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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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drittes Buch.
sehen/ daß demjenigen/ der mit keuschem und reinem
hertzen Gott dienet/ die arglistigkeit der boßhaftigen
kein übels zu zu fügen vermag. Und hiermit nahm
er die speise/ und aß sie in ihrer gegenwart. Der Gott
meiner Väter/ sagte er/ wird mich bewahren. Abra-
hams Engel wird mich beschirmen.

Als sie solches sahe/ fiel sie auf ihr angesicht zur erde
nieder. Sie weineke bitterlich: und sagte dem Josef
zu/ daß sie solches nicht mehr tuhn solte. Aber ihr hertz
brante gleichwohl immerfort. Die unliebe lies ihr keine
ruhe. Sie weinte/ sie seuftzete tag und nacht. Sie aß/
noch trank nichts. Dieses alles machte sie so ungestalt/
daß ihr Ehherr sie fragte: warüm sie so kläglich aus-
sehe? warüm sie das heupt so hängen liesse? Ach! gab
sie zur antwort/ mein hertz tuht mir weh. Ich bin so
mat/ daß ich kaum ahtemen kan. Potifar trug ein
hertzliches mitleiden mit ihr. Er trug sorge vor sie;
wiewohl sie nicht krank war.

Nicht lange darnach erhub sich abermahl ein sturm.
Sefira kahm/ im abwesen ihres Ehliebsten/ zum Jo-
sef.
Ach! sagte sie/ ich verschmachte vor wehleiden;
oder ich mus sterben. Ich wil mir selbst der angst abhel-
fen. Ich kan/ noch mag sie nicht länger vertragen.
Ich mus mich ertränken. Oder ich wil vom schlosse her-
unter springen/ den hals zu brechen; wo ihr meine be-
gierden nicht volbringet. Josef sahe wohl/ daß sie der
Höllische geist besaß; daß ein Geist des abgrundes sie
in die euserste verzweifelung gestürtzt. Darüm rief er
ihrentwegen zu Gott. Darüm trachtete er ihr diesen
mismuht zu benehmen. Ach! sagte er/ warüm ist sie
doch so gar entstellet? Warüm gebährdet sie sich so sehr
übel? Wie lest sie die sünde so gewaltig über sich herschen?
Wie lest sie ihren bösen begierden den zügel so gar lang?
Welcher böser Engel gibt ihr diese gedanken ein/ ihr
selbst das leben zu nehmen? Sie gedenke doch/ wan Sie

die-
J

drittes Buch.
ſehen/ daß demjenigen/ der mit keuſchem und reinem
hertzen Gott dienet/ die argliſtigkeit der boßhaftigen
kein uͤbels zu zu fuͤgen vermag. Und hiermit nahm
er die ſpeiſe/ und aß ſie in ihrer gegenwart. Der Gott
meiner Vaͤter/ ſagte er/ wird mich bewahren. Abra-
hams Engel wird mich beſchirmen.

Als ſie ſolches ſahe/ fiel ſie auf ihr angeſicht zur erde
nieder. Sie weineke bitterlich: und ſagte dem Joſef
zu/ daß ſie ſolches nicht mehr tuhn ſolte. Aber ihr hertz
brante gleichwohl immerfort. Die unliebe lies ihr keine
ruhe. Sie weinte/ ſie ſeuftzete tag und nacht. Sie aß/
noch trank nichts. Dieſes alles machte ſie ſo ungeſtalt/
daß ihr Ehherꝛ ſie fragte: waruͤm ſie ſo klaͤglich aus-
ſehe? waruͤm ſie das heupt ſo haͤngen lieſſe? Ach! gab
ſie zur antwort/ mein hertz tuht mir weh. Ich bin ſo
mat/ daß ich kaum ahtemen kan. Potifar trug ein
hertzliches mitleiden mit ihr. Er trug ſorge vor ſie;
wiewohl ſie nicht krank war.

Nicht lange darnach erhub ſich abermahl ein ſturm.
Sefira kahm/ im abweſen ihres Ehliebſten/ zum Jo-
ſef.
Ach! ſagte ſie/ ich verſchmachte vor wehleiden;
oder ich mus ſterben. Ich wil mir ſelbſt der angſt abhel-
fen. Ich kan/ noch mag ſie nicht laͤnger vertragen.
Ich mus mich ertraͤnken. Oder ich wil vom ſchloſſe her-
unter ſpringen/ den hals zu brechen; wo ihr meine be-
gierden nicht volbringet. Joſef ſahe wohl/ daß ſie der
Hoͤlliſche geiſt beſaß; daß ein Geiſt des abgrundes ſie
in die euſerſte verzweifelung geſtuͤrtzt. Daruͤm rief er
ihrentwegen zu Gott. Daruͤm trachtete er ihr dieſen
mismuht zu benehmen. Ach! ſagte er/ waruͤm iſt ſie
doch ſo gar entſtellet? Waruͤm gebaͤhrdet ſie ſich ſo ſehr
uͤbel? Wie leſt ſie die ſuͤnde ſo gewaltig uͤber ſich herſchen?
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Welcher boͤſer Engel gibt ihr dieſe gedanken ein/ ihr
ſelbſt das leben zu nehmen? Sie gedenke doch/ wan Sie

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[129/0153] drittes Buch. ſehen/ daß demjenigen/ der mit keuſchem und reinem hertzen Gott dienet/ die argliſtigkeit der boßhaftigen kein uͤbels zu zu fuͤgen vermag. Und hiermit nahm er die ſpeiſe/ und aß ſie in ihrer gegenwart. Der Gott meiner Vaͤter/ ſagte er/ wird mich bewahren. Abra- hams Engel wird mich beſchirmen. Als ſie ſolches ſahe/ fiel ſie auf ihr angeſicht zur erde nieder. Sie weineke bitterlich: und ſagte dem Joſef zu/ daß ſie ſolches nicht mehr tuhn ſolte. Aber ihr hertz brante gleichwohl immerfort. Die unliebe lies ihr keine ruhe. Sie weinte/ ſie ſeuftzete tag und nacht. Sie aß/ noch trank nichts. Dieſes alles machte ſie ſo ungeſtalt/ daß ihr Ehherꝛ ſie fragte: waruͤm ſie ſo klaͤglich aus- ſehe? waruͤm ſie das heupt ſo haͤngen lieſſe? Ach! gab ſie zur antwort/ mein hertz tuht mir weh. Ich bin ſo mat/ daß ich kaum ahtemen kan. Potifar trug ein hertzliches mitleiden mit ihr. Er trug ſorge vor ſie; wiewohl ſie nicht krank war. Nicht lange darnach erhub ſich abermahl ein ſturm. Sefira kahm/ im abweſen ihres Ehliebſten/ zum Jo- ſef. Ach! ſagte ſie/ ich verſchmachte vor wehleiden; oder ich mus ſterben. Ich wil mir ſelbſt der angſt abhel- fen. Ich kan/ noch mag ſie nicht laͤnger vertragen. Ich mus mich ertraͤnken. Oder ich wil vom ſchloſſe her- unter ſpringen/ den hals zu brechen; wo ihr meine be- gierden nicht volbringet. Joſef ſahe wohl/ daß ſie der Hoͤlliſche geiſt beſaß; daß ein Geiſt des abgrundes ſie in die euſerſte verzweifelung geſtuͤrtzt. Daruͤm rief er ihrentwegen zu Gott. Daruͤm trachtete er ihr dieſen mismuht zu benehmen. Ach! ſagte er/ waruͤm iſt ſie doch ſo gar entſtellet? Waruͤm gebaͤhrdet ſie ſich ſo ſehr uͤbel? Wie leſt ſie die ſuͤnde ſo gewaltig uͤber ſich herſchen? Wie leſt ſie ihren boͤſen begierden den zuͤgel ſo gar lang? Welcher boͤſer Engel gibt ihr dieſe gedanken ein/ ihr ſelbſt das leben zu nehmen? Sie gedenke doch/ wan Sie die- J

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/153>, abgerufen am 04.05.2024.