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Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 6. [Braunschweig], [1764].

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Zweyter Gesang.
Eine grimmige Schaar, laut, und mit cerb'rischen
Mäulern,

Unaufhörlich. Doch konten sie schnell, so oft sie es
wollten,

Und
bösen Engel. Plötzlich aber fügt er zu ihnen zwey
Wesen hinzu, von denen auch der unwissendste Leser
gleich einsieht, daß es keine solche wirkliche Personen
sind, als Satan und die Engel; sondern daß es erdichte-
te Wesen sind, die ihr Daseyn bloß der Einbildungskraft
des Dichters zu danken haben. Gedächte Milton dieser
beyden Wesen bloß im Vorbeygehn, wie er manchmal
das Schrecken, die Zwietracht, zu Personen macht, so
würde dieses eine gewöhnliche poetische Freyheit seyn.
Aber er macht sie zu Hauptpersonen, zu eben so wirkli-
chen Personen, als die guten und bösen Engel; er läßt sie
über das Chaos eine Brücke pflastern, und führt sie
durch sein ganzes Gedicht durch. Dies wird dem Leser,
ohne daß er immer die wahren Gründe davon un-
tersucht, anstößig. Hiezu kömmt noch eine in die
Augen fallende Unwahrscheinlichkeit, daß er nem-
lich Gott selbst mit diesem Wesen der blossen Einbil-
dungskraft
M 3

Zweyter Geſang.
Eine grimmige Schaar, laut, und mit cerb’riſchen
Maͤulern,

Unaufhoͤrlich. Doch konten ſie ſchnell, ſo oft ſie es
wollten,

Und
boͤſen Engel. Ploͤtzlich aber fuͤgt er zu ihnen zwey
Weſen hinzu, von denen auch der unwiſſendſte Leſer
gleich einſieht, daß es keine ſolche wirkliche Perſonen
ſind, als Satan und die Engel; ſondern daß es erdichte-
te Weſen ſind, die ihr Daſeyn bloß der Einbildungskraft
des Dichters zu danken haben. Gedaͤchte Milton dieſer
beyden Weſen bloß im Vorbeygehn, wie er manchmal
das Schrecken, die Zwietracht, zu Perſonen macht, ſo
wuͤrde dieſes eine gewoͤhnliche poetiſche Freyheit ſeyn.
Aber er macht ſie zu Hauptperſonen, zu eben ſo wirkli-
chen Perſonen, als die guten und boͤſen Engel; er laͤßt ſie
uͤber das Chaos eine Bruͤcke pflaſtern, und fuͤhrt ſie
durch ſein ganzes Gedicht durch. Dies wird dem Leſer,
ohne daß er immer die wahren Gruͤnde davon un-
terſucht, anſtoͤßig. Hiezu koͤmmt noch eine in die
Augen fallende Unwahrſcheinlichkeit, daß er nem-
lich Gott ſelbſt mit dieſem Weſen der bloſſen Einbil-
dungskraft
M 3
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[181/0181] Zweyter Geſang. Eine grimmige Schaar, laut, und mit cerb’riſchen Maͤulern, Unaufhoͤrlich. Doch konten ſie ſchnell, ſo oft ſie es wollten, Und d) d) boͤſen Engel. Ploͤtzlich aber fuͤgt er zu ihnen zwey Weſen hinzu, von denen auch der unwiſſendſte Leſer gleich einſieht, daß es keine ſolche wirkliche Perſonen ſind, als Satan und die Engel; ſondern daß es erdichte- te Weſen ſind, die ihr Daſeyn bloß der Einbildungskraft des Dichters zu danken haben. Gedaͤchte Milton dieſer beyden Weſen bloß im Vorbeygehn, wie er manchmal das Schrecken, die Zwietracht, zu Perſonen macht, ſo wuͤrde dieſes eine gewoͤhnliche poetiſche Freyheit ſeyn. Aber er macht ſie zu Hauptperſonen, zu eben ſo wirkli- chen Perſonen, als die guten und boͤſen Engel; er laͤßt ſie uͤber das Chaos eine Bruͤcke pflaſtern, und fuͤhrt ſie durch ſein ganzes Gedicht durch. Dies wird dem Leſer, ohne daß er immer die wahren Gruͤnde davon un- terſucht, anſtoͤßig. Hiezu koͤmmt noch eine in die Augen fallende Unwahrſcheinlichkeit, daß er nem- lich Gott ſelbſt mit dieſem Weſen der bloſſen Einbil- dungskraft M 3

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Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 6. [Braunschweig], [1764], S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften06_1764/181>, abgerufen am 24.11.2024.