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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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drittes Buch.

Welcher Mensch hette wohl diese so lieblich entblöß-
te schönheit/ ohne verzükkung/ anschauen können?
Welcher mensch/ der diese so schönen augen/ diese so
blühenden wangen/ diesen so lieblichen rosenmund/ ja
dieses so zierlich gebildete angesicht ansehen sollen/ hette
wohl unbewegt und unverliebt bleiben können? Ja
wen hette so ein schöner und noch darzu so schön ausge-
schmükter und in lauter wohllust entblößter leib nicht
zur höchsten liebe bewegen sollen? Man kan ihm leicht-
lich einbilden/ daß Josef/ bei diesem anblikke/ nicht un-
angefochten geblieben. Er war noch in seiner besten ju-
gend. Sein sechs- und zwanzigstes jahr war kaum zum
ende. Er bestund eben/ als andere menschen/ aus fleisch
und bluhte. Er hatte eben die gemühtsbewegungen/ als
andere. Aber gleichwohl schien er mehr ein meister über
seine jugend/ über sein fleisch und bluht/ ja über alle seine
gemühtstriften und begierden zu sein/ als sonst alle sterb-
lichen. Und ob er schon/ aus schuldiger ehrerbietigkeit/ die
augen von seiner Fürstin nicht ab/ noch ihr den rükken
zu-kehren durfte; so blieb er gleichwohl/ allen liebes-an-
lokkungen/ allen bewegungen seines hertzens/ ja dem
fleisch und bluhte zu trotz/ in seiner tugend beständig.

Eine guhte stunde hatte Josef alhier die anstür-
menden flammen der liebe vertragen. Es schien gefähr-
lich zu sein den streit länger zu wagen. Sein verstand
riet ihm zur flucht. Er trug sorge vor seine keuscheit.
Er befahrte sich/ daß der feind von aussen endlich mit
voller gewalt in sein hertz dringen/ und alda seine eigene
untertahnen/ seine feinde zu werden/ aufwügeln möch-
te. Diese/ fürchtete er/ möchten alsdan von innen hefti-
ger stürmen/ als der feind von aussen; ja ihn endlich
wohl gar überwältigen. Darüm wolte er diesen so hef-
tigen einheimischen krieg nicht erwarten. Er wolte flie-
hen/ ehe dieser selbstreit ihn gäntzlich zu boden würfe.
Und also erkühnte er sich seinen abtrit zu nehmen/ mit

vor-
J iiij
drittes Buch.

Welcher Menſch hette wohl dieſe ſo lieblich entbloͤß-
te ſchoͤnheit/ ohne verzuͤkkung/ anſchauen koͤnnen?
Welcher menſch/ der dieſe ſo ſchoͤnen augen/ dieſe ſo
bluͤhenden wangen/ dieſen ſo lieblichen roſenmund/ ja
dieſes ſo zierlich gebildete angeſicht anſehen ſollen/ hette
wohl unbewegt und unverliebt bleiben koͤnnen? Ja
wen hette ſo ein ſchoͤner und noch darzu ſo ſchoͤn ausge-
ſchmuͤkter und in lauter wohlluſt entbloͤßter leib nicht
zur hoͤchſten liebe bewegen ſollen? Man kan ihm leicht-
lich einbilden/ daß Joſef/ bei dieſem anblikke/ nicht un-
angefochten geblieben. Er war noch in ſeiner beſten ju-
gend. Sein ſechs- und zwanzigſtes jahr war kaum zum
ende. Er beſtund eben/ als andere menſchen/ aus fleiſch
und bluhte. Er hatte eben die gemuͤhtsbewegungen/ als
andere. Aber gleichwohl ſchien er mehr ein meiſter uͤber
ſeine jugend/ uͤber ſein fleiſch und bluht/ ja uͤber alle ſeine
gemuͤhtstriften und begierden zu ſein/ als ſonſt alle ſterb-
lichen. Und ob er ſchon/ aus ſchuldiger ehrerbietigkeit/ die
augen von ſeiner Fuͤrſtin nicht ab/ noch ihr den ruͤkken
zu-kehren durfte; ſo blieb er gleichwohl/ allen liebes-an-
lokkungen/ allen bewegungen ſeines hertzens/ ja dem
fleiſch und bluhte zu trotz/ in ſeiner tugend beſtaͤndig.

Eine guhte ſtunde hatte Joſef alhier die anſtuͤr-
menden flammen der liebe vertragen. Es ſchien gefaͤhr-
lich zu ſein den ſtreit laͤnger zu wagen. Sein verſtand
riet ihm zur flucht. Er trug ſorge vor ſeine keuſcheit.
Er befahrte ſich/ daß der feind von auſſen endlich mit
voller gewalt in ſein hertz dringen/ und alda ſeine eigene
untertahnen/ ſeine feinde zu werden/ aufwuͤgeln moͤch-
te. Dieſe/ fuͤrchtete er/ moͤchten alsdan von innen hefti-
ger ſtuͤrmen/ als der feind von auſſen; ja ihn endlich
wohl gar uͤberwaͤltigen. Daruͤm wolte er dieſen ſo hef-
tigen einheimiſchen krieg nicht erwarten. Er wolte flie-
hen/ ehe dieſer ſelbſtreit ihn gaͤntzlich zu boden wuͤrfe.
Und alſo erkuͤhnte er ſich ſeinen abtrit zu nehmen/ mit

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[135/0159] drittes Buch. Welcher Menſch hette wohl dieſe ſo lieblich entbloͤß- te ſchoͤnheit/ ohne verzuͤkkung/ anſchauen koͤnnen? Welcher menſch/ der dieſe ſo ſchoͤnen augen/ dieſe ſo bluͤhenden wangen/ dieſen ſo lieblichen roſenmund/ ja dieſes ſo zierlich gebildete angeſicht anſehen ſollen/ hette wohl unbewegt und unverliebt bleiben koͤnnen? Ja wen hette ſo ein ſchoͤner und noch darzu ſo ſchoͤn ausge- ſchmuͤkter und in lauter wohlluſt entbloͤßter leib nicht zur hoͤchſten liebe bewegen ſollen? Man kan ihm leicht- lich einbilden/ daß Joſef/ bei dieſem anblikke/ nicht un- angefochten geblieben. Er war noch in ſeiner beſten ju- gend. Sein ſechs- und zwanzigſtes jahr war kaum zum ende. Er beſtund eben/ als andere menſchen/ aus fleiſch und bluhte. Er hatte eben die gemuͤhtsbewegungen/ als andere. Aber gleichwohl ſchien er mehr ein meiſter uͤber ſeine jugend/ uͤber ſein fleiſch und bluht/ ja uͤber alle ſeine gemuͤhtstriften und begierden zu ſein/ als ſonſt alle ſterb- lichen. Und ob er ſchon/ aus ſchuldiger ehrerbietigkeit/ die augen von ſeiner Fuͤrſtin nicht ab/ noch ihr den ruͤkken zu-kehren durfte; ſo blieb er gleichwohl/ allen liebes-an- lokkungen/ allen bewegungen ſeines hertzens/ ja dem fleiſch und bluhte zu trotz/ in ſeiner tugend beſtaͤndig. Eine guhte ſtunde hatte Joſef alhier die anſtuͤr- menden flammen der liebe vertragen. Es ſchien gefaͤhr- lich zu ſein den ſtreit laͤnger zu wagen. Sein verſtand riet ihm zur flucht. Er trug ſorge vor ſeine keuſcheit. Er befahrte ſich/ daß der feind von auſſen endlich mit voller gewalt in ſein hertz dringen/ und alda ſeine eigene untertahnen/ ſeine feinde zu werden/ aufwuͤgeln moͤch- te. Dieſe/ fuͤrchtete er/ moͤchten alsdan von innen hefti- ger ſtuͤrmen/ als der feind von auſſen; ja ihn endlich wohl gar uͤberwaͤltigen. Daruͤm wolte er dieſen ſo hef- tigen einheimiſchen krieg nicht erwarten. Er wolte flie- hen/ ehe dieſer ſelbſtreit ihn gaͤntzlich zu boden wuͤrfe. Und alſo erkuͤhnte er ſich ſeinen abtrit zu nehmen/ mit vor- J iiij

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/159>, abgerufen am 04.05.2024.