſef hatte
zwar nicht gern mit dem Frauenzimmer zu tuhn.
Kaum goͤnnete er ihnen/ daß ſie ihn anſehen mochten.
Er befahrete ſich ſtaͤhts/ daß dadurch der ſpiegel ſeiner
keuſchheit verdunkelt wuͤrde. Ja noch weniger lies er zu/
daß ſie ihn anruͤhreten. Daß eine Fraue den Einwoh-
ner des Paradieſes aus ſeiner herligkeit geſtoßen/ lag
ihm ſtaͤhts im ſinne. Daruͤm flohe er den uͤmgang mit
Weibesbildern/ als eine anſtekkende ſeuche. Gleichwohl
bewegte ihn Aſſenat zum mitleiden. Ihr betruͤbtes/
doch zugleich allerholdſeeligſtes und ſchaamhaftiges

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[206/0230] Der Aſſenat Da geboht ihr der Vater/ und ſagte: Meine Tochter/ gruͤße deinen Bruder/ der alle fremde Frauen haſſet/ gleichwie du alle Maͤnner. Und Aſſenat neugte ſich mit ſehr zierlichen und ſchaamhaftigen gebaͤhrden/ und ſprach: Gegruͤßet ſei der Geſeegnete des allerhoͤchſten Gottes. Darauf antwortete Joſef/ und ſagte: Gott/ der alle dinge lebendig machet/ ſeegene Sie. Und Po- tifar befahl ſeiner Tochter ferner/ daß ſie den Joſef kuͤſſen ſolte. Aber als ſie ſich ſolches zu tuhn naͤherte; da ſtrekte Joſef ſeine hand aus/ beruͤhrete ihre bruſt/ und ſagte: Demſelben/ der dem lebendigen Gotte die- net/ und iſſet das broht des lebens/ und trinket den trank der unſterbligkeit/ geziemet nicht/ daß er eine fremde mit ſeinem munde beruͤhre. Es geziemet ihm nicht den mund einer ſolchen zu kuͤſſen/ welche die ſtum- men und gehoͤhrloſen Abgoͤtter kuͤſſet/ und iſſet der Goͤtzen broht/ und trinket/ aus den baͤchern der Abgoͤt- terei/ den trank des todes und der fuͤnſternuͤs/ und ſchmieret ſich mit oͤhle der unreinigkeit. Als nun Aſſenat Joſefs reden hoͤrete/ und ſich gleichſam verſchmaͤhet ſahe; da ward ſie von hertzen be- truͤbt. Sie weinete bitterlich. Die traͤhnen ſchoſſen/ als zwee ſchmertzenſtroͤhme/ mildiglich aus den augen. Ja es fehlete wenig/ daß ſie/ vor uͤbermaͤßigen ſchmer- tzen/ nicht gar in ohnmacht niederſunk. Joſef hatte zwar nicht gern mit dem Frauenzimmer zu tuhn. Kaum goͤnnete er ihnen/ daß ſie ihn anſehen mochten. Er befahrete ſich ſtaͤhts/ daß dadurch der ſpiegel ſeiner keuſchheit verdunkelt wuͤrde. Ja noch weniger lies er zu/ daß ſie ihn anruͤhreten. Daß eine Fraue den Einwoh- ner des Paradieſes aus ſeiner herligkeit geſtoßen/ lag ihm ſtaͤhts im ſinne. Daruͤm flohe er den uͤmgang mit Weibesbildern/ als eine anſtekkende ſeuche. Gleichwohl bewegte ihn Aſſenat zum mitleiden. Ihr betruͤbtes/ doch zugleich allerholdſeeligſtes und ſchaamhaftiges we-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/230>, abgerufen am 28.04.2024.